Vom Geist Europas. Gerd-Klaus Kaltenbrunner

Vom Geist Europas - Gerd-Klaus Kaltenbrunner


Скачать книгу
platonischen Roman „Nachsommer” einer vornehmen Frau zuschreibt: „Es schien, daß das, was die vorzüglichsten Männer in ihrer Gegenwart sprachen, von ihr angeregt wurde, und daß ihre größte Gabe darin bestand, das, was in andern war, hervorzurufen.” In Gegenwart solcher Menschen erinnern wir uns plötzlich dessen, was wir nichtwissend schon wissen. Erinnernd wird aus Einsamkeit Gemeinschaft, aus Schweigen Zuspruch.

      Auch dies hat Platon in den unvergeßlichen Worten seines siebenten Briefes formuliert, im Bewußtsein, daß er hier eine Dimension berührt, die eigentlich jenseits des Äußerungsfähigen liegt: „Denn es läßt sich nicht in Worte fassen wie andere Wissenschaften, sondern aus dem Zusammensein in ständiger Bemühung um das Problem und aus dem Zusammenleben entsteht es plötzlich wie ein Licht, das von einem springenden Funken entfacht wird, in der Seele und nährt sich dann weiter durch sich selbst.”

      Platon hat mit diesen Worten sein Ideal einer „Akademie” umrissen, von der unsere Lehr- und Diskutierbetriebe bloß den Namen haben. Kein akademischer Philosoph würde heute mit Cicero Platon den „Gott unter den Philosophen” nennen. Auch vom urspringenden Staunen wird von Schulphilosophen kaum gesprochen, wohl aber in zunehmendem Maße von über die Grenzen ihres Faches hinausdenkenden Naturwissenschaftlern und Soziologen, vor allem aber von den Dichtern.

      Achtzig Generationen waren über die Erde gezogen, als Nikos Kazantzakis in dem analphabetischen Arbeiter Alexis Sorbas einen Menschen unseres Jahrhunderts gestaltete, der, ohne je von Platon etwas vernommen zu haben, ein naturwüchsiger Platoniker ist: „Mit demselben fragenden Erstaunen pflegt er jeden Menschen, einen blühenden Baum, ein Glas frisches Wasser anzusehen … Alles erscheint ihm als Wunder, und jeden Morgen, wenn er die Augen aufschlägt und die Bäume, das Meer, die Steine oder einen Vogel ansieht, steht er mit offenem Mund da.”

      Die Sonne Homers lächelt auch uns noch und ebenso das Intelligenz, Argument und Apophantik gewordene Lächeln der leicht gekräuselten Lippen des Sokratikers Platon. Das Lächeln des metaphysischen Charmeurs ist das gleichsam transzendentale Lächeln des Odysseus von Ithaka wie des Alexis Sorbas von Kreta. Es umspielt das Antlitz Picos della Mirandola, Erasmus’, Goethes und Novalis’. Mag in gewissen Stunden philosophischer Verdauungsschwäche und Verstimmung ein freudloser Famulus sich trübselig sagen:

      Ich empfinde fast ein Grauen,

       Daß ich, Plato, für und für

       Bin gesessen über dir:

       Es ist Zeit hinauszuschauen

       Und sich bei den frischen Quellen

      In dem Grünen zu ergehn,

      Wo die schönen Blumen stehn

      (Martin Opitz)

      Aber was ist recht verstandener Platon, der nicht zum verschulten Platonismus oder altphilologischen Pflichtpensum erniedrigte Platon, anderes als ein Wasserfall frischer Quellen und ein ewiger Frühling, der den abendländischen Geist immer wieder zum Erblühen bringt? Sooft uns seine Sonne lächelt, taut das Eis der Denkzwänge und Schematismen, ist etwas Griechisches im Aufbrechen: am Pariser Hof zur Zeit des Scotus Eriugena; im zwölften Jahrhundert in Chartres; dann im mediceischen Florenz und überhaupt in der italienischen Renaissance; in der im siebzehnten Jahrhundert gedeihenden Schule von Cambridge, die mittelbar noch einen Newton beeinflußte; in Weimar und Jena zur Zeit Goethes und Schillers; unter König Ludwig I. in München, als dort Baader, Schelling, Görres, Döllinger und Lasaulx lehrten.

