2 Jahre später. Regina Mars

2 Jahre später - Regina Mars


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»Aber in ’ner halben Stunde wird es besser. Und dann wird es richtig sonnig, okay?«

      »Okay.« Arthur nickte steif. Kai sah ihn noch einmal an. Dieser magere, hübsche Typ, überragt von monströsen Baumstämmen, genauso vom lauernden Halbdunkel verschluckt wie Arthur. Wie sollte der ihm bitte helfen?

      Kai streckte eine Hand aus.

      Arthur starrte darauf. Er schluckte hart. Dann nahm er sie.

      Kais Handfläche war so rau wie seine Stimme und so warm wie ein Platz am Lagerfeuer. Und mindestens so tröstend. Verwundert merkte Arthur, wie er ruhiger wurde, als Kai ihn mit einem Ruck hinter sich herzog. Er folgte dem schmalen Rücken durch das Unterholz und düster knisternde Kiefernwälder und er hatte keine Angst mehr.

      Er schaffte es nicht, Kai anzusehen. Nur einmal, als er ihm einen Geröllhaufen hinauf half, trafen sich ihre Blicke. Luchsaugen. Dieses Geschöpf des Waldes hatte ihn in sein Reich gelassen. Genau, wie er es sich gewünscht hatte.

      Sie waren fast eine Stunde lang unterwegs. Der Schweiß lief Arthur in Strömen herunter und er keuchte mal wieder wie ein Mops beim Marathon. Er war glücklich. Prickelige Vorfreude erfüllte seine Brust. Und er wusste nicht einmal, worauf.

      »Wo gehen wir hin?«, fragte er zum dritten Mal. »Sind wir bald da?«

      »Du klingst wie ein Kleinkind«, sagte Kai.

      »Würde ich nicht, wenn du nicht so ein Geheimnis daraus machen würdest.«

      Arthur wäre fast über einen Stein gestolpert, aber Kais Hand hielt ihn aufrecht. Der Wald war freundlicher geworden. Immer wieder passierten sie kleine Lichtungen und ließen sich von den goldenen Sonnenstrahlen bescheinen. Das Zwitschern der Vögel klang nicht mehr unheilverkündend, sondern idyllisch. Arthur sog die erdige Luft tief in die Lungen.

      »Aaaaaaah!«, schrie er und fragte sich gleich darauf, ob er bekloppt war. Kai sah ihn an. Ein wildes Grinsen zierte sein Gesicht. Und dann schrie er, noch viel lauter. Arthur machte mit. Brüllend rasten sie durch den Wald, immer schneller, Hand in Hand.

      Bis sie nicht mehr konnten.

      »Jetzt sag endlich, wo es hingeht«, keuchte Arthur und wäre wieder fast gestolpert.

      »Was gibst du mir dafür, du reicher Bonze?«

      Arthur schnaubte.

      »Wie wär’s mit ’ner Tracht Prügel?«

      »Als ob du mich erwischen würdest – Ah!«

      Arthur hatte ihn gepackt. Lachend gingen sie zu Boden. Als Arthur später daran zurückdachte, erschienen diese Stunden ihm als die einzigen perfekten in seinem Leben. Er wälzte sich mit Kai über den federnden Blätterboden, bis sie gegen einen Baumstamm rollten. Kai packte seine Handgelenke, sprang auf ihn wie ein Kater und drückte ihn zu Boden.

      »Hab dich!« Das freche Gesicht leuchtete. So nah. Das Lächeln, der Mund waren so dicht bei Arthurs, dass sein Herz stehenblieb. Einen Moment lang verstummte die Welt. Er spürte nur noch den schlanken Körper, der ihn zu Boden drückte, die kalten Blätter im Nacken, die warmen Hände. Vor allem sah er. Die wunderbar wilden Augen, die auf ihn niederstarrten. Kais Pupillen waren geweitet. Das Lächeln rutschte aus dem Luchsgesicht und machte Verwirrung Platz. Heißer Atem strich über Arthurs Lippen.

      Verdammt.

      Kai schien zu zögern. Er war so nah, nur Zentimeter entfernt und er zögerte. Warum, verdammt?

      Tu es, schrie Arthurs Hirn. Kai blinzelte. Biss sich auf die Lippen.

      Und kam näher.

      Ein Vogel kreischte. Ohrenbetäubend laut. Kai wich zurück. Sie stoben auseinander, dass die Blätter raschelten.

      »Ha, ganz schön schwach«, versuchte Arthur, die Situation zu retten.

      »Wollte dir nur ’ne Chance geben, Weichei.« Kais Stimme war rauer denn je.

