C -Die vielen Leben des Kohlenstoffs. Dag Olav Hessen
1900, in der Schweden als wissenschaftliche Großmacht galt. Viele von ihnen hatten auch mit Kohlenstoff zu tun, und Carl Wilhelm Scheele (1742–1786) war ohne Zweifel einer der Bedeutendsten. In den Archiven von Lavoisiers Witwe fand man den Brief des Chemikers, der bewies, das Scheele schon vor Priestley und Lavoisier zu wichtigen Erkenntnissen gekommen war. Das belegt auch sein Buch Chemical Treatise on Air and Fire aus dem Jahr 1777. Dies zeigt wiederum nur einen Bruchtteil von dem, woran Scheele gearbeitet hat. Er schrieb Artikel über eine bedeutende Anzahl von Elementen des Periodensystems und stattete auch der organischen Chemie einen Besuch ab. Er schrieb über Fette, Milchzucker, und analysierte die Säure in Rhabarber. Ein weiteres Universalgenie? – Zumindest in der Domäne der Chemie.
16Jöns Jacob Berzelius (1779–1848) gilt zusammen mit Lavoisier als einer der Gründerväter der Chemie als eigenständiger Wissenschaft (wie auch Robert Boyle und John Dalton). Berzelius fügte dem Periodensystem viele neue Elemente hinzu. Des Weiteren trug er mit seiner Forschung massiv zum Verständnis der Verhältnisse zwischen den Elementen bei. Mehr zu Berzelius in: Karolinska Institutet 200 år – 1810–2010.
17Friedrich Konrad Beilstein (1838–1906), geboren in St. Petersburg, mit deutschen Wurzeln. Schüler Liebigs und Begründer des Beilstein Journal of Organic Chemistry.
18Und wieder Carl von Linné. Mit seiner Katalogisierungsarbeit leistete er einen großen Beitrag, aber man muss gestehen, dass er ordentlich daneben lag. Heutzutage lässt sich nicht sagen, wie viele Arten existieren, auch weil der Artenbegriff ein problematischer ist, besonders was einfache und einzellige Organismen betrifft. Nach heutigem Stand sind ungefähr 1,7 Millionen Arten beschrieben. Die totale Anzahl liegt wahrscheinlich bei 8 Millionen oder mehr. Mehr über Carl von Linné und die Anzahl der Arten in: Hessen, D. O. (2000): Carl von Linné. Gyldendal. Mora, C. et al. (2011): How Many Species Are There on Earth and in the Ocean? Plos Biology DOI: 10.1371/journal.pbio.1001127
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Ein Meister der Verkleidung: das Weiche, Harte, Runde
Verbindet Kohlenstoff sich mit Wasserstoff, stellt dies den Übergang von der anorganischen zur organischen Chemie dar.19 Dies ist eine wichtige Trennlinie innerhalb der Welt der Chemie. Ausgangspunkt der organischen Chemie ist die für lebende Materie typische Verbindung von Kohlenstoff mit Wasserstoff. Das einfachste organische Molekül ist das Methan (CH4), häufig ein Produkt lebender Organismen, trotzdem aber kein Bestandteil des Lebens selbst. Ein Großteil der schier unendlich vielen organischen Verbindungen sind synthetischen Ursprungs. Das Wort organisch muss deshalb aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden als in anderen Bereichen. So gilt zum Beispiel das Insektizid DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan), eine Kohlenstoff-Chlor-Verbindung, bestehend aus zwei sechseckigen Kohlenstoffringen mit angelagerten Chloratomen, aus Sicht eines Chemikers als organische Verbindung, während die biologisch-organische Landwirtschaft gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass weder DDT noch andere Spritzmittel zur Anwendung kommen. Die Chemiker berufen sich, was die Bezeichnung »Organische Chemie« angeht, auf eine 120 Jahre alte Tradition. Bemerkenswert ist aber auch der Molekülaufbau des DDTs, denn während die chemische Formel Cl5H9C14 lautet, also 5 Chlor-, 9 Wasserstoff- und 14 Kohlenstoffatome, stellt man die Strukturformel in der Regel wie folgt dar:
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Abbildung 3: DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan) – ein organisches Molekül, das in der biologisch-organischen Landwirtschaft aber verboten ist. In jeder Ecke der Sechsecke sitzt ein Kohlenstoffatom.
Es wird bei dieser Darstellung davon ausgegangen, dass in jeder Ecke und an jeder Bindung ein Kohlenstoffatom sitzt, was zu den insgesamt 14 Kohlenstoffatomen führt. In der organischen Chemie ist das derart selbstverständlich, dass man sich nicht einmal mehr die Mühe macht, die C-Atome einzuzeichnen. Genauso selbstverständlich ist die Tatsache, dass die 9 nicht erkennbaren H-Atome die vierte Bindung jedes C-Atoms, und die Doppelstriche Doppelbindungen darstellen (Kohlenstoff hat vier sog. Außenelektronen und damit vier normale Bindungsmöglichkeiten).
