Kieler Courage. Kay Jacobs

Kieler Courage - Kay Jacobs


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hatten entstehen können, seiner Ehefrau. Ansonsten war er ausschließlich Männern vergleichbar nahegekommen, doch das war ein ganz anderes Thema.

      Frau Kuhfuß – Hedis Mutter und Davids Oma – rief zum Essen. Rosenbaum war hier oft zum Essen eingeladen und, wie so oft, war er zu spät gekommen. Selten hatte er aber eine so gute Ausrede: Mord am Kleinen Kiel. Er hatte mit Gerlach begonnen, sämtliche Schülerinnen und, soweit erreichbar, das Lehrpersonal des Lyzeums zu befragen, doch niemand wusste etwas Erhellendes vorzubringen, und so entschloss sich der Kommissar, die restlichen Befragungen von seinem Assistenten allein durchführen zu lassen, um endlich der Einladung nachkommen zu können. Gerlach war damit einverstanden gewesen, er wusste, wie wichtig seinem Chef diese Einladungen waren, und er selbst hatte heute nichts mehr vorgehabt.

      »War es überhaupt ein Mord?«, fragte Hedi, als sie in die Küche hinübergingen.

      »Ich denke schon«, antwortete Rosenbaum und kräuselte die Stirn. »Die Abschürfungen, die Würgemale, das verschwundene Geld.«

      Sie setzten sich. Herr Kuhfuß öffnete die Flasche Rotwein, die Rosenbaum mitgebracht hatte, und seine Frau stellte eine große Suppenterrine auf den Tisch. Es gab Schnüsch mit Katenschinken, ein Gericht, das Rosenbaum erst bei Frau Kuhfuß kennengelernt hatte, das es wahrscheinlich nirgendwo anders als in Schleswig-Holstein gab, das er durchaus schätzte, jedenfalls wenn Schinken dazu gereicht wurde und nicht Matjes. Als Frau Kuhfuß es Rosenbaum zum ersten Mal angeboten hatte, hatte es sich angehört, als hätte sie geniest, und als sie erklärt hatte, dass Matjes dazugehörten, hatte er gesagt, dass sein Glaube ihm den Genuss von fermentiertem Fisch verbiete. Dann hatten sie sich angeschaut und gleichzeitig losgelacht. Und von da an gab es oft Schnüsch, aber mit Katenschinken. Milch gehörte hinein und Butter und viel frisches Gemüse, was im März durchaus eine Herausforderung war, aber von Frau Kuhfuß und ihrem Improvisationstalent glänzend gemeistert wurde.

      Nach dem Essen spülte Hedi das Geschirr ab, während sich zwischen ihrem Vater und Rosenbaum regelmäßig eine Auseinandersetzung darüber entzündete, wer abtrocknen durfte, und die durch einen Wettlauf zum Geschirrtuch entschieden wurde. Meist gewann Rosenbaum. Dann setzte sich die Familie mit ihrem Gewohnheitsgast ins Wohnzimmer, sie plauderten ein wenig über die aktuelle Versorgungslage und die politische Entwicklung, am meisten jedoch über David, rauchten Zigarren und tranken den restlichen Wein. Als es Zeit wurde, David die Brust zu geben, zogen sich die Eltern taktvoll zurück. Für sie war es selbstverständlich, dass Rosenbaum bei Hedi sitzen blieb, für sie war er Davids wahrer Vater.

      Als Hedi und Rosenbaum sich kennengelernt hatten, elf Jahre war das nun her, da war sie Sekretärin des Kriminaldirektors gewesen und er Obersekretär, sie noch sehr jung, er noch nicht ganz so alt. Sie schwärmte für ihn, wie junge Frauen manchmal für ältere Männer schwärmten, und sie machte keinen Hehl daraus. Er begehrte sie und versuchte, einen Hehl daraus zu machen. Es gelang ihm nicht. Vielleicht hatte er es nicht ernsthaft versucht, vielleicht sein Begehren selbst nicht hinreichend ernst genommen, denn eigentlich begehrte er keine Frauen. Später wurde er zum Kommissar befördert und sie zu seiner Assistentin. Er hätte sie ablehnen und einen anderen Assistenten verlangen können, aber das brachte er nicht fertig, und er hätte es auch nicht gewollt. Jedes Mal, wenn sie einander berührten, flüchtig, durch Zufall oder wenn sie seine Hand nahm – nie hätte er ihre Hand genommen – oder beiläufig ihre Hand auf seine Schulter legte, jedes einzelne Mal blieb in seiner Erinnerung haften. Einmal kam es zu einem Kuss, doch nur flüchtig und eher wie ein Unfall.

      Vor einem Jahr saßen sie in ihrem Büro in der Blume – so nannten die Kieler ihr Polizeipräsidium, weil es in der Blumenstraße lag – und studierten gemeinsam eine Akte.

      »Chef?«, sagte Hedi.

      »Hedi?«, antwortete Rosenbaum, ohne seinen Blick von dem Vernehmungsprotokoll abzuwenden, das er gerade las.

      »Ich bin schwanger, Chef.«

      Er schaute weiter auf das Protokoll, nicht mehr auf die Wörter, nur noch auf das Papier.

