Morphium / Nach dem Tode / Doctor Cäcilie. Adine Gemberg

Morphium / Nach dem Tode / Doctor Cäcilie - Adine Gemberg


Скачать книгу

      Sie sah müde zu ihm auf. »Öde und traurig,« wiederholte sie sinnend. »Nein, ich kann das eigentlich von meinem Leben nicht behaupten; mein Mann ist sehr rücksichtsvoll und die Kinder – aber Sie, wieso finden Sie Ihr Dasein nicht nach Ihren Wünschen?«

      Er antwortete nicht, und sie empfand es unbehaglich, dass sie den jungen Mann beinah zu einem persönlichen Vertrauen aufgefordert hatte, das er ihr nicht in der freundschaftlichen Weise entgegenbrachte, in welcher er sich bisher gegen sie ausgesprochen hatte.

      »Befinden Sie sich jetzt wohler, gnädige Frau?« fragte er nach einigen Minuten des Schweigens.

      »O vollkommen wohl!«, versicherte sie rasch aufstehend.

      Er bot ihr den Arm, und sie nahm ihn unbefangen an. Er bemerkte in diesem Augenblicke, dass sie elegant gekleidet war. Ihre Anmut und Grazie berührten ihn sympathisch, aber es lag ihm fern, sich in das schöne Weib eines anderen zu verlieben. Nicht sein sittliches Bewusstsein schützte ihn davor; es hatte Zeiten gegeben, wo er den Vorteil seiner Lage erkannt und benutzt haben würde, aber diese Zeiten waren vorüber. Wie eine Lähmung lag der gewaltige Einfloss des Morphiums und des Äthers auf seinen Nerven und Sinnen.

      Auch Lydia, die Gattin eines älteren, pedantischen, trockenen Mannes, dachte nicht daran, dass in ihrem vertraulichen Verkehr mit dem jungen Arzte irgendetwas Unerlaubtes sein könne. Aber auch sie handelte nicht in vollem Bewusstsein tugendhafter Ehrbarkeit, sondern ebenfalls unter dem Einfluss einer krankhaften Abstumpfung ihrer natürlichen Gefühle und Triebe.

      »Das Andenken der Gerechten bleibt im Segen,« sagte sie leise mit einem Abschiedsblicke nach ihres Vaters Grab.

      »Wenn ich mein Vermögen der Stadt hinterlasse, bekomme ich am Ende auch einmal eine so schöne Grabschrift,« scherzte Turnau. Es war wieder das, was Lydia kokettieren mit Weltschmerz und Todesahnungen nannte. Andere urteilten noch härter über diesen eigentümlichen Charakterzug des jungen, wohlhabenden Mannes. Man hielt ihn im allgemeinen auch nicht für so krank wie er war, und sah in dem aus seinem Wesen sprechenden Lebensüberdrusses nur die Folgen einer übermäßigen Blasiertheit, der nichts mehr genügte, was sich an Genüssen des täglichen Lebens ihm bot.

      »Soll ich dafür sorgen, dass man auch Sie nach Ihrem Tode zu den Gerechten erhebt?« fragte Lydia, lächelnd auf seinen Ton eingehend,

      »Es wäre unbescheiden, gnädige Frau; für einen armen Morphinisten wird sich schon noch ein demütigeres Verslein finden.« »Wohl der Menschheit, wenn jeder seine Grabschrift verdient hätte,« antwortete sie, mit einem Blick über alle die Kreuze und Steine hin schweifend, die in steinernen Lettern so viel von Liebe und Tugend zu erzählen wussten, wie man im Leben wohl selten beisammen finden wird.

      Dann trat sie auf das Weihwasserbecken zu, bekreuzte sich mit dem Wasser, verließ an Turnaus Arm den Kirchhof und fuhr mit ihm zusammen in ihrem Wagen, der auf sie gewartet hatte, nach Hause.

      Vor der Bremerschen Villa dehnte sich ein von Rosenbeeten unterbrochener Rasen aus, dessen Mitte ein zierlicher Springbrunnen bildete. Eine Allee von Kastanienbäumen führte zu dem etwas von der Straße zurückliegenden Gebäude und an demselben vorbei nach dem dahinter liegenden Garten.

      Auf dem Kieswege unter den schattigen Bäumen spielten zwei hübsche Kinder unter der Aufsicht einer Bonne. Als sie ihre Mutter aus dem Wagen steigen sahen, wollte das junge Mädchen sie zu der Ankommenden führen, um diese zu begrüßen. Die Kinder aber hingen sich an ihre Pflegerin und steckten die Köpfe in die Falten des einfachen schwarzen Wollkleides, welches das Fräulein trug.

      Die Bonne versuchte, sich von ihnen los zu machen und zeigte bei diesen lebhaften Bewegungen, in dem eng anschließenden, schlichten Kostüm eine vollendete Grazie. Sie war tadellos gewachsen, jede Bewegung war schön, so dass Turnau, der sonst wenig Sinn für weibliche Reize hatte, davon ganz betroffen war.