      Verdammt, was war da gerade passiert? Hatte Kai versucht, ihn zu küssen? Hatte Arthur mit angehaltenem Atem darauf gewartet, dass er es tat … Oder war das nur ein Missverständnis gewesen?

      Den Rest des Weges gingen sie getrennt. Eigentlich hätte Arthur gern wieder Kais Hand gehalten. Aber er traute sich nicht, danach zu fragen.

      Endlich waren sie da.

      Kai räusperte sich und kratzte seinen Bauch.

      »Wie findest du es?«, fragte er. Arthur war zu überwältigt, um zu antworten.

      In der Mitte der Lichtung, überwuchert von Moos, erhob sich eine Steinmauer. Eine einzige Wand, uralt, mit einem gotisch schmalen Fenster in der Mitte. Fünf Meter hoch vielleicht. Die Nachmittagssonne zauberte goldenes Licht auf ihre Spitze. Arthur machte einen Schritt darauf zu und ein Schwarm Vögel stob auf.

      »Gefällt’s dir?«, fragte Kai. Seine Stimme klang gepresst, als ob es ihm wirklich wichtig wäre. Arthur wirbelte zu ihm herum.

      »Ja.« Er spürte das Lächeln auf seinem Gesicht. Ein ziemlich dümmliches Lächeln wahrscheinlich. Aber es fühlte sich an, als hätte Kai ihm ein Geschenk gemacht und das war das schönste Gefühl von allen. »Ja, total. Was ist das?«

      »Keine Ahnung.« Kai schien erleichtert. »Aber ich hab’s gefunden. Als ich noch klein war.«

      »Sieht aus wie ein altes Kloster. Oder … hm.« Arthur wurde aus seinen Überlegungen gerissen, als Kai endlich wieder seine Hand nahm.

      »Hier lang.« Er stieg durch die verrosteten Gitterstäbe, die das verfallene Gebäude umgaben, bahnte sich einen Weg durch die Farne und benutzte die breiten Ziegelsteine als Treppe, um die Mauer zu erklimmen. Arthur hätte sich fürchten müssen. Sie stiegen immer höher über die bröckeligen Steine, und die waren kaum einen halben Meter breit. Kein vertrauenerweckender Weg. Aber Kais Hand gab ihm Sicherheit.

      Als sie oben standen, wurde ihm doch ein wenig schwindlig. Von hier sieht es höher aus, dachte er, als er den braungrauen Blätterboden weit unten betrachtete. Aber sofort wurde er von Kai abgelenkt, der einen Schrei ausstieß. Wie eben, nur noch durchdringender. Arthur wäre fast abgestürzt. Er prustete los, als er kapierte, was Kai tat. Dann fiel er in das Gebrüll mit ein.

      Rings um sie stoben Vögel auf. Aus jedem Baum erhob sich ein Schwarm, bis die Luft von ihren Flügelschlägen erfüllt war. Kleine, große, dunkle, helle Federn wirbelten durch den Himmel. Arthur merkte erst, dass er lachte, als er keine Luft mehr bekam. Und immer noch fühlte er den sicheren Griff von Kais Hand. Arthur stand auf der bestimmt einsturzgefährdeten, viel zu hohen Mauer, ohne auch nur einen Funken Angst zu verspüren.

      Kai starrte ihn an.

      »Was?«, fragte Arthur. Hatte er etwas falsch gemacht?

      »Nichts.« Kai sah zu Boden. Seine Finger verkrampften sich. Sein Mund öffnete sich, aber nichts drang heraus. Der sanfte Wind, inzwischen Abendwind, spielte mit den chaotischen Haaren. Er war … schön. Doch, das war er. Arthur hätte sich ohrfeigen können für diesen Gedanken, aber es stimmte einfach.

      »Meinst du, man kann es lernen?«, fragte Arthur.

      »Was?« Kai sah ihn verwirrt an.

      »Na … küssen.« Arthurs Herzschlag drohte, seinen Brustkorb zu sprengen. Aber die Worte purzelten ihm aus dem Mund, ob er wollte oder nicht. »Meinst du, man kann das üben?«

      »Äh … bestimmt.« Kai runzelte die Stirn. »Kann man nicht alles lernen?«

      Verdammt, warum war der so schwer von Begriff?

      »Ja, also … magst du?«, fragte Arthur und hielt den Atem an. Betete zu allem, was er kannte, dass das nicht der peinlichste Moment seines Lebens werden würde.

      Kai blinzelte. Von einem Moment zum nächsten war sein Gesicht dunkelrot, bis zum Ausschnitt des fadenscheinigen Shirts. Mist, Mist, Mist, das …

      »Ja«, krächzte er. »Ja, ich … Wir können das ja mal probieren. So als Übung.«


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