Morphium / Nach dem Tode / Doctor Cäcilie. Adine Gemberg

Morphium / Nach dem Tode / Doctor Cäcilie - Adine Gemberg


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aus seiner Brusttasche ein kleines Glas. Wie wenig er ihr gab, das war ja fast nichts – ah diese Enttäuschung –! War das ein Scherz oder – – –

      Da ging es wie ein Ruck durch all ihre Nerven – wie ein Schlag traf die ungekannt starke Lösung ihr Gehirn. Sie griff nach der Stirn und dann nach der Brust. Es rieselte ihr unter der Haut wie Sand ein angstvolles Unbehagen erfasst sie.

      Er sah, wie kalte Schweißtropfen auf ihre Stirn traten und wie ihr Gesicht sich entfärbte. »Habe ich Ihnen zu viel gegeben, gnädige Frau?« fragte er.

      »Nein,« stammelte sie halb bewusstlos, »bitte beobachten Sie mich nicht, es wird mir schon wieder wohl – sehr wohl. –

      Ihre Hände zitterten, wie sie das sagte, wie aus weiter, weiter Ferne hörte sie ihre eigene Stimme – die Steigerung des Genusses! –

      »Ich schreibe ein Buch über den Missbrauch der verschiedenen Narkotika und mache zu dem Zwecke meine Beobachtungen, bitte entschuldigen Sie daher den indiskreten ärztlichen Blick,« sagte er höflich.

      Ein Buch?« – Sie nahm alle Willenskraft zusammen, um zu sprechen, als sei nichts geschehen. Er sollte nicht denken, die Dosis sei zu stark für sie gewesen; sie wusste nicht, dass sie den Ehrgeiz, recht viel vertragen zu können, mit all ihren Leidensgenossen teilte.

      »Ein Buch,« – wiederholte sie noch einmal langsam und mit schwerer Zunge. Es war ihr, als hätte sie Sand im Munde, sie konnte kaum sprechen, aber sie sprach nun doch. »Wollten Sie Ihrer ärztlichen Tätigkeit nicht entsagen, sagten Sie das nicht kürzlich?«

      »Nein,« entgegnete er, »vorläufig muss ich noch als Assistenzarzt in der Nervenheilanstalt tätig sein. Ich habe keine Privatpraxis, und der Chef lässt mir so viel freie Zeit wie möglich. Er interessiert sich selbst für meine Arbeit, zu der mir meine Erfahrungen in seiner Anstalt den Stoff bieten. Nach Fertigstellung meiner Broschüre werde ich allerdings meine jetzige Stellung verlassen.

      Der Professor sagte neulich, Sie wollten Universitätslehrer werden? O wie mühsam brachte sie die Worte über die Lippen!

      »Ich will gar nichts werden,« antwortete er dumpf. »Mein Buch,« – er lachte in sich hinein, es war ein so eigenes Lachen, dass Lydia selbst in dem Taumel ihrer Sinne davon erschreckt den Kopf hob.

      »Nun was ist denn mit ihrem Buche, weshalb lachen Sie?«

      »Ach, Verzeihung, es kann ja niemand wissen, wie komisch ich mir das denke, wenn einmal, natürlich nach meinem Tode, der kluge Professor, der den Morphinismus mit allen Waffen der Wissenschaft bekämpft, das Werk seines ehemaligen Assistenten lesen wird.

      »Aber weshalb schreiben Sie denn das Buch, wenn Sie den Standpunkt der anderen Nervenärzte nicht zu teilen vermögen?« fragte Lydia, sichtlich unangenehm berührt von dem sonderbaren Benehmen ihres Gefährten.

      »Mein Buch wird ein wissenschaftlicher Protest gegen das Verbot des freien Verkaufes der narkotischen Mittel,« sagte er nun beinahe feierlich.« »Persönlich leide ich nicht unter diesem Verbote, denn ich bin Arzt, aber ich kenne die Verzweiflung und den Jammer des Morphinisten, der sich der Unmöglichkeit gegenüber sieht, sich Morphium zu verschaffen.

      Anständige, hochachtbare Leute greifen in ihrer Verzweiflung zu den ehrlosesten Mitteln, und von diesem Jammer will ich sie zu erlösen versuchen. Ich habe ein Material gesammelt, welches entsetzliche Schlaglichter auf diese Zustände wirft. Gegen das Versprechen ihnen zu helfen, für ein einziges Rezept haben zahlreiche Unglückliche mir gebeichtet. Ach – ich weiß, wie tief sich einige, sonst reine, unnahbare Naturen gedemütigt haben, um durch Bestechung, durch Betrug, einerlei wie, zu dem zu gelangen, was sie bedürfen, wie der Hungrige Brod bedarf, um sich zu erhalten.«

      Sie erhob sich halb und sah mit gefalteten Händen zu ihm herab. »Sie wollen helfen, Sie könnten helfen – o Gott Herr Doktor, nein, nein, Sie können auch den Wall von Härte und Verständnislosigkeit nicht niederreißen, an dem Tausende rütteln und an dem Alle, Alle ohnmächtig abprallen.«

