Die Abenteuer der kleinen Lilly und andere Kurzgeschichten. Sabine Siebert

Die Abenteuer der kleinen Lilly und andere Kurzgeschichten - Sabine Siebert


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ihr stand ein großer grauer Kater. Als er Lilly erblickte, leckte er sich mit der Zunge über die Nase.

      „Ah, hat mich meine Nase nicht getäuscht“, sagte er. „Ich habe doch ein Mäuschen gerochen. Du kommst mir gerade recht, ich habe noch nicht zu Abend gegessen“, knurrte er.

      Als Lilly seine Worte vernahm, erschrak sie fürchterlich. Sie schlüpfte, so schnell sie konnte, wieder in ihr Versteck. Der Kater war zu groß und dick und konnte ihr nicht folgen. Für dieses Mal war Lilly gerettet. Aber so konnte es nicht weitergehen. Sie hatte Angst und wollte unbedingt wieder zu ihrer Familie. Doch wer konnte ihr helfen? Sie nahm sich vor, Edis Mutter zu fragen, die konnte sicher helfen.

      Am nächsten Morgen kam sie vorsichtig aus ihrem Behälter. Da sie keine Gefahren erkennen konnte, lief sie zur Igelhöhle. Sie hatte Glück, die ganze Familie war da. „Wissen Sie, liebe Frau Igel, wie ich nach Hause komme?“

      Mama Igel dachte nach. Dann schüttelte sie den Kopf. „Ach, Lilly, ich kenne nur den Garten. Ich war noch niemals hinter dem Gartentor.“ Als sie Lillys Tränen sah, bot sie an: „Du kannst bei uns bleiben.“

      Nun schüttelte Lilly den Kopf. „Nein, vielen Dank. Aber ich will nach Hause zu meinen Eltern und mit meinen Brüdern spielen.“ Schluchzend setzte sie sich ins Gras.

      Plötzlich hörte sie eine bekannte Stimme. Es war Kater Hugo. Dieser fragte freundlich: „Lilly, warum weinst du?“

      Lilly berichtete von ihrer Begegnung mit dem großen Kater, der sie fressen wollte, und erzählte, dass sie so gerne wieder nach Hause wolle, aber den Heimweg nicht mehr fand. Geduldig hörte Hugo zu. Ab und an fragte er nach. Die kleine Lilly tat ihm leid und er versprach, ihr zu helfen. Sie sollte schlafen gehen und am nächsten Morgen wollte er sich bei ihr melden. In dieser Nacht schlief Lilly gut. Sie vertraute Hugo.

      Mit den ersten Sonnenstrahlen stand Hugo vor ihr. Er erzählte: „Ich habe überall herumgefragt und jetzt weiß ich, wo dein Zuhause liegt. Die Frau in diesem Haus geht öfter in den Altowald.“

      „Fein, wie komme ich in den Altowald?“, fragte Lilly.

      „Hm“, meinte Hugo. „Ich male es dir am besten auf.“ Schon streckte er seine Krallen. Doch dann meinte er: „Nein, der Weg ist für eine kleine Maus zu gefährlich. Ich werde dich selbst zu deiner Familie bringen.“

      Lilly hüpfte um den Kater herum und sang vor lauter Freude.

      „Pst, nicht so laut“, mahnte Hugo. „Niemand darf erfahren, dass ich, der große Hugo, einer Maus helfe. Was glaubst du, würden die anderen Katzen von mir denken?“

      „Du hast recht“, gab Lilly kleinlaut zu. „Sie dürfen es nicht erfahren.“

      „Nein. Niemals. Lilly, du schläfst den ganzen Tag und heute Abend, wenn die Sonne untergegangen ist, hole ich dich ab.“

      Lilly begann schon wieder zu hüpfen. Vor Aufregung konnte sie lange nicht einschlafen.

      Mit den letzten Sonnenstrahlen erschien Hugo bei Lilly. „Bist du bereit?“, fragte er.

      Lilly nickte und war ganz aufgeregt. Sie stellte sich neben Hugo und es ging los. Der Kater hatte sich gut vorbereitet. Behutsam führte er Lilly aus dem Garten und über die Straße. Da es bereits dunkel war, würde ihnen kaum jemand begegnen. Er hatte Lilly eingeschärft, genau das zu tun, was er ihr sagen würde. So ging sie nah an den Gärten entlang, um sich bei Gefahr sofort im Gras verstecken zu können.

