Haushaltsnahe Dienstleistungen für Familien. Mareike Bröcheler
Rübenach, Sommer et al. 2016). Familien bilden – je nach Perspektive – zwar meistens, jedoch nicht zwangsläufig einen gemeinsamen Haushalt. Das Leben von Familien als soziales Netzwerk kann auch über Haushaltsgrenzen hinweg stattfinden, dies zunehmend auch über mehr als zwei Generationen hinweg. Beziehungen in multilokalen Mehrgenerationenfamilien, etwa zwischen Eltern und ihren erwachsenen, in eigenen Haushalten lebenden Kindern, sind auch überweitere Entfernungen emotional stabil und versprechen intergenerationelle Solidarität und Unterstützungspotenzial. In den letzten Jahrzehnten haben multilokale Familienbeziehungen zugenommen, sodass Alltag in Familien heute als soziales Netzwerk zu verstehen ist, aufgrund des Reziprozitätsprinzips funktioniert und Daseinsvorsorge sichern kann (vgl. Hennig 2014).
Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind Familienhaushalte, die aus zusammenwohnenden Eltern-Kind-Gemeinschaften bestehen. Im Sinne einer intergenerationellen Übernahme von Fürsorge sind für den familiären Alltag dabei häufig auch die Beziehungen zu weiteren Haushalten (vorrangig denen von Großeltern) entscheidend, wie im Laufe der Untersuchung deutlich werden wird (siehe Kapitel 8).
Funktionen und gesellschaftliche Relevanz privater Haushalte
Mit dem Ziel der unmittelbaren Daseinsvorsorge obliegen Haushalten „Aufgaben der Lebenserhaltung, der Persönlichkeitsentfaltung und der Kultur des Zusammenlebens“ (von Schweitzer 1991: 134), die sowohl durch eigens erstellte ebenso wie über den Markt bezogene Güter und Dienstleistungen hergestellt werden. Die gesellschaftliche Relevanz der Hausarbeit, der in privaten Haushalten und damit auch in Familienhaushalten erbrachten Leistungen, wird anhand der Funktionen deutlich, die von Schweitzer privaten Haushalten zuordnet (vgl. von Schweitzer 1983, 1991). Diese sind:
• Ökonomische Funktion: Durch die Erzielung von Einkommen und das Auftreten der Haushaltsmitglieder als Arbeitskraft in der Erwerbs- ebenso wie Sorgearbeit können im Privathaushalt Ressourcen erhalten und gesichert werden. Einkommenserzielung und -sicherung durch Erwerbsarbeit ist hierbei ebenso bedeutsam wie die Versorgung des Haushaltes mit Gütern und Dienstleistungen zur Sicherung der Daseinsvorsorge. Dies bildet zugleich die Basis für die Erfüllung der übrigen Funktionen.
• Generative Funktion: In privaten Haushalten werden Kinder geboren und zu vollwertigen Mitgliedern der Gesellschaft herangezogen. Leistungen der Generationenfolge zum Fortbestand der Gesellschaft sowie die intergenerationelle Fürsorge im Lebensverlauf sind essenzielle Aufgaben privater Haushalte.
• Regenerationsfunktion: Eine stete Aufgabe der privaten Haushalte besteht in der Regeneration und Gesunderhaltung seiner Haushaltsmitglieder. Das Ziel ist es, durch Leistungen der Erholung, der bedarfsgerechten Ernährung oder (Körper-)Pflege, diese gesund zu erhalten und ihre gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.
• Sozialisationsfunktion: Durch Leben und Alltag im privaten Haushalt, die damit vermittelten Werte und Normen sowie durch aktive Erziehungsleistungen tragen Haushalte wesentlich zur Bildung von Humanvermögen und damit der Integration von Individuen in die Gesellschaft bei.
Krüsselberg betont ebenfalls, dass Familienhaushalte in modernen Gesellschaften durch ihre generativen und regenerativen Leistungen der Bildung und Erhaltung von Humanvermögen die Funktionalität, nicht nur von Familien selbst, sondern ganzer Gesellschaften im Sinne einer nachhaltigen Wahlstandsentwicklung sicherstellen (vgl. BMFSFJ 1995; Krüsselberg 2007; Nave-Herz 2014). Alle Leistungen der alltäglichen Daseinsvorsorge in privaten Haushalten im Allgemeinen sowie – aufgrund ihrer intergenerationellen Beziehungen – in Familienhaushalten im Besonderen sind damit wertschöpfende Leistungen: Sie zeigen sich mittelbar im Humanvermögen der Familien- und Haushaltsmitglieder sowie unmittelbar in den durch sie erbrachten und gesellschaftlich bewerteten Leistungen im Erwerbsleben (vgl. Meier 1995).
