Andreas Dresen. Hans-Dieter Schütt

Andreas Dresen - Hans-Dieter Schütt


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erwartet Virtuosität. Sozusagen ein Instrument, das dir auf die Schulter klopft: Wird schon werden, Junge, trau dich!

      Als eine der stärksten Szenen im »Gundermann« empfinde ich jenen kurzen Moment nach dem Unfalltod des Kumpels Helmut im Tagebau. Es ist harter Winter, der Leichenwagen kommt, der Sarg wird aufgeladen, das Auto fährt an – und die Räder drehen auf dem Schnee- und Frostboden durch. Die Kumpel müssen schieben, sie alle sind plötzlich Sisyphos: Nichts geht mehr. Helmut will nicht vom Hof, wie man so salopp sagt. Noch im Tod das Festhalten an der Heimat Grube. Die letzte Kraft als Gleichnis: Nicht mal dem Leichenwagen gelingt die Entfernung eines Menschen von der Truppe.

      Der Tagebau als Planet, der Furcht einflößt und fasziniert.

       Sie haben dort nicht das erste Mal gedreht.

      Das stimmt. Vor Jahren, das war Dokumentarfilm. Aber Spielfilm geht dort eigentlich gar nicht, also solche aufwändigen Dreharbeiten bei laufendem Betrieb. Wir hätten keinesfalls drehen können, wenn die Leute vom Tagebau das nicht selber mitgetragen und uns so toll unterstützt hätten. Nur damit wir drehen konnten, haben sie ganze Schichten vom Nachbartagebau übernehmen lassen, sonst wäre ja in Berlin das Licht ausgegangen. Erst wollten wir – das hing mit Fördergeldern zusammen – in einem Tagebau in Nordrhein-Westfalen drehen, aber der dortige Energiekonzern genehmigte das nicht. Als es dann zum ersten Gespräch in Nochten kam, hieß es von Seiten des Tagebaus: Was denn, uns ist zu Ohren gekommen, dass ihr in Nordrhein-Westfalen drehen wolltet, das ist doch unmöglich, Gundermann ist »unser«! Großes Aufatmen bei uns! Und dann hat man uns alles ermöglicht. Eine Woche lang drehten wir, kündigten vorsichtshalber nur fünfzehn Leute an, kamen aber am Ende mit siebzig. So ein Drehstab hat ja immer etwas von einem Heuschreckenschwarm. Die Kumpel haben extra für uns eine Straße gebaut, denn so ohne Weiteres kamen wir mit unseren Gerätschaften und historischen Autos gar nicht rein ins tiefe, weite Gelände. Und alles, ohne Geld von uns zu verlangen. Dreimal am Tag hielt ich eine Rede: Vorsicht, Vorsicht, Vorsicht!, ich hatte Angst vor Unfällen, die Bergleute schlugen die Hände überm Kopf zusammen, denn, wie gesagt: Wir drehten teilweise bei laufendem Betrieb, und dort unten ist das Leben durchaus gefährlich. Und natürlich wurden wir »Filmfritzen« zunächst beäugt. Aber die Kumpel merkten bei Schichtwechseln: He, die sind ja immer noch da! Wir standen tief im Schlamm, sie sahen, dass wir ausdauernd arbeiten können. Aufstehen früh um vier, raus aus dem Tagebau erst abends um zehn. Und dann durfte Alex tatsächlich selbst Bagger fahren, mit einem Viertausend-Tonner hat er sich bewegt, der Schauspieler als Kohleförderer, der wirkliche Baggerfahrer versteckte sich beim Drehen hinterm Sitz, er gab Anweisungen und zugleich beruhigte er »unseren« Gundi – es war eine schöne Verbrüderung in Arbeit. Später haben wir in Senftenberg für die Kumpel ein Konzert gegeben.

       Dieser Tagebau – es ist eine verwundete Landschaft. Durch diese Gegend hätten auch die Jungs Ihres Films »Als wir träumten« stolpern können. »Gundermann« hat gleichsam ein archäologisches Denkmal entworfen.

      Gewaltiges Brachland. Wahrscheinlich waren wie die Letzten, die in solchem Umfang im Tagebau drehen durften. Für dieses Panorama war Cinemascope genau das richtige Format. Es ist eigentlich nicht so mein Ding, denn das menschliche Gesicht verliert sich schnell – Günter Reisch zitierte gern Billy Wilder: Cinemascope sei das perfekte Format, um einen Dackel von der Seite zu filmen. Aber das Format reißt auf, und für den Tagebau bot es sich unbedingt an.

       Der Dokumentarfilm, den Sie ansprachen …

      Das war doch nur ein kleiner Porträtfilm für den rbb.

       Aber auch diese Marginale zeigte: Tagebau ist etwas Archaisches. »mein rücken ist ein förderband/ und im schein von tausend watt/ sind mir die augenbraun verbrannt// auf raupenplatten krieche ich/ stück um stück nach vorn/ bei havarien blute ich«. So heißt es bei Gerhard Gundermann. Und Volker Braun schrieb vom »tierischen Schrei der Eimerketten«.

