Der Schreiberling. Patrick J. Grieser
hier versuchen? Ich habe gesehen, dass eure Rinder sich wie die Karnickel vermehrt haben.«
»Desmond Pickett wird etwas dagegen haben.«
»Wer ist der Pisser?«, erkundigte sich der Cowboy völlig ungeniert.
Schlagartig verfinsterte sich die Miene des Barkeepers wieder. Doch es war nicht nur Wut, die sich in dem kantigen Gesicht widerspiegelte, sondern seine Augen zeigten auch einen Anflug von Furcht.
»Desmond Pickett ist jemand, mit dem du dich nicht anlegen solltest!«
»Klingt nach einem richtig sympathischen Burschen, wenn du mich fragst.«
»Ihm gehören mehrere Ranchen außerhalb der Stadt. Das ganze Land da draußen ist Pickett-Land. Er behauptet, dass dort alle ungebrannten Rinder zu seiner gottverdammten Stammherde gehören. Für ihn sind die Maverickjäger Gesetzlose, die sich an seiner Herde vergehen. Er hängt jeden, den er erwischt.«
»Ich bin noch nicht lange in dieser Gegend, aber ungebrändete Rinder sind laut Gesetz frei.«
»Erzähl das mal Desmond Pickett!« Der Ire nahm eines der Biergläser von einem seiner Gäste zurück und begann es zu spülen. Sauberkeit schien für ihn ein Fremdwort zu sein, denn er tauchte das Glas in eine braune Brühe hinter dem Tresen.
»Und selbst wenn er niemanden erwischt, warten seine Dollarwölfe vor den Toren von Kansas auf die Herdenbosse, um ihnen dann zehn Dollar für jedes Tier abzuknöpfen, bevor es in die Stadt darf. Wer nicht zahlt, dessen Herde wird in alle vier Himmelsrichtungen verjagt.«
»Verfluchte Bastarde!«, murmelte der Cowboy und begann zu begreifen, dass sein Plan gar nicht so leicht in die Tat umzusetzen war.
»Das kannst du laut sagen!«
Lautes Fluchen drang vom Pokertisch zu ihnen herüber; anscheinend hatte jemand die Partie verloren. Der Wirt blickte kurz zu den Spielern, um sich zu vergewissern, dass kein Ärger bevorstand. Dann wandte er sich wieder dem Cowboy zu.
»Ich werde trotzdem ein Maverickjäger«, sagte der Cowboy trotzig und leerte sein zweites Bier.
»Du bist ein hartnäckiger Bursche, was?« Der Barkeeper beugte sich nach vorne, sodass sein Gesicht von dem seines Gegenübers nur noch wenige Zoll entfernt war. »Siehst du den Revolverhelden hinter dem Pokertisch?« Der Cowboy ließ seinen Bick über die Saloonbesucher wandern. »Den Mann mit der Kalbfelljacke und dem Colt im Schulterholster!« Jetzt sah er ihn. Für einen Revolverhelden war der Kerl mit seinen mindestens vierzig Wintern schon ziemlich alt, denn diese Burschen starben meistens früh. Es war ein Mann, wie ihn der Cowboy aus den Wildwestromanen kannte. Das Gesicht voller Ecken und Kanten verlieh ihm eine gewisse Härte. Mit seinen blonden Haaren, die ihm ins Gesicht fielen, erinnerte er mehr an einen Löwen, der erhaben von seinem Felsen auf sein Rudel blickt.
»Das ist Jeremy Slater«, sagte der Wirt, nachdem der Cowboy die richtige Person im Blickfeld hatte. Seine Stimme war nicht mehr als ein leises Flüstern. »Ihm gehört die Blue-Lodge-Ranch außerhalb der Stadt.«
»Einer von Desmond Picketts Männern?«, erkundigte sich der Cowboy.
Doch der rothaarige Wirt schüttelte den Kopf. »Nein, Slater ist ein Rebell. Die Blue-Lodge-Ranch führt seit Jahren Krieg gegen Pickett und seine Männer. Er ist der Einzige, der ihm Paroli bietet. Wenn du unbedingt ein Maverickjäger werden willst, dann sprich mit ihm.«
Mit der Faust klopfte der Cowboy auf den Tresen. »Danke, Kumpel! Das werde ich gleich machen!« Bevor er sich jedoch von ihm abwenden konnte, hielt dieser ihn mit seiner fleischigen Pranke an seiner Lederjacke fest. »Nicht so schnell! Informationen kosten Geld!« Der Cowboy rollte mit den Augen, dann zog er eine weitere Dollarnote aus seiner Tasche und ließ sie in der ausgestreckten Hand des Iren verschwinden. »Danke, mein Freund! Du bist zwar verrückt, aber ich mag dich! Viel Glück, denn das wirst du brauchen!«
Der Cowboy rutschte vom Barhocker und ging zielstrebig auf jenen Mann zu, den der Wirt als Jeremy Slater bezeichnet hatte und der inmitten der anderen Gäste wie ein Fels in der Brandung wirkte. Als der Cowboy nur noch wenige Meter von ihm entfernt war, richtete Slater seinen Blick auf den Fremden. Seine Augen waren so grau wie ein kalter Gletscherfluss im Winter. Seine schiefe Nase schien mehrere Male gebrochen worden zu sein, was ihm aber einen männlichen, selbstbewussten und kühnen Anblick verlieh. Ja, dieser Mann war durch und durch ein Revolverheld!
