2 Jahre später. Regina Mars

2 Jahre später - Regina Mars


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erkennst, so als reicher Adliger, aber ich bin … Sogar für arme Leute sind Paps und ich … arm. Das Shirt hier hab ich von so einem Wohltätigkeitsverein und … Na, wenn irgendwer Läuse hat, ist es natürlich die Zecke, die in einer Bruchbude haust. Ich also. Sie wollten mich isolieren, damit es nicht wieder ausbricht. Ich sollte einen Tisch für mich alleine bekommen. Ganz hinten in der Ecke, damit Frau Montag nicht nochmal das ganze Bettzeug waschen und ihre Familie mit Läuse-Shampoo behandeln muss. Dabei hatte ich gar keine Läuse. Die Ersten, bei denen sie die gefunden haben, waren Markus und Horst. Aber sie hat darauf bestanden, dass ich«, ein bitterer Geschmack kroch in seinen Mund, »isoliert werde, zum Wohle aller. Ich glaub, sie hat schon kapiert, dass ihr eigener Sohn die Quelle war und wollte, dass … Sie wollte wohl, dass das keiner merkt. Sowas hängt einem hier ewig nach.«

      »Und deshalb hasst sie dich?«

      »Njaa …« Kai kratzte sich am Hals. »Paps hat mir das nachher erklärt. Anscheinend hätte ich das nicht auf der Veranstaltung sagen sollen, vor allen. Dass ich keine Läuse hab und dass Markus der Erste war, der sich gekratzt hat. Und dass sie mir nicht die Schuld in die Schuhe schieben soll, weil wir kein Geld haben. Das war alles, echt. Ich wusste nicht … Manchmal kapiere ich sowas nicht. Was man wo sagt und wie.«

      »Nein, das hab ich gemerkt.« Seltsamerweise lächelte Arthur.

      »Paps meint, das hätten wir mit ihr alleine besprechen sollen. Stimmt das?«

      »Ja, wahrscheinlich.« Arthurs Lächeln wurde noch breiter. »Außerdem pullert man normalerweise nicht in Blumenkübel und nennt Leute Fettsäcke.«

      »Oh, ich meinte nicht, dass du schlecht aussiehst …«, stotterte Kai. Du siehst total gut aus, dachte er, aber selbst er wusste, dass man sowas nicht zu einem anderen Jungen sagte. »Und Mann, diese Kübel stehen doch eh draußen, die … Was meinst du, woraus Dünger ist?«

      »Ich habe keine Ahnung.«

      »Echt?« Aber bevor Kai das weiter erläutern konnte, hörte er seinen Vater erneut rufen. »Ich bin im Wald aufgewachsen«, erklärte er deshalb noch schnell und wandte sich um.

      »Was? Bist du von Wölfen großgezogen worden?«

      Er drehte sich wieder um. Ja, Arthur war ernst. Er schaute ihn an, fast … bewundernd.

      »Natürlich nicht! Was für Wölfe?«

      »Ich hab gehört, es gibt sie wieder. Hast du schon welche gesehen?«

      »Nein, und sie haben mich nicht großgezogen.« Kai verschränkte die Arme. »Ich hab … Ich erklär das später.«

      »Junge!«, rief sein Vater und inzwischen klang er etwas gereizt.

      »Komme!«, brüllte Kai und verließ schweren Herzens den Raum. Ob Arthur überhaupt irgendwas von dem kapiert hatte, was er erzählte? Der war aus einer anderen Welt, eindeutig.

      Während er den Rasen neben der Einfahrt mähte, schaute er immer wieder zur Villa hoch. Einmal glaubte er, eine Bewegung hinter einem der schnörkeligen Fenster zu sehen. Vielleicht bildete er sich das auch nur ein.

      Der Schweiß tropfte ihm runter und durchnässte sein Shirt. Alle heulten rum, dass der Sommer nicht richtig in Fahrt kam, aber wenn man arbeitete, war es warm genug. Viel zu warm. Er stank. Gestern schon waren seine Sachen nicht frisch gewesen und jetzt roch er wie eine Sickergrube. Ob Arthur das gemerkt hatte? Heute Morgen, als er … halb auf ihm gelegen hatte. Kai schluckte. Es hatte sich gut angefühlt. Viel zu gut, dafür, dass er so wenig davon mitbekommen hatte. Ob er das nochmal … Aber dazu hätten sie sich nochmal besaufen müssen und das würde er nie wieder tun. Nie wieder.

      Sein eigener Gestank mischte sich mit den Abgasen des Rasenmähers. Grüne Halme klebten ihm an den Hosenbeinen, und als er sich durch das Gesicht wischte, merkte er, dass sie bis zur feuchten Stirn hochgeflogen waren.

