Das Tartarus-Projekt. Gerd Schilddorfer

Das Tartarus-Projekt - Gerd Schilddorfer


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mit großen Augen und offenem Mund an und vergaß ihre Vorspeisen.

      „Der einzige Platz, wo hier ungestört gevögelt werden kann“, erklärte Melissa ungerührt. „Winter hat vorsichtshalber das halbe obere Stockwerk gesperrt. Im letzten Jahr …“ Ihre Stimme versickerte, während sie einer alten Freundin, die zufällig am Buffet vorbeirauschte, Bussi-Bussi auf beide Wangen hauchte und ein bemühtes Lächeln hinterherschickte. „Im letzten Jahr hat er angeblich ein gebrauchtes Kondom in seinem Zahnputzglas gefunden.“

      Der Weißblonden fiel klirrend die Gabel aus der Hand, während ihre Wangen wieder röter und ihre Ohren immer länger wurden.

      „Von den getragenen Dessous, die überall herumlagen, und der Sauerei in der Badewanne ganz zu schweigen.“ Melissa schaute Landorff wissend an. „Von den seltsamen Flecken an den Fenstern will ich jetzt auch nicht reden. Also – plane voraus, die Toilette ist begehrt.“

      „Irgendwie ist es mir gerade vergangen“, stellte Landorff fest. „Vergiss es. Kann sicher warten bis zu Hause.“

      „Suchen wir uns ein ruhiges Plätzchen zur Nahrungsaufnahme“, beschloss Melissa schließlich, balancierte geschickt Teller und Besteck und einen kleinen Salat, während sie sich suchend umschaute.

      „Garten?“, schlug Landorff vor.

      „Nichts da“, schüttelte Melissa energisch den Kopf. „Mücken-Brutstation, ein Teich grenzt ans Grundstück und ich möchte etwas essen, nicht auf dem Speiseplan der halben Insektenwelt stehen.“

      „Punkt für dich“, musste er zugeben. „Wo bleibt denn deine sprichwörtliche Vorbereitung? Hast du diesmal kein Autan dabei?“

      „Stinkt wie Iltis“, hakte Melissa diesen Punkt ab. „Odeur du malheur. Da kann ich mir gleich mein Douglas-Abonnement sparen. Nichts da, wir bleiben drin.“ Schon segelte sie davon wie ein Teeclipper auf Heimatkurs, umschiffte Milchbubi samt Anhang ohne einen Blick an den Juniormetzger zu verschwenden. Aber Landorff bemerkte, wie ihr Po mit einem Mal Samba tanzte, als sie sicher war, dass Zahlmann junior ihr nachblickte.

      „Also, nochmal. Was ist mit deinem Agenten?“, stieß sie nach, als beide sich auf dem Sofa im makellos weißen Wohnzimmer – weiße Bodenfliesen, weiße Wandbespannung, weiße Möbel, weiße Leinwände, weißes Alles – ein Plätzchen erkämpft hatten.

      „Was soll mit ihm sein? Er tut seit eineinhalb Jahren genau nichts“, brummte Landorff unwillig. Der Lachs schmeckte edel. Vielleicht ein bisschen zu viel Füllung in den Röllchen. Und ein Hauch zu wenig Dill. Landorff spürte, wie seine miese Laune aus den Tiefen des Ignorierens heraufstieg. „Ich hab schon mehr als vier Monate nichts von ihm gehört. Zuletzt schrieb er einen Ansichtskarte aus Marrakesch.“

      „Tourt der mit Edathy durch Marokko? Arbeitet an dessen heißer Biografie?“, wollte Melissa gnadenlos wissen. „Wozu hast du den Typen eigentlich?“

      „Gute Frage. Ich hab gerade den Vertrag gekündigt. Bringt sowieso nichts.“ Landorff attackierte den Rehrücken. Butterweich. Erschossenes Bambi hin oder her, dachte er genussvoll, Herr Salten, tut mir leid.

      „Wie viele Bücher hast du bisher verkauft?“ Melissa war auf Krawall gebürstet und wie immer gnadenlos.

      „Über 100.000 in fünf Jahren“, rechnete Landorff kurz nach. „Definitiv zu wenig für Verlage.“

      „Zu wenig??“ Melissa schaute ihn ehrlich verblüfft an.

      Landorff nickte stumm, während ein Pärchen an dem weißen Sofa vorbeizog. In einer Wolke von Parfum und wild gewordenen Hormonen. Sie, kaum volljährig und rollig wie eine Katze, trug ein Lederhalsband mit Hundeleine, ein enges schwarzes Top und einen Ledergürtel als Rock. Laut kichernd tänzelte sie wie eine Nachwuchs-Mata-Hari um einen glatzköpfigen Bodybuilder mit Hals-Tattoo, der grimmig und unbeeindruckt durch den Raum blickte und sich endlich in einen der herumstehenden weißen Lehnstühle fallen ließ. Als sie sich über ihn beugte, konnte jeder sehen, dass sie von Slips auf Partys nichts hielt.