      Sooft uns Platon lächelt, wird es aufgeräumter, heller und freundlicher in Europa, erhebt sich der Mensch vom Prokrustesbett angemaßter Orthodoxie, kämpft er mit dem Florett gegen die Windbeuteleien der Sophisten und materialistische Herabsetzung. Platon ist allemal Geistesfrühling, Sonnenaufgang, Erwachen aus dogmatischem Schlummer und phantombewirkten Katzenjammer. Wo Platon lächelt, blüht Geistes-Gegenwart, Freude am Denken und staunende Feinfühligkeit gegenüber dem Wunderbaren. Platon ist die Philosophie, die dem Boëthius im Kerker erscheint, so wie sie den zum Tode verurteilten Sokrates die ironische Haltung gegenüber dem Leben bis zuletzt bewahren läßt. Das Lächeln Platons umspielt und segnet alle Momente, in denen der Vorrang der Form vor dem Stoffe sich mit siegreicher Anmut kundgibt. Es erneuert und vertraut auf die ästhetische Erziehung des Menschen, die Versöhnung von Sinnlichkeit und Geist, Schönheit, Weisheit und Güte. Es läßt uns entzückt für einen gnadenhaften Augenblick un riso dell’universo gewahren, von dem Dante (Paradiso XXVII, 4 ff.) singt:

       Was ich hier sah, schien mir ein Lächeln süß

       Des Weltalls, also daß mir Aug und Ohr

      Die Trunkenheit ins Innere strömen ließ.

      (1989)

      Конец ознакомительного фрагмента.

      Текст предоставлен ООО «ЛитРес».

      Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.

      Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.