      »Ich muss aufhören zu arbeiten.«

      Er konnte nicht sagen, dass er das geahnt hatte, auch nicht, dass er es geahnt hätte, wenn er es für möglich gehalten hätte. Aber er hatte bereits Veränderungen an ihr beobachtet, ein Stück gereizter, ein Stück rundlicher, und seit einigen Wochen lehnte sie jedes Mal ab, wenn er ihr eine Zigarette reichen wollte.

      »Wann?«, fragte er, sein Blick blieb am Protokoll kleben.

      Hedi antwortete nicht, schaute ihn nur eine Zeit lang stumm an. Dann stand sie auf, schleuderte den Stift, den sie in der Hand hielt, auf den Schreibtisch und rannte wortlos aus dem Raum.

      In den folgenden Wochen verloren sie kein einziges Wort über dieses Thema. Rosenbaum taxierte täglich mit heimlichen Blicken den Umfang ihres Bauches, er horchte auf, wenn sie stöhnte oder seufzte oder sich ins Kreuz fasste, und er machte sich Sorgen, wenn sie – was zwei- oder dreimal vorkam – morgens nicht zur Arbeit erschien. Doch nach außen ließ er keine Anteilnahme erkennen. Es ging ihn nichts an, zumindest wollte er sich nicht einmischen, und er wollte nicht den Eindruck erwecken, dass er das wollte oder dass es ihn sonderlich beschäftigte. Nachts lag er oft wach und dachte an Hedi und machte sich Sorgen. Sie hatte keinen Mann, lebte noch bei ihren Eltern, sie war auf dem Weg zur alten Jungfer und dann ins Ungewisse abgebogen.

      Als der Bauch so dick war, dass Hedi kaum noch die Treppe zum Büro schaffte, sprachen sie wieder darüber.

      »Ab Morgen habe ich Urlaub«, sagte sie. »Bis zur Geburt. Und dann ins Wochenbett.«

      Rosenbaum nickte. Was sollte er antworten? Oder tun? Er könnte sie heiraten. Doch er war bereits verheiratet, wenn auch nur in einer Konvenienzehe. Charlotte, seine Frau, lebte in Berlin, sie sahen sich nur selten, ein- oder zweimal im Jahr, wenn er sie besuchte. Er schätzte sie, in gewisser Weise liebte er sie, er hatte zwei Kinder mit ihr großgezogen, eines davon lebte noch, sie war ihm wichtig. Er würde sich nicht scheiden lassen, auch nicht für Hedi.

      Als Hedi Urlaub hatte und die Niederkunft immer näher rückte, besuchte er sie mehrmals in der Woche. Aus der Spielzeugabteilung von Schmielau am Markt brachte er Märchenbücher und Blechkarussells mit, und von der Drogerie Wagner Reformwaren. Manchmal streifte Hedi ihren Bauch frei und er legte seine Hand darauf. Es war ein riesiger Bauch, einer, in dem Zwillinge oder Drillinge verschwenderischen Platz gehabt hätten.

      »Vielleicht sind es Zwillinge«, sagte er.

      »Ach Chef, Sie Quatschkopf«, lautete Hedis Antwort. »Das hätte der Arzt gehört. Die Herztöne, er hätte gehört, wenn es mehrere wären.«

      Der errechnete Geburtstermin kam. Und er verging. Hedi sagte, die Hebamme habe gesagt, das sei bei Erstgeburten ganz normal, und ihre Mutter habe das auch gesagt. Weitere Tage vergingen. Plötzlich war Hedi im Krankenhaus, eine Woche lang. Rosenbaum durfte nicht zu ihr und er erfuhr nichts, auch nicht, warum er nicht zu ihr durfte und warum er nichts erfahren durfte. Er sorgte sich grenzenlos. Als Hedi wieder zu Hause war, hatte sie tatsächlich nur ein Kind, und das hieß David.

      »Wieso soll er David heißen?«, fragte Rosenbaum. »Er ist doch kein Jude.«

      »David ist ein schöner Name«, sagte Hedi.

      Rosenbaum war Jude und sein zweiter Vorname lautete David. Er fühlte sich aufgefordert, die Patenschaft für das Kind zu übernehmen. Doch er war nun mal Jude, und David sollte evangelisch getauft werden.

      »Wieso geht das nicht?«, fragte Rosenbaum den Pastor.

      »Weil Pate einer evangelischen Taufe nur sein kann, wer die Zulassung zum Abendmahl besitzt«, antwortete der Pastor.

      »Und euer Christus? Hatte der eine Zulassung? Und Johannes der Täufer? Petrus?«

      Mit diesen Fragen wurde das Gespräch einvernehmlich beendet.

      Jedem, der Familie, den Nachbarn, dem Bekanntenkreis, den Kollegen, den Vorgesetzten, auch dem Pastor, einfach jedem war von nun an absolut klar, dass Rosenbaum auch der Erzeuger sein musste, und jeder reagierte auf seine Weise: der Pastor mit einem angewiderten Kopfschütteln, die Nachbarn mit Tuscheln, einige Kollegen mit anerkennendem


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