      Du stehst als Fremdling auf diesen Riesengeräten, gehst über die schmalen Stahltreppen: Eisen, Feuer, Schneegestöber, fauchender Wind, das schwarze Metallgestänge in weißer Landschaft, die Lampen nachts – und das Gefühl, jetzt müsste hier Rammstein spielen! Urgewalt. Die Erde wird von diesem gigantischen Stahlmonstrum auf der einen Seite abgegraben und auf der anderen Seite wieder in die Landschaft geworfen –

       Seltsamerweise denke ich jetzt an die Bombastik der Apologeten, die speziell mit Filmbildern falsche Romantik produzieren.

      Ja, die Welt kennt zum Beispiel Eisensteins Bilder von der wahrlich massiven Erstürmung des Winterpalastes in Sankt Petersburg. Nachgestelltes Monumentaltheater zum Jahrestag der Oktoberrevolution 1928. In Wahrheit war es 1917 ein kleines Häuflein Bolschewiki, das sich über eine Nebentreppe ins bereits leere Gebäude hineinschlich.

       Kino: ein Fluch! Eine glatte Lüge!

      (Lacht.) Wahrscheinlich werden die Menschen in fünfzig Jahren denken, die DDR sei so gewesen wie in Florian Henckel von Donnersmarcks Film »Das Leben der Anderen«. Oh Schreck, oh Graus. Jede Absolutheit gilt es zu verhindern.

      Auch Sie haben mit Ihren eigenen Filmen über diese Vergangenheit namens DDR eine Erfahrung machen müssen: dass schmerzende Erinnerungen wenig beliebt sind. »Gundermann« ausgenommen: Kassensturm findet bei dem Thema kaum statt. Es ist ein wenig wie der Blick auf alte Wohnhäuser, wo noch Reste abgeschabter, verwitterter Buchstaben zu sehen sind, von Kolonialwarenläden und Kohlehandlungen. Wir lassen uns von der falschen Vermutung überwältigen, diese Signale kündeten von »guter alter Zeit«. In der Tilgung solcher Inschriften erkennen wir eine Ahnung von der groben Art, mit der auch unser eigenes Dasein eines Tages betrachtet wird: als eine mehr und mehr verblassende Spur auf bröckelndem Untergrund. Mit Wehmut setzen wir uns gegen das verletzende Urteil zur Wehr, das jede Gegenwart über jedes Gestern spricht. Leider wächst aus dem Anspruch, unserer Geschichte möge doch ein wenig Gerechtigkeit widerfahren, meist nur eine neue Anmaßung, die nicht weniger unangenehm ist als die Kälte von Abrissexperten. Diese Anmaßung, wahrscheinlich in jedem Leben zu beobachten, sucht nämlich nach ewig wetterfesten, unangefochten prangenden Schrift- und Bildzeichen, und wer mit neuen Zeichen auftritt, auf den wird aggressiv oder beleidigt reagiert: Wir haben eine schönere Vergangenheit verdient!

      Wie gesagt: Mich interessiert an der DDR, was darin an übertragbarer Existenz gelebt wurde. Wie viel Druck braucht es für einen Verrat, welche verschiedenen Haltungen produziert die Unfreiheit? Wie böse darf, um sich zu verteidigen, das Gute sein? Ist Anpassung ein Menschenrecht? Das sind so Fragen. Mein Vater, Adolf Dresen, wurde als Theatermann Anfang der achtziger Jahre zum DDR-Kulturminister Hoffmann beordert und von ihm wegen einer politischen Äußerung abgekanzelt – währenddessen schob der Minister aber einen Zettel zu ihm rüber, auf dem stand, wer meinen Vater denunziert hatte. Die Standpauke entpuppte sich als Show für die Stasi-Mikrophone im eigenen Büro. So janusköpfig war das alles. Was mich heute abstößt, ist der Blick in eine dämonische Gegend namens DDR, angesichts derer ich nicht eine Minute lang verstehe, wie es ein halbwegs normaler Mensch dort hat aushalten können – es sei denn, man machte umgehend einen billigen Nutznießer oder verbohrten Halunken aus ihm. Nein, viele Menschen haben an einen sauberen Weg im Sozialismus geglaubt und sind in Fallen getappt. Sie ließen sich auf ein System ein, als sei es ein abenteuerliches Ideendrama, und plötzlich war der Weg nur noch »sauber«, weil man so vieles unter den Teppich gekehrt hatte. Das sind Konstellationen, die zur Erzählung reizen. Ich kenne viele Leute, die damals in die Partei gingen, weil sie der Meinung waren, das System sei von innen her änderbar, und sie wollten da mittun. Die Argumente, die in diese Richtung gingen, waren mir durchaus nah. Plötzlich aber steckt man im Dilemma, dass Loyalität eine Vorstufe zur Lüge werden kann – und Charakter wird zerrieben. Gundermann. Ein Thema nur von gestern?

      Zu »Gundermann« gehört die Band, mit der Sie bisweilen unterwegs sind: Alexander Scheer (Gesang, Gitarre, Mundharmonika), Jens Quandt (Keyboards, Mundharmonika, Percussion), Jürgen Ehle (E-Gitarre, Gesang), Harry Rosswog (Bass) und Nicolai Ziel (Schlagzeug). Zunächst haben Sie ja im Schatten, im Sog des Films gespielt.

      Dessen


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