/9j/4AAQSkZJRgABAQEASwBLAAD/4RKXRXhpZgAATU0AKgAAAAgADAEAAAMAAAABAk8AAAEBAAMA AAABA6IAAAECAAMAAAAEAAAAngEGAAMAAAABAAUAAAESAAMAAAABAAEAAAEVAAMAAAABAAQAAAEa AAUAAAABAAAApgEbAAUAAAABAAAArgEoAAMAAAABAAIAAAExAAIAAAAeAAAAtgEyAAIAAAAUAAAA 1IdpAAQAAAABAAAA6AAAASAACAAIAAgACAAAAEsAAAABAAAASwAAAAFBZG9iZSBQaG90b3Nob3Ag Q1M1LjEgV2luZG93cwAyMDE5OjAyOjA2IDEzOjA4OjUyAAAEkAAABwAAAAQwMjIxoAEAAwAAAAEA AQAAoAIABAAAAAEAAAu4oAMABAAAAAEAABJuAAAAAAAAAAYBAwADAAAAAQAGAAABGgAFAAAAAQAA AW4BGwAFAAAAAQAAAXYBKAADAAAAAQACAAACAQAEAAAAAQAAAX4CAgAEAAAAAQAAEREAAAAAAAAA SAAAAAEAAABIAAAAAf/Y/+AAEEpGSUYAAQEBAEsASwAA/9sAQwAGBAUGBQQGBgUGBwcGCAoQCgoJ CQoUDg8MEBcUGBgXFBYWGh0lHxobIxwWFiAsICMmJykqKRkfLTAtKDAlKCko/9sAQwEHBwcKCAoT CgoTKBoWGigoKCgoKCgoKCgoKCgoKCgoKCgoKCgoKCgoKCgoKCgoKCgoKCgoKCgoKCgoKCgoKCgo /8AAEQgAoABmAwEiAAIRAQMRAf/EABwAAAEFAQEBAAAAAAAAAAAAAAUCAwQGBwABCP/EADkQAAIB AwMCBAQEBAUFAQAAAAECAwAEEQUSITFBBhNRYSJxgZEHFDKhFbHB0SMlUmJyFiQzNkLh/8QAGgEA AgMBAQAAAAAAAAAAAAAAAgMAAQQFBv/EACcRAAICAgEEAQQDAQAAAAAAAAABAhEDIRIEEzFRQQUU MmEiI1Kh/9oADAMBAAIRAxEAPwAq+nyKCQWwOte2+mtLuwWJHpVtt0jePDYZu+aXEscJJ4r0XfZw +x82U2a3mhO1c596iSQ3G7OGq5Sxxl2IUYNJECsOEBxRrN+hbw+mU5fOVsndRux+JFYEhxRj+Gib jy8d+mKdj0nyjvVT1wRjiqlmi0XHBK7IyuSAeeacFtK67tp29eaI2mnSef8A4iHatGXjCKNyH5Yr NLMl4NMMDf5FY8soQGyCe1eSWbvjY2fnRC+hLy5wwPYYpNpGyvls47elXz1ZO2rpkBtNfZy/Wmm0 8DlmOB70afIGGFRpcdCKiySI8USp3VnKzsYVbbnvXVZdseTjiup6zMQ+nT+QfbNLECFDEDvU6OZG xvH96mQ3UK2xDhT9OtDyYy+QfhJ6Um+XlDnHj4ZMtLM3LE5xED1qTFYtCzHJI7YNOWk2ECouE7VO Rs9TSZTkOhjjQwI2G0gkY4604gccEkj50oMqvtapBXcgxS2xyiJjZs9T96and2PGePenAjg8AmkN gY4oVVlvwQjC7SMzFsEYwTmnoowoGT09a6RvQZpqWbbgYyaZtgUkKldHDei9SaFSXaLMMIGQdTmp 1xOq28p6Hae1VWaZsfCOBTsULFZZ8QhfTxGctFu2n3xmuqtXVy7PjdgDtXVrji0YpZ9hFjcPjg4q RbrOhB8v70XiKFQOM1I2BgNqg+9Z3l+KHrD82L0+eW6s5IJSE8hhMp/2dHA9/wBJ+hqYZ3NqtwAC 7SMH43beBtHy6/b2oVIArcFM/wDMf3qaHWOwhmUYZw2TvwR8WOB3pEkrtD4yrTCJWN5mDAKzoiZ6 BJCM/wAxg+mT6V5LP5NrCAPiDujn3AU/1I+lDpE23U0G8lY13Zx14z0pV1AsEO7zSWOxtpXAO5c8 c9qDjtDOQaZyYIHjJKFeSOzZOc+/9MUufYq3e473SYJu2BiT8WfuRQKNHW8lt0mZbhdy9MAsOozn 2xmvHPlW3mGZsmNXxjAOTjAOevf5Zoe3+wu4TGMa/lHKZRo2LbVBP6mGffHH2qNNd+Xd3FuBG5jh kcNsHOEyD047cVwiIu4ohLyykqwOOeQVHvuBFDL2HddlYQVYHDbztOe4NMjFN7Fyk0tD6yJPEWuG GW67Rj9qH38CRwhgQVb0p57Z1xyvPowNRriBmUAkjPanRpPTFStraKtdCMyEg11EbzQpCwaA5U+v rXVuWSNeTnyxTvwWW3gZsDvRWCMKoCjJzxihrzhOBgGlR3brhg4yDkVzZKUjpxlGJLv7YXBVihDf 6l78VHvY5BBBFHCGVQQrEHPxH54+VOLdvgZYYByOPbFKMkoXK/EABj6dKpclRJKMroi3BlkieTZi VkCtIoPI4/c8feos93cyAq8QZHRI9pB6qAAw/wB2P51La5m2FVIC4wVx2qLub4MBRsO5cD5f2p0V 7Rmm/TEteXEk5n8kC4kBzIAeSRgtj1Of3paTTNJC3kKWtkAA57ZOTXI8igAY2gjjHpjH8hSlZ1bc pweOfTHSraXoFN+xuOW7kSOOaFplRmIZt274gBj9s/P509M088/mOp3MABweQoA+vAp2KUpEqjaA pGBjpg5/nXRO8Ua8AhQVHHY9aBv9D4Rr5FLDJG6luF75FOzCMgGostw7Kd3TOajvMexoVFsdyigh BIE3AsCO2a6hqrK
Скачать книгу