Kieler Courage. Kay Jacobs

Kieler Courage - Kay Jacobs


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Dahinter lag eine kleine Kammer mit Stühlen, ein Warte- oder Pausenraum offenbar. Gerlach hinderte Fräulein Gosch-Fassbinder daran, ihnen zu folgen, indem er darum bat, die Personalunterlagen des Opfers einsehen zu dürfen.

      Rosenbaum schloss die Tür, und Mona setzte sich auf die Vorderkante eines Stuhls, so, als wollte sie gar nicht sitzen, als wollte sie gleich wieder aufstehen oder aufspringen oder gar nicht da sein. Sie fragte, wie es passiert sei. Rosenbaum erzählte, was er wusste.

      »Wann haben Sie Katharina zum letzten Mal gesehen?«, fragte er, als Mona sich ein wenig gefangen hatte.

      »Am Nachmittag. Als ich ging.«

      »Wann genau?«

      »Um drei etwa.«

      »Sie gingen dann direkt zu Ihrem Verlobten?«

      »Ja. Ich habe die Straßenbahn genommen.«

      »Wissen Sie, was Katharina danach vorhatte?«

      »Nein.«

      »Sie hat nichts gesagt?«

      »Nein.«

      »Haben Sie eine Vermutung, was sie am Kleinen Kiel gewollt haben könnte?«

      »Vielleicht spazieren gehen?«

      »Allein?«

      »Ich weiß es nicht.«

      »Wollte sie sich vielleicht mit jemandem treffen? Hatte sie Freunde oder Bekannte?«

      »Nicht, dass ich wüsste.«

      »Mitte März, trübes Wetter, kurz vor Sonnenuntergang, nicht direkt die Zeit für einen einsamen Spaziergang.«

      »Ich weiß es doch nicht.«

      »Waren Sie eng befreundet?«

      »Eher nicht. Sie war auch noch nicht so lange hier.«

      »Aber Sie teilten sich ein Zimmer.«

      Monas Blick war nach unten gerichtet. In der Hand knüllte sie ihr Taschentuch.

      »Sie hatten einen Streit, nicht wahr?«

      Jetzt presste sie das Blut aus den Fingerspitzen.

      »Sie hatten einen Streit. Worum ging es dabei?«

      Es dauerte, bis Mona antwortete.

      »Im Grunde um nichts. Es war belanglos.« Monas offensichtliche Erregung vertrug sich nicht mit der Belanglosigkeit ihrer Antwort.

      »Worum also?«

      »Sie hat sich ein Kleid von mir ausgeliehen, und als ich es zurückbekam, hatte es einen Riss.«

      »Kann ich das Kleid mal sehen?«

      »Ich habe es weggeworfen.«

      »Wie sah es denn aus?«

      »Blau. Mit kleinen weißen Blüten.«

      Rosenbaum fixierte sie mit seinem Blick und Mona wich aus. Ihre Erregung wirkte auf ihn nicht wie Betroffenheit, eher wie Schuld.

      »Ach bitte«, sagte sie, »kann ich gehen?«

      »Ich muss die Sachen von Fräulein Lettow-Vorbeck durchsehen, bevor Sie in Ihr Zimmer gehen können.«

      Mona nickte gefügig und stumm.

      »Ach, fast vergessen.« Rosenbaum hob die Handtasche hoch, die bei der Toten gefunden worden war und die er die ganze Zeit in seinen Händen trug. »Fräulein von Lettow-Vorbeck hatte das bei sich. Mögen Sie einmal nachschauen, ob etwas fehlt?«

      Mona nickte und griff nach der Tasche. Dann griff Rosenbaum nach Monas Arm. Hautabschürfungen und blaue Flecke verbargen sich unter dem Ärmel.

      »Was ist das?«

      Mona zog den Arm weg. »Ich bin gefallen. Vorhin. In der Straßenbahn. Sie bremste plötzlich.«

      Rosenbaum reichte ihr die Handtasche. Sie öffnete sie, stöberte ein wenig, schob eine Puderdose und ein Pillendöschen zur Seite, inspizierte das Portemonnaie und eine Brieftasche. Dann stutzte sie und schaute den Kommissar ratlos an.