      »Du müffelst, Junge«, sagte Paps, als er endlich mit dem Mähen fertig war. »Sobald wir zuhause sind, springst du unter die Dusche, ist das klar?«

      »Klar.« Er nickte. »Hab ich noch frische Klamotten?«

      »Was fragst du mich? Du hast die letzte Wäsche gemacht.«

      Richtig. Mit Arthurs feinen Hemden konnte er nicht mithalten, aber zumindest wollte er nicht mehr stinken.

      »Ich bleib ein paar Tage hier bei Arthur«, sagte er und rollte das Kabel auf, um seinem Vater nicht in die Augen blicken zu müssen.

      »Tust du das?« Sein Alter wirkte erstaunt. Klar, sonst übernachtete er höchstens mal bei Manolja. Und deren Eltern fanden das gar nicht gut. »Hat Arthur dich eingeladen?«

      Kai nickte. Er versuchte, nicht stolz zu grinsen.

      »Na dann …« Paps kratzte sich an der faltigen Wange. »Aber du kommst heim, sobald seine Eltern sich ankündigen, klar?«

      »Klar.«

      »Gut. Na, und arbeiten kannst du ja trotzdem hier. Wenn wir fertig sind, könntest du sogar ein paar Tage Urlaub haben, was?«

      »Das wäre mal ’ne Abwechslung.« Kai sah auf den Rasenmäher vor sich. »Kommst du klar?«

      »Ob ich klarkomme?« Sein Vater prustete entrüstet. »Natürlich komme ich klar. Als ob ich einen Hänfling wie dich bräuchte, um mir die Arbeit abzunehmen.«

      Sie wussten beide, dass das eine Lüge war.

      Später, gegen Mittag, als sie über den Baumarktparkplatz gingen, schob Kai den schweren Einkaufswagen. Schon jetzt hatte er mehr Kraft als sein Vater. Zumindest schmerzte sein Rücken nicht bei jedem Handschlag.

      Er hatte ein schlechtes Gewissen. Ein verdammt schlechtes, aber ein paar Tage in der Villa waren mehr, als er sich je erträumt hatte … Irgendwie. Er kapierte nicht ganz, was los war. Aber er wollte bei Arthur sein. Eine Erinnerung blitzte in seinem Kopf auf, zu kurz, um sie richtig fassen zu können. Außerdem konnte sie nicht stimmen. Er hatte doch nicht … Hatte er echt gedacht, dass er Arthur küssen wollte? Nein. Bestimmt nicht.

      Sie luden Säcke voll Gartenerde und Dünger in den Transporter. Kai achtete darauf, immer die schwereren zu übernehmen. Der Himmel war trüb und bedeckt, doch die Luft war schwülwarm. Paps’ wettergegerbter Nacken glänzte vor Schweiß. Er knallte die Tür des Transporters zu. Scheppernd fiel sie ins Schloss.

      »Bring du den Wagen weg.« Paps streckte sich ächzend. »Du brauchst die Bewegung, Moppel.«

      Kai, laut der Schulärztin an der Grenze zum Untergewicht, schnaubte.

      »Ich mach das, aber nur, weil du zu fett bist, um dich zu bewegen.«

      Sein Vater war ebenso mager. Lag wohl in der Familie. Aber »Junge, bring bitte den Wagen zurück, weil mein Rücken saumäßig wehtut und ich vor Schmerzen kaum laufen kann« wäre zu traurig gewesen.

      Kai ließ sich Zeit, als er den leeren Wagen über den fleckigen Asphalt schob. Einmal hätte ihn fast ein Auto erwischt, das ausparkte. Was konnte er anziehen, das Arthur beeindruckte? Die Antwort war: Nichts. Konnte er ihm irgendetwas mitbringen? Was tat Arthur gerade? Ganz alleine in der Villa liegen und lesen? Mit Freunden telefonieren? So reichen Adelssprösslingen, die bestimmt viel cooler waren als Kai?

      »Alter, was stinkt hier so?«

      Kai schrak zusammen. Von einer Sekunde auf die andere waren all seine Sinne geschärft. Er hörte das nervende Sirren der Strommasten, das Rauschen der Umgehungsstraße, die schrillen Schreie der Vögel, überdeutlich. Sein Blick flitzte über die Reihen der parkenden Autos. Kein Mensch zu sehen. Mist. Nur neben ihm, da waren sie.

      Markus und Horst. Sie saßen auf Betonpollern, direkt neben dem Unterstand für die Einkaufswagen. Warum zur Hölle hatte er sie nicht bemerkt? Warum hatte er geträumt?

      »Ich glaube, das ist er. Der stinkt doch immer«, sagte Horst, Markus’ bester Freund. Beide hatten es bereits mit fünfzehn geschafft, Männerkörper zu entwickeln, während Kai immer noch ein Lauch war. »Weißt ja, er hat sich noch nie gewaschen.«


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