Der Schreiberling. Patrick J. Grieser

Der Schreiberling - Patrick J. Grieser


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zu. Er überragte diesen um mindestens einen Kopf. In der Dunkelheit ließ sich Slaters kantiges Gesicht nur erahnen, trotzdem spürte man Bedrohung und mitleidlose Härte, die von ihm ausgingen. Instinktiv wich der Deputy-Sheriff einen Schritt zurück. Er glich in diesem Moment einer verängstigten Bergkatze, die vor einem mächtigen Löwen zurückweicht. Dann spürte der Cowboy, wie Slater den Blick auf ihn richtete. Die Konturen des mächtigen Mannes waren nun vom Licht des Saloons, das nach draußen fiel, klar umrissen.

      »Das hier ist Sheridan Webster, der sich für den Ordnungshüter dieser Stadt hält«, begann Slater mit knirschender Stimme – eine Stimme, die zu seiner rauen Gestalt wie die Faust aufs Auge passte. »Er ist Desmond Picketts Knecht, der Sklave eines verabscheuungswürdigen Kerls, der meint, mit Angst und Schrecken könne man alles kaufen. Solange Webster macht, was Pickett will, darf er diesen Stern tragen.«

      Sheridan Webster, der Deputy-Sheriff, blieb still. Trotz der Geräusche, die aus dem Saloon drangen, lag so etwas wie eine angespannte Stille über dem Gehsteig. Eine unsichtbare Glasglocke, die alle Geräusche von draußen dämpfte. »Pass auf, Sheridan! Irgendwann wirst du für diese Banditen nichts mehr wert sein und dann werden sie dich zum Teufel jagen!«

      »Wir werden sehen, wer zum Teufel gejagt wird, Slater!« antwortete der Deputy-Sheriff, doch in seiner Stimme klang ein unsicherer Ton mit. Deshalb zog er seinen Hut tief ins Gesicht und würdigte die beiden Männer keines Blickes mehr. Es war ihm sichtlich unangenehm, dass seine innere Unruhe in seiner Stimme mitgeschwungen war. Wie ein Schemen verschwand er in den dunklen Gassen von Cheops.

      »So ein Arschloch!«, murmelte der Cowboy und spuckte auf den Boden.

      Slater bückte seine massige Gestalt unter den Handlauf des hölzernen Laufstegs und trat dem Cowboy direkt gegenüber. Und diesmal streckte er ihm die Hand entgegen. »Mein Name ist Jeremy Slater, aber das weißt du bestimmt schon – sonst hättest du nicht nach einem Job gefragt!«

      Der Cowboy ergriff die Hand und musste sich sichtlich anstrengen, vor lauter Schmerz keine Grimasse zu schneiden. Der Händedruck seines Gegenübers war so stark, dass er das Gefühl hatte, Slater würde ihm alle Knochen brechen.

      »Mein Name ist …«, er stockte für einen Moment, denn seinen alten Namen hatte er schon lange abgelegt. »Ich bin Rainer.«

      »Du siehst aus, als hättest du einen langen Ritt hinter dir! Es sind noch ein paar Meilen bis zur Blue-Lodge-Ranch, aber wenn du die Zähne zusammenbeißt, dann kannst du in einem warmen Bett bei mir auf der Ranch schlafen und eine heiße Bohnensuppe am Lagerfeuer genießen!«

      Slater mochte zwar ein hartes Äußeres haben, das in der Vergangenheit schon viele Prüfungen zu überstehen hatte und ihn zu dem gemacht hatte, was er jetzt war, aber in seinem Inneren gab es etwas Gutes, Reines, das Ungerechtigkeiten verabscheute und zu bekämpfen versuchte, wo immer es auftrat. Ihm war sofort klar, dass der Fremde nach dem Verlassen des Saloons Webster in die Arme laufen würde und danach verhaftet, ausgeraubt und womöglich auf Desmond Picketts Ranch verschleppt werden würde.

      »Das weiß ich sehr zu schätzen, Sir!«, sagte der Cowboy und klopfte dem Rancher anerkennend auf die Schulter, wobei er das Gefühl hatte, dass er gegen ein Stück Stahl schlug. An dem muskulösen Mann war kein Gramm Fett zu viel.

      »Gut, dann lass uns losreiten!«

      Die Sonne brannte unbarmherzig auf die Prärie nieder, sodass sich feine Schweißperlen auf der Glatze des Reiters bildeten. Eine seltene Erbkrankheit hatte dazu geführt, dass kein einziges Härchen auf seinem Kopf gewachsen war. In der Schule hatte man Desmond Pickett deshalb gehänselt und Skull-Boy genannt; die Mädchen in seiner Klasse kicherten stets, wenn sie ihn sahen. Dieser Spott hatte ihn geschliffen wie einen rohen Diamanten, machte ihn zu dem, was er heute war: zu einem der mächtigsten und gefürchtetsten Männer in ganz Kansas!

