PYROMANIA. DAS WELTENBRENNEN. Victor Boden
und blickte wie erstarrt auf den sterbenden Soldaten, dem das Geekgeschoss die Eingeweide herausgerissen hatte.
»Weiter, Colwell!«, brüllte Brian. »Stehend bist du ein sicheres Ziel!« Er verlangsamte seinen Schritt, bis er sah, dass der Neue sich wieder taumelnd vorwärts bewegte. Auch diese Offensive würde scheitern. Das Sperrfeuer ihrer Gegner wurde heftiger. Die eigene Artillerie hatte das Bombardement der feindlichen Linien längst eingestellt.
Brian warf sich hinter die nächste Deckung, die das flache Gelände bot – eine Anhäufung von Steinen, die auf Dauer wenig Schutz bieten würde. Erleichtert sah er, wie Colwell es ihm gleichtat.
Jetzt war es an der Zeit, einen Feuergürtel aus Plasmageschossen zu legen, um den Rückzug zu decken. Um zielen zu können, musste er sich allerdings aus dem Schutz der Steine erheben.
»Colwell«, zischte er gepresst. »Feuerschutz!«
Der Neue nickte ihm zu, brachte sein Impulsgewehr in Stellung und begann zu feuern. Brian hob sein Plasmagewehr von den Schultern, sprang auf und visierte sein Ziel an. Das Plasmagewehr spuckte seine Ladung auf die feindlichen Stellungen. Dann verstummte das Geräusch der Impulsgarben neben ihm.
»Deckung!«, brüllte Colwell und schlug wild gegen seine Waffe. »Ladehemmung!«
Doch es war schon zu spät, um zu reagieren. Direkt neben Brian schlug ein feindliches Geschoss ein und pulverisierte Stein. Das Nächste würde seinen Namen tragen.
Es tut mir leid, Mutter, dachte er, dann stürzte etwas auf ihn, riss ihn um und er prallte hart auf den Boden. Eine Schrecksekunde lang erwartete er die Schmerzen des nahenden Todes, doch sie kamen nicht. Er war nicht verletzt, nur atemlos vom Aufprall.
Aber er hatte den Einschlag gespürt! Dann dämmerte ihm die Erkenntnis: Das Projektil hatte nicht seinen Körper durchschlagen, sondern denjenigen, der ihn zu Boden gerissen hatte. Er wälzte sich herum.
»Colwell!«
Der Rekrut lächelte und spuckte Blut.
Schmetternde Explosionen, Schreie, Stöhnen. Sein olfaktorischer Sinn schien derartig geschärft, dass er die Gerüche aus metallenem Blut und ausgeschwitzter Angst überdeutlich wahrnahm.
Derek schaute in den dunklen Himmel. Er würde sterben. Das war alles, was er tun konnte. Seine Eingeweide ließen sich nicht mehr zurückstopfen. Aber er hatte ein Leben gerettet. Wenigstens eine Mutter würde ihren Sohn wieder in die Arme schließen können.
Der blutrünstige Krieg würde seine unstillbare Gier weiterhin mit Toten befriedigen. Lange Zeit. Vielleicht endlos.
Sein skrupelloser Großvater hatte diese Bestie entfesselt. Sein charakterloser Vater fütterte sie. Als Gegenleistung für die abgeschlachteten Opfer schenkte das unersättliche Monster seiner Familie Reichtum. Ob sein Sohn diese Tradition eines Tages fortführen würde? Die Wahrscheinlichkeit lag hoch.
Doch für ihn: Stille. Dunkelheit. Frieden.
Vorabveröffentlichung in
Thomas Heidemann, Detlef Klewer, Katharina Groth & Christian Künne
Chroniken der Nachwelt: Am Rande des Abgrunds
Eridanus Verlag, Februar 2017, ISBN 978 3 946348 15 3
bzw. 978 3 946348 17 7
Markus Cremer: Notruf von Varietas
Mit schwungvoller Handschrift setzte die Kapitänin Patricia Woods ihre Unterschrift unter die Schilderung des letzten Abenteuers der Jules III. Voll Ingrimm dachte sie an die Sklavenhändler und ihre Absicht, die Besatzung ihres Schiffes an den Meistbietenden zu verschachern. Sie steckte das zusammengerollte Papier in eine Glasflasche und verkorkte den Inhalt. Das Miniaturschott kurbelte sie langsam nach unten. Ein Fehler und sie würde in den Weltraum gesogen. Gerade platzierte sie die Flasche im Schott, als ihre Kabinentür aufgerissen wurde.