      Eine Weile ging alles gut. Aber plötzlich kam ihnen ein großer Hund entgegen. Hugo hatte ihn rechtzeitig entdeckt und Lilly versteckt. Er selbst war auf einen Baum geklettert und der Hund war an ihnen vorbeigelaufen, ohne Notiz von ihnen zu nehmen. Als die Gefahr vorüber war, gingen sie weiter. Es wurde immer dunkler. Aber Hugo konnte mit seinen grünen, funkelnden Augen sehr gut sehen. Sie kamen gut voran. Mittlerweile war der Mond aufgegangen und auch Lilly konnte wieder besser sehen. Sie hatten fast den Waldrand erreicht, als sie eine raue Stimme vernahmen. „Guten Abend, Hugo, wo willst du denn hin?“

      „Ach, du bist es, Minka“, antwortete Hugo. „Ich will noch einen kleinen Spaziergang machen, die Nacht ist so angenehm.“

      „Früher war ich auch viel unterwegs“, war Minka wieder zu vernehmen, „es gab so viele Mäuse hier auf dem Bauernhof. Aber heute tun mir die Knochen weh und die Bäuerin füttert mich gut. Da muss ich nicht mehr selber jagen.“

      „Einen schönen Abend noch“, sagte Hugo.

      Minka schlich weiter. Als sie außer Reichweite war, sprach Hugo: „Kannst wieder rauskommen, Lilly. Sie ist weg.“

      „Ich hatte ein bisschen Angst“, gab Lilly zu. „Ich dachte, sie riecht mich.“

      „Nein, Minka ist schon recht alt, hat abgewetzte Zähne und das Gehör hat auch nachgelassen. Wahrscheinlich auch die Nase. Das war der letzte Bauernhof. Ab jetzt wird es leichter.“

      „Wenn wir in den Wald kommen, müssen wir auch aufpassen“, meinte Lilly. „Mein Papa sagt immer, dass nachts die Eulen und Füchse unterwegs sind.“

      Hugo schmunzelte: „Bestimmt erzählen die Eltern das ihren Kindern, damit sie des Nachts nicht draußen sind.“

      Doch Lilly wusste, was ihr Papa sagte, stimmte. Aber sie wollte mit Hugo nicht streiten. Der Weg hatte Lilly sehr angestrengt, sie schlief fast im Gehen ein.

      Als Hugo das sah, entschloss er sich, eine Rast einzulegen. „Wir machen eine Pause“, entschied Hugo.

      „Ich bin gar nicht müde“, protestierte Lilly.

      „Aber ich brauche jetzt eine kleine Ruhepause.“ Die beiden setzten sich und Lilly fröstelte. Da streckte sich Hugo: „Komm, leg dich zwischen meine Pfoten, dann kann ich dich wärmen.“ Das ließ sich Lilly nicht zweimal sagen. Kaum lag sie, war sie auch schon eingeschlafen. Auch Hugo döste vor sich hin.

      Lilly erwachte, als die ersten Sonnenstrahlen ihre Nase kitzelten. Genüsslich rekelte sie sich.

      Auch Hugo streckte sich. „Erkennst du den Platz?“, fragte er Lilly.

      Sie schaute umher, lief hierhin und dorthin, piepste: „Ja, da vorne beginnt unser Wald.“ Noch nie war er ihr so schön vorgekommen. „Es ist nicht mehr weit“, sagte sie.

      Und tatsächlich: Eine Viertelstunde später standen sie vor der Mäusewohnung. Aber es war niemand zu sehen oder zu hören. Lilly rief laut nach ihren Brüdern. Es kam keine Antwort. Ängstlich blickte sie sich um. Was konnte passiert sein? Sie schlüpfte in die Wohnung und konnte nichts Verdächtiges entdecken. Es sah aus, als ob die Familie gerade die Wohnung verlassen hatte.

      Kater Hugo entschied, dass sie eine Weile warten wollten. Vielleicht war die Mäusefamilie unterwegs und kehrte bald zurück. Hugo und Lilly ließen sich vor der Behausung nieder. Die Sonne schien ihnen auf das Fell und beide wurden schläfrig und schlummerten eng aneinander gekuschelt ein.

      Plötzlich wurden beide von einem Kreischen und Piepsen geweckt. Erschrocken blickten Hugo und Lilly auf. Nicht weit entfernt war die ganze Mäusefamilie aufgetaucht. Die Mutter weinte, als sie ihre Lilly in den Pfoten eines Katers sah. Der Vater hatte sich gerüstet und wollte mit einem Stock dem Kater zu Leibe rücken, um sein geliebtes Kind zu retten. Die Brüder Franz und Georg piepsten aufgeregt und Max versuchte, seine Schwester vom Kater wegzulocken. Als Lilly ihre Familie sah, sprang sie auf und rannte zu ihnen. Sie flog der Mama in die Arme, während der Vater den gewaltigen Kater nicht aus den Augen ließ.

      „Kommt, begrüßt Hugo“, forderte Lilly ihre Familie auf.

      „Wir sollen einen Kater begrüßen?“, fragte Franz und sah seine Schwester verwundert an.

      „Ja, Hugo ist ein ganz lieber Kater. Er hat mich beschützt und nach Hause gebracht.“

      Jetzt ging Lillys Vater zu Hugo und verneigte sich: „Verzeih, ich habe dich verkannt. Ich danke dir, dass du unsere Lilly beschützt hast.“

      „Schön


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