      Er stieg von seinem Pferd und musterte die Männer, die vor ihm auf den Knien im Staub lagen und deren Hände hinter dem Rücken gefesselt waren. Sie schwitzten wie die Tiere. Pickett musterte sie kalt. Seine stumpfen ausdruckslosen Augen wirkten in der Mittagssonne fast farblos. Es war, als blickte man in ein Wesen, das keine Seele besaß. Die perfekte Imitation eines Menschen, dessen Bewegungen wie bei einer Marionette von unsichtbaren Fäden eines Puppenspielers gesteuert wurden.

      Pickett zog ein blau-weiß kariertes Tuch aus seiner Tasche und tupfte sich damit seinen glänzenden Schädel ab. »Wen haben wir denn hier, Gary?« Seine Stimme klang weich und sanft wie bei einem Knaben, der noch nicht in den Stimmbruch gekommen ist. Dabei wirkte die Stimme so fremdartig, dass den knienden Männern ein Schauer über den Rücken lief. Sie tauschten verängstigte Blicke aus.

      Der Mann namens Gary trat nach vorne. Seine Hände umklammerten ein altes Sharpgewehr. Sein Narbengesicht weckte Erinnerungen an eine Ratte.

      »Wir haben diese Bande von Viehdieben entdeckt, als sie unsere Rinder stehlen wollten, Boss!«, entgegnete Gary und zog seinen Hut zurecht, damit ihn die Sonne nicht blendete.

      »Viehdiebe also?«

      »Ganz recht, Boss!«

      »Das stimmt nicht!«, wimmerte einer der gefesselten Männer. »Wir sind Maverickjäger und diese Rinder sind Mavericks! Sie werden kein Brandzeichen auf ihnen finden. Wir tun nichts Illegales!«

      »Diese Rinder gehören zu meiner Stammherde«, sagte Desmond Pickett; in seiner kindlichen Stimme schwangen keinerlei Gefühle mit.

      »Mavericks gehören demjenigen, der sie einfängt, Sir!«, protestierte der Mann auf dem Boden.

      Desmond Pickett trat vor den Maverickjäger. Seine hohen schwarzen Reitstiefel glänzten makellos. Weder Staub noch Dreck befand sich auf der glatten Lederoberfläche. Es unterstrich die Andersartigkeit dieses Mannes.

      »Was sollen wir mit ihnen machen, Boss?«, fragte Gary, der den Lauf des Gewehrs auf den Hinterkopf von einem der knienden Männer gerichtet hatte. In seinen Augen funkelte die Mordlust. Er war ein Bursche, der Gefallen am Töten gefunden hatte.

      Einige von Picketts Männern waren von ihren Pferden abgestiegen und bildeten einen Halbkreis um die Gefangenen.

      »Von welcher Ranch kommt ihr?«, erkundigte sich Pickett.

      »Von keiner Ranch, Sir!«, antwortete der Gefangene, der sich zum Sprecher der Gruppe erhoben hatte. »Wir stammen aus San Juan und wollten eine Herde zusammentreiben, um sie nach Kansas zu bringen, wo die Verladebahnhöfe warten. Sir, wir haben wirklich nichts Illegales getan. Die Rinder haben kein Brandzeichen!«

      Gary sah seinen Boss erwartungsvoll an, um von ihm das Zeichen zum Töten zu erhalten. Doch Desmond schüttelte den Kopf.

      »Ricardo!«, rief er einem seiner Handlanger zu, der etwas abseits bei den Pferden stand. Es war ein schmieriger Kerl, vermutlich mexikanischer Herkunft, dem ein gewaltiger Sombrero auf dem Rücken baumelte. »Ich möchte meine Gäste singen hören!« Der Kerl grinste über beide Ohren und holte etwas aus der Satteltasche seines Pferdes, das zunächst wie ein feiner Draht aussah.

      »Wisst ihr, was das ist?«, wollte Pickett von den Gefangenen wissen. Ricardo hielt den Leuten die Drähte vor die Nase, die unsicher den Kopf schüttelten. »Das sind Klaviersaiten!«, erklärte Desmond Pickett und seine feinen Lippen verzogen sich; in seinem Gesicht war so etwas wie eine Gefühlsregung zu erkennen. Das Gesicht dieses mächtigen Mannes erinnerte an einen grinsenden Totenschädel. »Wenn man einen Mann mit dem Draht einer Klaviersaite aufhängt, dann gibt er wunderbare Laute von sich. Ich bekomme jedes Mal einen Orgasmus, wenn wir Abschaum wie euch am nächsten Baum aufknüpfen!« Ein leises Beben durchzog seinen Körper und ein wohliger Schauer überkam ihn. »Ich möchte euch Pisser singen hören!«

      »Bitte, Sir, ich flehe Sie an … wir haben doch Familien in San Juan …«

      Desmond Pickett gab seinen Männern ein Zeichen. »Knüpft sie da hinten an den Bäumen auf. Ich will sie singen hören!« Und diesmal war so etwas wie Lust in seiner Stimme zu hören.

      Die Gefangenen schrien wild durcheinander, einige versuchten sich aufzuraffen, wollten fliehen, doch sie bekamen den Kolben von Garys Sharpgewehr zu spüren.


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