Andreas Dresen. Hans-Dieter Schütt

Andreas Dresen - Hans-Dieter Schütt


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das Live-Singen also nur in bestimmten Szenen, und da wünschte sich Alex dann auch noch, dass man deutlich sieht, wie er Gitarre spielt. Ich nehme das nur als Beispiel für die Sehnsucht eines Schauspielers nach dem Unmittelbaren, dem Ungeglätteten, dem Untechnischen, dem puren Leben, das sich gegen das Maschinelle, Zurechtstutzende so einer Filmmaschinerie wehrt. Ich war glücklich über diese Sehnsucht – und musste sie doch auch bremsen.

       Es ist eigentümlich, wenn man Ihre Arbeit beobachtet, und Sie haben diese Kollektivität von Filmproduktion schon erwähnt: Es gibt eine große, innige Gleichrangigkeit von Protagonisten und Pulk. Die Herstellung von Gleichgesinntheit umfasst wirklich in einem ganz besonderen Maße alle Mitwirkenden. Der fertige Film kann das naturgemäß nicht miterzählen, aber es gehört zum Wesen des Regisseurs Dresen. Oder?

      Was soll ich sagen … Ich bemühe mich … Die Schluss-Szene zum Beispiel ist Gundis Konzert, er sagt dem Publikum, dass er bei der Stasi war: »Ich wollt‹ nur bitten, wen ihr jetzt Eier schmeißt, dass ihr mich trefft und nicht den Gitarristen.« Wir drehten auf der Freilichtbühne Berlin-Weißensee, es war kalt, Ende Oktober, aber die Atmosphäre sollte noch etwas Sommerliches haben. Wir durften nur bis 22 Uhr halbwegs laut Musik machen, danach ging es noch leiser weiter bis morgens um drei. Zweihundert Komparsen bildeten jene Masse, die im Film mit digitalem Trick auf zweitausend Konzertbesucher anwachsen sollte. Das geht, indem man die zweihundert Leute aufnimmt, sie dann ein Stück weiter nach rechts rückt, wieder dreht, sie wieder verschiebt, sie erneut aufnimmt. Der Pulk wandert sozusagen. Bis man die Blöcke später digital zum Publikumspanorama zusammensetzen kann. Der Filmzauber als technischer Trick. Natürlich dachte ich, dass die Leute frieren werden, und sofort bekomme ich in solchen Momenten ein schlechtes Gewissen. Ich weiß doch: Wenn wir vom engeren Drehstab längst zuhause sind, sind es die Komparsen noch lange nicht – Kostüm und Maske fordern Zeit, bevor es losgeht, und ebenso viel Zeit, wenn alles vorbei ist. Ja, wenn wir früh um acht zum Drehort kommen und anfangen wollen, kann man sich vorstellen, zu welcher Uhrzeit die anderen – bis hin zum Catering – mit ihrer Arbeit anfangen müssen, um allein »nur« zweihundert Komparsen anzuziehen und zu schminken.

      Auf der Pferderennbahn bei »Timm Thaler« waren es noch mehr.

      Vierhundert Leute insgesamt, alle in historischen Kostümen und mit entsprechenden Frisuren! Dazu gigantische Regenanlagen für ein Gewitter mit Blitz und Donner, die Feuerwehr, Tankwagen, und natürlich, nicht zu vergessen, ein paar hochkarätige Schauspieler. Da hat der Regisseur was von einem Feldwebel, das geht nicht ohne Megaphon und mehrere Assistenten. Ich gebe zu, solche Tage sind nicht eigentlich meine Favoriten. Ich spüre den großen Druck, der immer auch ein finanzieller ist. Im Falle der Pferderennbahn kam hinzu, dass wir diese Szene gleich am Anfang drehten, man war gewissermaßen noch gar nicht richtig warm. Und Leute der Produktionsfirma Constantin saßen auch mit am Set, für sie war ich ein Neuling; ich denke, da war bei ihnen auch ein Moment der verständlichen Unsicherheit oder gar des Misstrauens, was ich so mit ihrem Geld anstelle. Die Summe war nicht klein, und Vertrauen in diesem Gewerbe bekommt man nicht geschenkt, man muss es sich erkämpfen. Aber es gab keine Probleme, alles klappte. Wichtig ist in solchen Situationen, dass ich die mir vertrauten Menschen um mich habe und mich von nichts verrückt machen lasse. Und es ist mir ein Bedürfnis, die Komparsen im wahren Sinn des Wortes einzugemeinden. Ich schiebe sie nicht als Masse durch die Gegend. Sie alle sollen das Gefühl haben, dazuzugehören, denn auch sie sind der Film, manchmal vor allem sie. Und ich muss es nochmal sagen, dass das keine Pose, keine Pflichtgeste ist: Ich versammle die Komparsen vor Drehbeginn, erkläre den Drehtag, bitte sie im Voraus um Verständnis, wie zäh die Abläufe am Set mitunter sind. Und dann rennen alle durchs Gewitter, durch den strömenden künstlichen Regen, der aber insofern so überhaupt nicht künstlich ist, als alle klitschnass werden. So eine Szene kann man nicht zig-mal wiederholen: Nass ist nass. Am Ende des Tages hat mich zu Tränen gerührt, als all diese durchweichten Menschen vor mir standen und applaudierten und »Andi, Andi« skandierten. Sowas ist schön. Es ist wie nach einer gemeinsam geschlagenen Schlacht. Du bist dann auf beglückende Art erschöpft, ja, alle sind eine Gemeinschaft. Wie gesagt: Vor solchen Großtagen ängstige ich mich ein wenig. Du kannst so verflucht schnell in einen verhängnisvollen Zeitverzug geraten – eine Wetteränderung genügt, um sämtliche Pläne zu zerstören. Dann heißt es warten, warten, warten – und reißt dann die Wolkendecke auf, gilt: schnell, schnell, schnell. Ein Leben im Wechselbad. Aber wenn man’s geschafft und den Tag gemeinsam gerissen hat, dann ist das durchaus erhebend. Bis es am anderen Morgen wieder losgeht …