      »Wer ist die junge Dame?« fragte er leise.

      »Fräulein Wagner, eine Fröbel'sche Kindergärtnerin, erst seit kurzer Zeit bei mir,« sagte die Geheimrätin; dann begrüßte sie die Kinder, die endlich widerstrebend, mit scheuen Blicken auf den Begleiter ihrer Mutter, herbeikamen.

      Auch das Fräulein begrüßte jetzt ihre Herrin. Das Gesicht des jungen Mädchens war breit und gewöhnlich. Die Züge waren grob, selbst die freundlich blickenden grauen Augen zu klein und zu tief liegend, um dem Gesichte irgend welchen Reiz geben zu können. Trotz der schönen Gestalt war das Mädchen nicht hübsch, nur die Lippen waren blühend und rot, die Zähne glänzend weiß, und ein Ausdruck von Jugendlust, Frohsinn und Güte verklärte die ganze Erscheinung.

      »Mein Gott, Fräulein, wie albern sich die Kinder noch immer benehmen, wenn Gäste da sind, gewöhnen Sie ihnen das doch ab,« tadelte die junge Frau.

      Die Bonne schwieg, sie wusste nur zu wohl, dass die Kinder sich jedes Mal weigerten, wenn sie ihre Spiele verlassen sollten, um auf einen Augenblick der Mutter zugeführt zu werden.

      Mit nervöser Hast streichelte Lydia die rosigen Gesichter und die feuchten Blondhaare der Kleinen. »Wie sie erhitzt sind, ist es hier denn so heiß?« wandte sie sich wieder an Fräulein Wagner.

      »Wir haben Federball gespielt, gnädige Frau, wir waren so sehr vergnügt dabei und haben uns so oft gebückt, davon sind wir so rot.«

      Dabei strahlten die Augen des jungen Mädchens und der Mund schien ein schelmisches Lächeln kaum unterdrücken zu können.

      »Es ist gut Fräulein, beschäftigen Sie die Kinder aber jetzt ruhiger,« entschied die totenblasse Frau. Dann wandte sie sich mit ihrem Begleiter von der heiteren Gruppe der an das Mädchen geschmiegten Kinder ab.

      »Wollen sie meinen Mann nicht noch begrüßen?« fragte sie dann den Doktor, der Haustür zugehend.

      »Es ist mir unmöglich, gnädige Frau, ich bin nicht wohl genug dazu.«

      »So danke ich Ihnen umso herzlicher für Ihre Begleitung.«

      »O bitte, das ist kein Umweg für mich, außerdem will ich Ihnen auch im Vertrauen gestehen, gnädige Frau, dass der kurze Aufenthalt in Ihrem Garten für mich ein Genuss war.«

      »Ein Genuss? Ah – da wäre ich doch begierig.«

      »Ja, auf die Gefahr hin, dass Sie mich auslachen. Es war ein Genuss für mich, Ihr neues Kinderfräulein zu sehen.«

      Ein sehr erstaunter Blick der Geheimrätin suchte das junge Mädchen. »Fräulein Wagner ist vorzüglich gewachsen, sonst aber doch beinahe hässlich zu nennen,« meinte sie dann.

      Doctor Turnau folgte mit einem unsagbar müden, schwermütigen Blicke der blühenden Mädchengestalt. »Sehen Sie einmal das glatte, glänzende, natürliche Haar an, gnädige Frau.«

      Lydia lachte auf. »Aber bester Doktor, dieses schlichte, glatt zusammengedrehte braune Haar ist doch etwas außerordentlich Gewöhnliches, was finden Sie denn daran so schön?«

      »Die körperliche Gesundheit, die diesen Haarwuchs bedingt,« antwortete er nachdrücklich. »Ich behaupte durchaus nicht, dass diese junge Person schön sei; ich weiß auch, was schön ist, aber sie ist gesund, durch und durch gesund. Ein Hauch von Jugendfrische und Kraft umgibt sie und macht sie reizend.«

      »Wäre das etwa Ihr Geschmack?« Sie zweifelte noch immer an dem Ernst seiner Worte.

      »Ich bin schon seit mehreren Jahren Kliniker,« antwortete er. »Alles, was mich umgibt, ist krank und hinfällig. Auch unsere Pflegerinnen sind zum größten Teil überarbeitet und nervös, die meisten Kollegen sind noch nicht in den gewissermaßen behaglichen Ruhestand der Privatpraxis eintreten, sie arbeiten mit Feuereifer, keiner schont sich. Die entsetzliche Luft des Laboratoriums vergiftet uns alle. Viele von uns bedürfen auch in dieser Zeit übermäßiger, geistiger Anstrengung künstlicher Anregungsmittel. Es vergehen oft Tage, an denen ich faktisch keinen einzigen normalen, gesunden Menschen sehe, – ist es da nicht erklärlich, dass ein solches Bild blühender jungfräulicher Frische und Kraft für mich etwas sehr Anziehendes hat? Bitte, sehen sie nur die roten ausgearbeiteten


Скачать книгу