Der (ökonomische) Wert der Hausarbeit
Während Erwerbsarbeit, wie andere über Märkte organisierte Dienstleistungen oder Waren, in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) abgebildet wird, fallen die in privaten Haushalten erbrachten, wertschöpfenden Leistungen der unbezahlten Arbeit zunächst durch das ökonomische Raster. Private Haushalte (und damit auch Familienhaushalte) werden volkswirtschaftlich lediglich als konsumierende, wertvernichtende (oder sparende) Wirtschaftseinheiten sichtbar (vgl. exempl. Meier, von Schweitzer 1999; Richarz 2000; Thiessen 2004; Meier-Gräwe 2015b). Die Abgrenzung dieser beiden gleichermaßen gesellschaftlich relevanten Arbeitsbereiche nimmt mit Entstehung der Industriegesellschaft Einzug in das wirtschaftswissenschaftliche Denken (oft beschrieben als die Entstehung der sog. Nationalökonomie, die die heutige Volkswirtschaft bezeichnet). Eine Folge dieses neuen wirtschaftswissenschaftlichen Paradigmas verdeutlicht bereits 1920 der britische Nationalökonom Pigou mit dem Phänomen des sog. „Hausfrauenparadoxons“ (Pigou 1920, zit. in Thiessen 2004: 73). Dies ergibt sich für ihn daraus, dass Dienstleistungsarbeit von Frauen nur in das Bruttoinlandsprodukt (BIP) einfließt, wenn sie hierfür bezahlt werden, nicht jedoch, wenn sie diese Leistungen unentgeltlich erbringen, wie in ihrer Position als Hausfrau. „So sinkt das Sozialprodukt, wenn ein Mann seine Haushälterin oder Köchin heiratet.“ (ebd.) Die sich im Zuge der Industrialisierung etablierende geschlechtstypische Aufteilung auf die beiden Arbeitssphären (öffentlich und privat) bilanziert der sozialkritische Ökonom Galbraith als „Verwandlung der Frauen in eine heimliche Dienerklasse“ und damit „eine ökonomische Leistung ersten Ranges“ (Galbraith 1974: 51).14 Die ökonomische Nicht-Beachtung der Sorgearbeit in den „androzentrische[n] Wirtschaftsmodelle[n]“ (Meier-Gräwe 2015b: 6) wurde später insbesondere durch die Frauenforschung der 1970er Jahre kritisiert. Um die in privaten Haushalten geleistete Arbeit sichtbar werden zu lassen, solle auch sie ökonomisch sichtbar werden. Zu Beginn der 1990er Jahre führte diese Kritik in Deutschland zur Einführung von Zeitverwendungserhebungen (ZVE)15, die im nächsten Schritt eine Bewertung der unbezahlten Arbeit ermöglichten. Seitdem bildet das Satellitensystem Haushaltsproduktion ergänzend zur VGR den Wert der unbezahlten Arbeit16 ab und macht ihn mit dem Wert der geleisteten Erwerbsarbeit vergleichbar. In den bisherigen drei Erhebungswellen wies der Bereich der unbezahlten Arbeit dabei stets eine höhere Zeitverwendung auf als der Bereich der Erwerbsarbeit – zuletzt (2013) betrug der Mehraufwand 35 % (siehe Abbildung 2). Nach Bewertung17 der unbezahlten Arbeit weist diese einen Umfang von nahezu 40 % der gesamten im BIP erfassten Bruttowertschöpfung Deutschlands auf (vgl. Schwarz 2017). Der monetarisierte Wert der in allen privaten Haushalten und Familienhaushalten geleisteten Sorgearbeit bestärkt damit deren gesellschaftliche Relevanz.
Abbildung 2: Jahresvolumen bezahlter und unbezahlter Arbeit im Zeitvergleich
Quelle: Eigene Darstellung nach Schwarz 2017: 249
Die – auch nach Einführung des Satellitensystems Haushaltsproduktion – gesellschaftlich und (wirtschafts)wissenschaftlich weitgehend missachtete Relevanz von formeller und informeller Sorgearbeit induziert nach wie vor Kritik. In den 1970er Jahren diskutierten feministische Ökonominnen das Phänomen der – im Gegensatz zu den vorindustriellen Gesellschaften – nicht mehr vorhandenen Wertschätzung von Sorgearbeit unter dem Schlagwort „Arbeit aus Liebe“ (Bock, Duden 1977). Heute hingegen wird etwa von Meier-Gräwe (2012) mit der Systemrelevanz generativer Sorgearbeit argumentiert,18 um deren gesamtgesellschaftliche Aufwertung zu begründen. Sie betont damit die Tatsache, dass ohne die Leistungen privater Haushalte (Versorgung, Erziehung, Regeneration und Gesunderhaltung) kein gesellschaftliches System überhaupt funktionieren könnte, kein Gesellschaftsmitglied überlebens- oder arbeitsfahig wäre. Nach Meier-Gräwe sind die unbezahlten Tätigkeiten in privaten Haushalten, ebenso wie die niedrig entlohnten Tätigkeiten in den personenbezogenen Dienstleistungsberufen (siehe Kapitel 5.2), daher sogar „Systemvoraussetzung“ (Meier-Gräwe 2012: 176) für die Funktionalität und das Wohlergehen