      Noch mal zu »Gundermann«, einem sich kräftig ausbreitenden Film.

      Klingt ja, als wäre er ein Virus. (Lacht)

       Die Wirkung war enorm – auch international?

      Na ja, der Film hat bis heute keinen Weltvertrieb gefunden – das ist eine Firma, die die Auslandsverkäufe organisieren soll. Zum Ausgleich machte er aber eine ziemliche Festival-Karriere – Schweiz, Österreich, Slowakei, Spanien, Niederlande, Frankreich, um nur einige Länder zu nennen. Den Goethe-Instituten bin ich für die Hilfe sehr dankbar. Demnächst sollten wir nach Japan fahren, wo unser Film tatsächlich in die Kinos kommt, Corona verhinderte das. Schöne Fußnote: »Gundermann« hat zwar keinen Weltvertrieb, aber zahlreiche Airlines kauften ihn. Warum genau, weiß ich nicht. Vielleicht ein populärer deutscher Film, er zeigt keine Katastrophen, er bietet Musik, auch eine Liebesgeschichte. Er unterhält. Ich hoffe nicht, er wird gezeigt, weil er einschläfert. (Lacht.) Auf diese Weise kommt der Film aber auch durch die Welt. Zwischen Australien und London, zwischen Asien und Amerika nimmt er Anteil an der Lage in den Lüften. Und Gundi singt dazu das traurige Lied vom sonst lachenden Flugzeug.

       Der Film stieß im Ausland nicht auf Verständnisprobleme?

      Mein Eindruck: nein. Ich erinnere mich an eine Vorstellung in Marseille, in einem sozialen Brennpunktviertel der Stadt, bewohnt vorwiegend von Nordafrikanern. Schnell lodert es dort, Armut herrscht, die Menschen haben andere Sorgen, als es ein bürgerliches Maß vorgibt. Wir hatten eine Nachmittagsvorstellung für vierhundert Schüler zwischen dreizehn und achtzehn. So ein Publikum ist schon in Deutschland nicht ohne – aber dort? Auch noch mit Untertiteln. Mir war flau zumute, ich malte mir Unruhe, ja sogar Tumulte aus. Und dann die Überraschung: Stille, Aufmerksamkeit, nach dem Abspann Gejohle und Getrampel. Und ein Filmgespräch bar jeder blöden Fragen, eine Diskussion über Verrat und Anpassung, über Druck und Freiheit. Ich war baff.

      Eine große Tour führte durch die USA, wo man Sie sogar schon für Ihr Lebenswerk geehrt hat.

      Gefährlich früh! (Lacht..) Auch dort gab es durchgehend Offenheit und Nähe zum Thema: Wie kann man sich gesellschaftlich engagieren und trotzdem glücklich werden? Oder warum wird man es nicht? Was macht es mit uns, wenn wir uns leidenschaftlich für etwas einsetzen? Das Verhältnis von Staat und Individuum ist in Amerika ja ohnehin ein Thema. Wirklich schräg war Los Angeles. »Gundermann« lief auf einem Festival deutscher Filme, auf einer dieser Prachtstraßen Hollywoods, in einem Kino genau gegenüber dem Palast, in dem die Oscars verliehen werden. Ein Boulevard zwischen mondän und morbid, alles barock und bunt, auf jeden Fall kitschig im Übermaß. Das Kino im ägyptischen Stil, altmodisch bis zur Komik, wir befanden uns gewissermaßen im Epizentrum der roten Teppiche. Draußen das »Gundermann«-Plakat, umrahmt von Palmen, und ein gestyltes Publikum, zu dem natürlich auch aufgehübschte Damen mit Schlauchbootlippen und Hündchen gehörten. Oh Gott!, dachte ich, und dann lief der Film vor absolut konzentrierten Zuschauern, die mitgingen und ihren Gefühlen freien Lauf ließen. Es war der totale Gegensatz zum Vorurteil, das ich hatte, als ich zunächst das Publikum vor dem Kino sah. Zudem erlebte ich eine Aufführung mit einer so perfekten Technik, mit einer solchen Bild- und Tonqualität, wie sie mir bisher – ohne Übertreibung – noch nie vergönnt war. Am Ende war ich derart gerührt, dass ich vor diesem Auditorium zur Ukulele griff und Gundis Lied »Gras« sang. »immer wieder wächst das gras/ klammert all die wunden zu/ manchmal stark und manchmal blass/ so wie ich und du«.

       Eine Ukulele?

      Ich mag das Instrument. Es nimmt nicht viel Platz weg, man kann es ohne Gewese unterm Tisch oder Sitz hervorholen.


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