      »Das Geld fehlt.«

      »Welches Geld?«

      »Ein Briefumschlag mit hundert Mark. Sie hat es erst gestern von ihren Eltern geschickt bekommen. Jeden Monat hundert Mark, damit sie auch mal ausgehen kann. Die Eltern wollten nicht, dass sie sich von Männern einladen lässt.«

      »Hundert Mark? Ein enormes Taschengeld für ein achtzehnjähriges Fräulein.«

      Mona nickte. Für sie dürfte es etwa der Betrag sein, von dem die ganze Familie eine Woche leben musste.

      »Sind Sie sicher, dass sie den Umschlag in der Handtasche aufbewahrt hat?«

      »Ich habe selbst gesehen, wie sie ihn hineinsteckte.«

      »Könnte sie ihn vielleicht wieder herausgenommen haben?«

      Mona schaute Rosenbaum weiter mit derselben Ratlosigkeit an. Dann stand sie auf, drückte ihm die Tasche in die Hand und rannte aus der Tür. Der Kommissar folgte. Sie huschte die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Rosenbaum versuchte Schritt zu halten, schaffte allerdings nur eine Geschwindigkeit, die einem älteren, leicht übergewichtigen Mann gebührte. Als er das Zimmer betrat, hockte Mona vor Katharinas Nachttisch, das Türchen geöffnet, die Schublade durchsucht, und zuckte mit den Schultern.

      »Das wäre der einzige Ort, wo es noch hätte sein können.«

      *

      Sergeant Hashim stand in einer Fernsprechkabine der Alten Station und starrte auf den Telefonapparat, der vor ihm an der Wand hing. Er hatte für neun Uhr ein Gespräch angemeldet, gleich würde es klingeln, das Fräulein würde ihn verbinden und er würde jeden Mut brauchen und sich mit aller Kraft zusammenreißen, um sinnhafte Worte zu formulieren. Er schaute zur Seite, durch die Glasscheibe auf den Fernmeldegast, der an seinem Schreibtisch geschäftig Formulare ausfüllte und keine Notiz von ihm nahm. Dann starrte er wieder auf den Telefonapparat, in dem Moment klingelte es.

      »Guten Abend, Herr General.«

      »Hast du was rausgefunden, Junge?«

      Generalmajor von Lettow-Vorbeck grüßte ihn nie förmlich zurück. Das brauchte er auch nicht. Er machte es wett, indem er ihn »Junge« nannte. Trotz allem, was geschehen war, nannte er ihn noch immer so.

      »Ich …«

      »Jetzt rede schon. Warst du bei Levetzow?«

      Konteradmiral Magnus von Levetzow war Kommandant der Marinestation Ostsee und als solcher militärisch verantwortlich für den Festungsbereich Kiel, ein strammer Monarchist und vielleicht Schlimmeres.

      »Ja. Aber …«

      »Und? Was ist seine Haltung?«

      »Ich glaube, das Stationskommando wird loyal zur Admiralität stehen.«

      »Und die Bevölkerung?«

      »Das kann ich noch nicht sagen, Herr General. Ich muss Ihnen aber mitteilen …«

      »Kiel ist die Stadt des Matrosenaufstandes, alles linke Gesellen. Bolschewisten sind das, die …«

      »Herr General!« So hatte Hashim noch nie mit seinem Chef gesprochen. Und er hätte es niemals gewagt, wenn nicht das Unaussprechlichste hätte ausgesprochen werden müssen: »Sie ist tot, Herr General.«

      *

      Es brabbelte und es quiekte. Artikulierte Laute konnte es nicht. Es hieß David.

      Rosenbaum hielt seinen Zeigefinger in die Wiege und gab ebenfalls Laute von sich, nur wenig artikulierter als die von David, der jetzt versuchte, nach dem Finger zu greifen.

      Hedi Kuhfuß jaulte vor Vergnügen. »Er wird bald Papa zu Ihnen sagen, Chef.«

      Zum ersten Mal an diesem Tag weitete sich Rosenbaums Mund zu einem Lächeln. Papa, das wäre


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