»Wer wagt es!«, schrie sie und wirbelte auf ihrer Beinprothese herum. Unwillkürlich packte ihre Hand die kurze Peitsche.
Im Türrahmen stand der breit grinsende Matt Christie, ihr Erster Offizier. Da die Besatzung durch den Unfall enorm dezimiert worden war, bestand die Crew aus insgesamt sieben Menschen. Die »Gäste« nicht mitgerechnet.
»Da draußen befindet sich etwas wirklich Interessantes«, sagte er und sah sich in ihrer Kabine um.
»Auch ein Erster Offizier hat sich an das Protokoll der Königlichen Marine Ihrer Majestät zu halten«, brauste Patricia auf. »Sie klopfen an! Immer!«
Matt Christie grinste sie an und zeigte dabei seine goldenen Zähne. »Würde ich tun, doch in Anbetracht unserer prekären Situation und der Aussicht auf einen noch unentdeckten Planeten voraus, dachte ich …«
»Unsere prekäre Situation, wie Sie die unglückselige Explosion unseres Hauptkessels bezeichnen, hat nichts mit dem Verhalten an Bord dieses Schiffes zu tun.«
»Der Kapitän sah dies anders«, erwiderte Matt.
»Kapitän Hillary ist tot, ich bin jetzt die neue Kapitänin!«
»Wir sind mit Ihrer Arbeit auch wirklich zufrieden«, sagte Matt. Das Grinsen verließ nicht eine Sekunde den Bereich unterhalb seines gewaltigen Schnurrbartes.
Ohne es zu wollen, mochte sie diese Art von Verwegenheit und Disziplinlosigkeit. Zumindest ein wenig, obwohl sie dies nie zugeben würde.
»Für diese Unverschämtheit gehören Sie ausgepeitscht!«, sagte sie.
Etwas an diesem ehemaligen Piraten brachte sie stets unverzüglich in Rage. Warum? Es war nicht nur seine Weigerung, sich jeder Hierarchie zu unterwerfen. Die Lässigkeit, mit der er seinen Dienst im Angesicht ihrer bedrohlichen Lage verrichtete, verblüffte sie in hohem Maße.
»Wie dem auch sei, der Planet zeigt einen ungewöhnlichen Anhang. Bonnie vermutet, dass es sich um einen wunderlichen Trabanten handelt. Möglicherweise ein Raumschiff.«
»Was? Wo? Warum erzählen Sie mir dies nicht sofort?!« Sie stieß ihn zur Seite und humpelte in Richtung Brücke davon.
Ihr Erster Offizier folgte ihr mit dem gemurmelten Spruch: »Wie immer ist sie mir einen Schritt voraus.«
Sie überhörte den Spruch bewusst.
Auf der Brücke hielt der dunkelhäutige Kanonier Jambaar das Steuerrad, während die Forscherin Bonnie Leach Messungen am Fernrohr vornahm.
»Kapitänin auf der Brücke«, schmetterte ihr die dumpfe Stimme Jambaars entgegen.
»Weitermachen«, befahl Patricia und begab sich an die Seite von Bonnie. Die Expertin für Ätherkunde blickte auf und sah sie mit dem aufgeregten Blick eines Kindes an.
»Die Kurzfassung«, forderte Patricia.
»Schwer zu sagen«, begann Bonnie, »ich empfange widersprüchliche Signale. Vor uns befindet sich so etwas wie ein Planet. Ich habe ihn ›Varietas‹ getauft.«
»Sie haben was?«, fragte Patricia verblüfft. »Diese Sache obliegt dem Kommandanten der Operation …«
»Möglicherweise beim Militär«, unterbrach Bonnie. »In der Welt der Wissenschaften wird dies anders geregelt.«
Der Peitschengriff knirschte unter Patricias Fingern.
»Wie auch immer, was ist mit diesem Planeten? Glauben Sie, wir könnten unseren Kessel dort reparieren lassen?«
»Ich bezweifele es, denn die Äthersignatur von Varietas ist verblüffend, um es einmal laienhaft darzustellen. Es scheint sich bei allen Lebensformen um Variationen derselben Signatur zu handeln.«
»Weiter?«
»Es könnte sich um einen Fehler der Detektoren handeln oder um ein ungünstiges Verhältnis von Signalstärke zum Hintergrundrauschen …«