      „Fifty shades of grey?“, fragte Landorff Melissa, die seinem Blick gefolgt war.

      „Ach was, das Halsband kommt von Fressnapf und der Schlüpfer liegt sicher irgendwo im Obergeschoss“, lästerte sie.

      „Ich dachte, das ist off-limits?“

      „Das ist die einzige Tochter des Hausherrn, du Ignorant“, zischte sie zurück. „Shaneya Winter, achtzehn, dumm wie Stroh, gierig wie Paris Hilton, geil wie Lumpi und im Hauptberuf Tochter. Du kennst wirklich niemanden. Kein Wunder, dass sich deine Bücher nicht verkaufen.“

      Landorff zuckte die Schultern und räumte konzentriert den Hirschen von seinem Teller. Die Preiselbeeren waren köstlich.

      „Und jetzt?“ Melissa kaute mit vollen Backen wie ein Eichhörnchen im Nussrausch.

      Landorff schaute sie fragend an, bevor er einen Blick in die Runde warf. Am Couchtisch zog sich inzwischen ein Typ mit eingefallenen Wangen mit einem Hunderter eine Linie rein und grinste die Welt danach dämlich an.

      „Was heißt – und jetzt?“

      „Naja, du hast keinen Agenten mehr“, erinnerte sie Landorff und verdrehte die Augen. „Niemanden, der in Verlagen den Fuß in die Tür stellt und den richtigen Leuten auf die Nerven geht, um deine Bücher unterzubringen.“

      „In großen Verlagen gehen die Türen schon nicht mehr zu, weil sich die Massen da drängen, um ihren Fuß unterzubringen – und sei es in der Klotür.“ Landorff versuchte, den depressiven Unterton zu unterdrücken, doch es gelang ihm nicht.

      „Naja, wenn der Verleger da gerade sein Geschäft verrichtet“, ätzte Melissa und putzte den letzten Rest Hirsch von ihrem Teller. „Andererseits … wenn er jung und nett ist.“ Sie bekam einen träumerischen Blick, den Landorff nur zu gut kannte. Eine Mischung aus „Wow, ich will dich!“ und „Wo, sagtest du nochmal, sind deine Ferrari-Schlüssel?“.

      „Wenn er jung und nett ist, dann hat er in einem der üblichen Verlage nichts zu sagen, weil er dann nicht auf einem der entscheidenden Posten sitzt“, gab Landorff trocken zu bedenken und riss sie damit aus ihren Tagträumen. „Jung und nett ist bei Verlagen die Azubine der Assistentin der Presseabteilung. Achtzehn Jahre jung oder kurz drüber, süß und unverdorben und voller Tagträume. Sie darf noch keinen Kaffee machen, hat aber schon gelernt, die Bohnen und die Filter einzukaufen. Die sind so was von hilfsbereit und willig. Putzig geradezu. Mit steigendem Alter allerdings …“

      „Hab schon begriffen“, winkte Melissa ab.

      „Dazu kommt die immer kürzer werdende Latenzzeit“, setzte Landorff unerbittlich nach. „Wer länger als zwei Jahre in ein und demselben Verlag ist, der hat etwas zu verbergen, den Anschluss verpasst oder weiß, dass er – Verzeihung, sie – schwanger wird. Das alte Sprichwort ‚Man sieht sich im Leben immer zwei Mal‘ gilt nicht für die Verlagswelt. Da sieht man sich mindestens fünf Mal, wenn du es lange genug im Business aushältst. Wann immer du den Verlag wechselst, die üblichen Verdächtigen aus den Vorjahren, die dir damals die Nerven geraubt haben und dich knapp vor die Tür der Gummizelle gebracht haben, sind schon da. Sie sind aus der Schweiz nach Hamburg, nach München oder Berlin, nach Frankfurt oder Stuttgart gezogen, auf der Suche nach einem Bestseller oder einem Erfolgsautor, der sie endlich schwängert und somit aller Sorgen enthebt. Sie stehen in den Startlöchern, etwa als Leiterin einer Presseabteilung, die aus ganzen zwei Leuten besteht, und prahlen mit einer Visitenkarte, auf der ‚CEO Öffentlichkeitsarbeit‘ prangt. Wenn du jemals etwas brauchen solltest, dann sind sie gerade in einem Meeting oder auf dem Sprung nach Barcelona oder sie kennen dein Buch gar nicht. Haben es nie gelesen, sprechen aber gut davon. Doch Presse ist nicht alles. Da gibt es noch die Marketing-Fachfrau und die Lizenzhändlerin, die Sekretärin oder die Assistentin der Assistentin. Oder die geile Azubine …“

      „Du sprichst immer nur von Frauen!“

      „49 Frauen und ein Mann – der übliche Schnitt der Verlagspopulation“, gähnte Landorff und überlegte, einen Nachtisch anzudenken. „Und die


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