Grundsätzlich kommt Kohlenstoff in der Natur in drei reinen Formen vor: Graphit und Diamant sind schon lange bekannt, erst in jüngerer Zeit entdeckt wurde hingegen das Fulleren. Jeder weiß, dass sowohl das »Blei« im Bleistift als auch der Diamant aus reinem Kohlenstoff bestehen, und es fasziniert uns, dass das extrem Weiche und Billige und das extrem Harte und Teure aus derselben Substanz bestehen sollen. Dass der Diamant nicht nur in die Welt des Kohlenstoffs gehört, sondern aus reinem Kohlenstoff besteht, konnte bereits 1772 von Lavoisier nachgewiesen werden. Wenig später stellte sich dann heraus, dass das »Blei« im Bleistift, kein Blei war, wie man lange geglaubt hatte, sondern ebenfalls Kohlenstoff. Sowohl der Diamant als auch der Graphit geben bei ihrer Verbrennung die ihrem Gewicht entsprechende Menge CO2 ab.
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Einer der weltweit größten und bekanntesten Diamanten ist der Koh-i-Noor, der mit seinen ursprünglich 793 Karat über 5.000 Jahre hinweg von einem Herrscherhaus zum anderen weitergegeben wurde.20 Der allergrößte bisher bekannt Diamant ist der Cullinan-Diamant mit 3.106 Karat (620 Gramm) im ungeschliffenen Zustand, gefunden 1905 in Südafrika. Die seit Jahrhunderten andauernde Faszination für Diamanten ist sicher durch ihre Seltenheit und Beständigkeit zu erklären. Dabei ist auch die Lebensdauer von Diamanten nicht unbegrenzt, ja, man kann sie sogar verbrennen. Ihr Schmelzpunkt liegt bei 3.200 °C und ihr Siedepunkt bei 4.200 °C. An der Luft brennt ein Diamant aber schon bei 800 °C, nach der simplen Reaktionsgleichung C+O2=CO2. Aber wie kann ein und derselbe Stoff Ausgangspunkt dieser Extreme sein? Noch verblüffender als diese Frage ist die Tatsache, dass aus Graphit Diamant werden kann und aus Diamant Graphit, vorausgesetzt man setzt sie der richtigen Kombination aus Druck und Temperatur aus.
Der älteste Graphit, den wir kennen, ist möglicherweise auch ein Beweis für das älteste Leben hier auf diesem Planeten. Er wurde in einer Schicht von 3,8 Milliarden Jahre alten Sedimentgesteinen in Grönland gefunden und ist so rein, dass man damit schreiben kann. Er enthält das Isotop 13C (auf das wir noch zu sprechen kommen werden), was ein starker Hinweis auf seinen biologischen Ursprung ist. Einen abschließenden Beweis dafür werden Page 44wir aber nie erhalten. Der Graphit besteht aus Schichten von zu Sechsecken verbundenen Kohlenstoffatomen. Die Schichten werden von schwachen Bindungskräften zusammengehalten, sodass sie sehr leicht getrennt werden können. Dafür reicht schon die Reibung der Mine auf dem Papier. Im Diamant hingegen sind die Kohlenstoffatome in einem nahezu unangreifbaren Netz miteinander verbunden und bilden so einen der härtesten Stoffe, die wir kennen.
Abbildung 4: Diamant, Graphit und Fulleren sind die drei Hauptformen von reinem Kohlenstoff. Während der Diamant seine souveräne Stärke durch das Kristallgitter erhält, ist die Weichheit des Graphits auf dessen Schichtstruktur zurückzuführen. Das Fulleren hingegen ist wie ein Fußball aufgebaut und setzt sich aus 60 C-Atomen zusammen.
Diamant entsteht unter extremem Druck bei hohen Temperaturen. Natürliche Diamanten stammen sozusagen aus Druckkammern tief im heißen Inneren der Erde. Bei synthetischen Diamanten versucht man diese Bedingungen nachzuahmen, in dem man Kohlenstoffgas im Labor hohen Temperaturen und hohem Druck aussetzt. Chemisch gesehen sind auch das echte Diamanten, aber da sie auf künstlichem Wege entstanden sind, werden sie auf dem Edelsteinmarkt viel weniger geschätzt. Es ist interessant zu betrachten, welchen Vorrang das Natürliche vor dem Künstlichen hat. Das Natürliche gilt als »echt«, während das Synthetische als »unecht« dargestellt wird – egal ob das Produkt chemisch gesehen Page 45komplett identisch ist. Vermutlich akzeptieren wir nur in der Pharmazie die synthetischen Kopien der für die Gesundheit relevanten komplexen natürlichen Kohlenstoff