»Greetings, ich habe gehört, dass Sie auf der Suche nach fähigen Männern sind? Nun, ein solcher Kerl steht jetzt vor Ihnen!«, eröffnete der Cowboy das Gespräch und streckte dem Mann seine Hand zur Begrüßung entgegen.
Die grauen Augen blicken kurz in Richtung des Tresens, wo der Ire stand und das Gespräch neugierig verfolgte. Dann musterte er den Cowboy stillschweigend, ohne den Händedruck zu erwidern.
»Gefällt Ihnen, was Sie sehen?«, wollte der Cowboy wissen und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Ich habe dich in dieser Gegend noch nie gesehen? Woher kommst du?«
»Odenwood!«
»Nie gehört.«
»Wie sieht es aus? Brauchen Sie eine starke Hand oder nicht?«
»Ich habe genug Männer. Tut mir leid, aber ich brauche deine Hilfe nicht!«, antwortete Jeremy Slater und blickte wieder in sein Whiskeyglas, um zu zeigen, dass die Sache für ihn erledigt war.
»Schade, sehr schade!« Der Cowboy fasste zum Abschied an seine Hutkrempe, kehrte Slater den Rücken zu und trat durch die hölzerne Schwingtür ins Freie. Es war bereits dunkel geworden; überall brannten Öllampen oder Laternen in den Fenstern. Bei Nacht wirkte die Stadt mit ihren Arkaden richtig heimelig. Der Cowboy begann »Jezebel« von Frankie Laine zu pfeifen, während er zu der Haltestange ging, an der er sein Pferd angebunden hatte. Kurz überlegte er, ob er einem der schäbigen Varietés einen Besuch abstatten sollte, doch die Müdigkeit von dem harten Ritt steckte ihm schwer in den Knochen. Er sehnte sich nur noch nach einer Matratze. Außerdem hatte er Angst, dass er seine letzten Dollars einem der Tingeltangel-Girls zustecken würde. Seine Geldreserven waren fast aufgebraucht.
»Einen Moment, Mister!«, erklang es hinter dem Cowboy, als er gerade dabei war, sein Pferd loszubinden. Langsam drehte er sich um. Hinter dem Handlauf des Gehsteiges stand ein Mann mit einem langen Schnurrbart. Sofort stach ihm der silberne Stern ins Auge, der die staubige Weste des Mannes zierte. Dies ist also der Deputy-Sheriff von Cheops!, dachte der Cowboy und erwiderte den Blick des anderen.
Der Deputy-Sheriff fuhr sich mit der Hand über die Enden seines Schnurbartes, die spitz nach oben standen, um diese zu zwirbeln. Es war wohl eine alte Angewohnheit, die so in Fleisch und Blut übergegangen war, dass es fast unmöglich war, sie sich wieder abzugewöhnen.
»Wer bist du?«, wollte der Deputy-Sheriff wissen.
»Ein Besucher dieser Stadt!«
»Und was willst du hier?«
»Ehrlich gesagt, will ich nur noch ein weiches Bett und schlafen. Ich habe einen harten und weiten Ritt hinter mir«, antwortete der Cowboy grinsend.
»Du kommst erst einmal mit in mein Office!«
»Und, was will ich da?«
»Ich werde nachschauen, ob deine Visage sich nicht auf einem Steckbrief wiederfindet. In meiner Stadt haben Satteltramps nichts verloren, verstanden?«
»Und wenn ich mich weigere? Ich bin ein Reisender und außer Alkohol und geilen Weibern habe ich keine Laster!«
»Du weigerst dich?«, zischte der Ordnungshüter böse, und seine Hand fuhr über den Griff seines Colts, der in einem Lederhalfter an seinem Gürtel hing.
»Sheridan, lass den Fremden in Ruhe!«, ertönte es auf einmal hinter dem Deputy-Sheriff. Es war Jeremy Slaters Stimme, der gerade aus dem Saloon getreten war.
»Misch dich nicht in Angelegenheiten ein, die dich nichts angehen, Slater!«, erwiderte der Deputy-Sheriff trotzig.
»Und ich sage es dir noch einmal: Lass