      »Ob ich es kann, weiß ich allerdings nicht, aber ich will es wenigstens versuchen«, sagte er, etwas zur Seite rückend, so dass sie wieder Platz nehmen konnte. »Ich will wenigstens vor der Welt die dunklen Wege erhellen, auf die man mit erbarmungsloser Härte eine Menge kranker Menschen gedrängt hat. Ich will es zeigen, wohin ein Gesetz führt, das nur dazu da ist, umgangen zu werden, weil es nicht befolgt werden kann. Die ganze Kraft meiner geistigen Fähigkeiten stelle ich in den Dienst dieser Aufgabe, dieses Strebens, das mir edel und würdig erscheint, weil es dem willkürlich Unterdrückten, der nichts verbrach, zu Hülfe kommen will. Die Menschheit soll darüber aufgeklärt werden, wie weit die Bevormundung der Polizei geht, und auch Nicht-Morphinisten hoffe ich für die Frage zu interessieren, die ihnen jetzt gleichgültig ist.«

      »Und dann?«

      »Und dann?« Träumerisch wiederholte er die bange Frage, die sie leise aussprach. »Ja dann, gnädige Frau – zu Ende führen werde ich den Kampf nicht. Ich kann nur noch so lange leben, wie ich zu genießen vermag. Nennen Sie es Egoismus, Krankheit, Schwäche, wie Sie wollen, aber wenn einmal die Stunde kommt, in der meine Nerven aufhören zu reagieren, die Stunde, in der auch die letzte Steigerung und Komplikation nicht mehr zum Genuss führt, dann lege ich die Feder aus der Hand. Mit dem Leben hört auch die Verpflichtung auf, weiter zu kämpfen.«

      »Mit dem Leben?«

      »Natürlich, liegt denn nicht das Ende des Lebens ebenso in unserer Hand, wie der Genuss, dem wir uns ergeben?«

      Sie schauderte doch bei dieser letzten Konsequenz, zu der er so leicht und ruhig gelangte. Sie befand sich ja auf demselben Wege wie er. »Das Andenken der Gerechten bleibt im Segen«. – Wie Feuer tanzten die Buchstaben der Inschrift vor ihren Augen. Genuss, Genuss des Lebens, und dann das Ende. Das Leben fortwerfen, das nichts mehr bietet, tönte es neben ihr. Sie glaubte, alles drehe sich im Kreise um sie her, nur der schwarze Grabstein vor ihr stand fest in dem Wirbel, aber er glühte und flammte von der untergehenden Sonne beleuchtet, es tat ihr weh, darauf niederzusehen.

      Vorher hatte sie sich so leicht, so frei gefühlt, und nun dieser Schwindel und dieser Druck um die Stirn, wie von einem eisernen Bande. Das war also die Steigerung ihrer Genüsse.

      »Ist das ein Lebenszweck, Genuss, nur Genuss, der sich steigert, bis er aufhört, weil der Körper versagt?« fragte sie leise.

      »Gewiss, Frau Bremer, der Genuss ist ebenso gut ein Lebenszweck, wie die Arbeit,« sagte er, »es kommt nur darauf an, dass man seine moralischen Grundsätze damit in Einklang zu bringen versteht. Indirekt dient so mancher ausschließlich dem Genuss des Lebens. Der Künstler schafft seinen Nebenmenschen und sich selbst geistige Genüsse, Andere wieder begnügen sich damit, sich in den Dienst des materiellen Behagens zu stellen. Es gibt aber noch ein Drittes im Menschen, das außer den groben Organen des Körpers, außer dem Geiste, fähig ist zu genießen, das sind die Nerven. Warum soll ich nicht meinen Lebenszweck darin suchen. Anderen zugänglich zu machen, was mir eine so große Befriedigung der Nerven bringt? Es haben schon Leute sich mit geringeren Aufgaben für ihr Dasein begnügt, und ich habe nicht umsonst gelebt, wenn ich auch nur einen Stoß führe, der das Gesetz in's Schwanken bringt, das ich bekämpfe.«

      »Ich wollte, ich könnte an Ihren praktischen Erfolg glauben, Sie kämpfen ja gegen eine empörende Ungerechtigkeit.«

      »Der Drogist, der Arzt, selbst Krankenwärterinnen vermögen sich stets Morphium zu verschaffen. So lange es unter einigen dieser Leute Armut und Bestechlichkeit gibt, wird das süße Gift auch käuflich bleiben, indirekt käuflich, – allerdings nur um sehr hohen Preis.«

      »Ich glaube auch, dass es dem Unbemittelten sehr häufig positiv unmöglich gemacht wird, die Hindernisse zu besiegen, die das Geld überwindet. Ist das nicht auch eine soziale Seite unserer Frage?« meinte Turnau.

      »Der Arme hat den Alkohol,« wandte sie ein.

      »Den Alkohol? Ja,« er wurde bitter, fast leidenschaftlich in seinem Ton. »Die Genusssucht des Volkes ist eben eine brutale Macht, der man nicht mit einem einfachen Verbot des Verkaufs begegnen kann. Feinere Nerven brauchen raffiniertere Genüsse. Der Alkohol


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