Lebensborn e.V. - Tatsachenroman. Will Berthold

Lebensborn e.V. - Tatsachenroman - Will Berthold


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kurvten davon, oder er mußte selbst den Rückzug antreten, oder der Luftraum über der Normandie blieb frei von Feindflugzeugen. So startete der junge Oberleutnant verbissen Tag für Tag; denn am Himmel endete auch sein Horizont.

      »Steinbach«, hatte ihn Oberstleutnant Berendsen, der Mann mit dem Nußbaumkinn, begrüßt, »es ist ohnedies nicht viel los bei uns im Moment.«

      Klaus sah ihn fragend an.

      »Sie sind nämlich abkommandiert . . .«

      »Wohin, Herr Oberstleutnant?«

      Der Kommodore lachte breit und bullig. Er nahm ein Schriftstück in die Hand.

      »Lebensborn«, antwortete er, »Mensch, freuen Sie sich, Sie werden’ne Art Kindergärtner.«

      »Wie lange muß ich weg?« fragte der junge Staffelkapitän gepreßt.

      »Drei Wochen . . . Sie melden sich in Berlin, von da aus werden Sie weitergeschleust . . . Zigarre? Kognak?«

      Der Geschwaderchef paffte kleine, schnelle Wölkchen in die Luft, schenkte das übliche Quantum der üblichen Flüssigkeit in die Gläser, reichte eines seinem Offizier.

      »Prost«, sagte er, »ich weiß zwar nicht, ob Ihnen das ganze deutsche Volk Ihren Lebensborn-Einsatz danken wird . . . aber eins kann ich Ihnen sagen: das Geschwader ist Ihnen jedenfalls dankbar, daß Sie es vertreten . . .«

      Berendsen wußte nicht, wovon er redete, und Klaus ahnte nicht, was ihm bevorstand. Wenn er nicht gerade flog, dachte er an Doris. Er war nicht mehr ärgerlich, wenn er sich des letzten Urlaubs erinnerte, sondern freute sich auf den nächsten. Er hatte seine Eltern gefragt, was sie von einer Verlobung mit der blonden Nachbarstochter hielten. Und der Vater antwortete ihm beinahe verwundert. Es galt als abgemacht, als selbstverständlich, daß Doris und Klaus zusammengehörten. Denn das war eine dieser klaren Jugendlieben, die durch ein ganzes Leben gehen können.

      Zuerst fuhr er nach Paris, hatte einen Tag Aufenthalt und balgte sich in Luftwaffenmanier durch die Nahkampfdielen, die ihm im übrigen nichts abgaben. Er hätte Gelegenheit genug zu Abenteuern aller Art gehabt, aber in seinem schlichten, 24 Jahre alten Leben gab es bislang nur ein Erlebnis: Doris.

      Dann fuhr er nach Berlin, meldete sich in der Lebensbornzentrale, mußte eine Stunde warten. Was dann kam, ließ ihn an seinem Verstand, an Gott, am Führer und an seinem Werk zweifeln. Zum ersten Male, seitdem er lebte.

      Die Vergatterung der Männer, die für den Sondereinsatz römisch zwei, arabisch eins, Heim Z, vorgesehen waren, nahm ein Hauptsturmführer vor, der ohne Umwege auf sein Ziel losging. Es waren etwa neun Offiziere verschiedener Waffengattungen im Raum, die sozusagen einen ›repräsentativen Querschnitt‹ der deutschen Wehrmacht bildeten. Sie saßen auf mitgebrachten Stühlen und mißtrauten ihren Ohren.

      »Wir sind unter uns, unter Männern«, sagte der Funktionär des Lebensborns e. V., »wir brauchen nicht lange herumzureden . . . Der Nachwuchs unseres Volkes muß sichergestellt werden. Wir haben für euch die geeigneten Partnerinnen ausgesucht und werden euch im Rahmen eines Lehrgangs mit ihnen zusammenbringen. Und das übrige besorgt ihr selbst . . . ich darf mir wohl eine Gebrauchsanweisung ersparen . . .« Er grinste hämisch und dreckig.

      Ein baumlanger Oberleutnant der Infanterie, zwischen dessen Kragenecken an einem zu langen Band das Ritterkreuz schaukelte, stand mit rotem Kopf auf.

      »Was heißt das?« fragte er hart.

      »Sie tun Ihre Pflicht, Herr Oberleutnant . . .«

      »Welche Pflicht?«

      »Die Pflicht zum Kind.«

      »Was soli der Unfug? Wollen Sie Frauen bei einem Pflichtappell in dieser Weise degradieren? Und was sind das für Mädchen, die sich dazu hergeben? Und welche Kinder sollen das werden?«

      »Das überlassen Sie gefälligst uns . . . wir haben die Aktion nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten eingeleitet . . . Ich bin nur hier, um Sie zu ermahnen, diese . . . diese Maßnahme so würdig wie möglich durchzuführen . . .«

      »Dann bin ich wohl fehl am Platz«, entgegnete der Ritterkreuzträger.

      Er stand auf, ging auf den Hauptsturmführer zu. Es sah aus, als ob er ihm die Verachtung in das Gesicht spucken wollte. Dann verließ er den Raum, knallte die Tür ins Schloß, daß der Mörtel aus dem Rahmen bröckelte.

      »Wir werden mit ihm abrechnen . . .«, knirschte der Beauftragte. Er sah sich um. Er sah an der Reihe der anderen Offiziere entlang.

      »Noch ein Verräter?« fragte er barsch.

      Klaus zuckte zusammen. Nein, ein Verräter war er nicht. Er wollte mit der Sache nichts zu tun haben, gewiß nicht. Er wollte überhaupt nichts. Am liebsten wäre er zurückgefahren. Sofort. Aber man ließ ihn nicht aus. Man traktierte ihn mit Einzelheiten, vor denen ihm schwindlig wurde. Man improvisierte in aller Eile einen Kurs lediger Väter, die ihr eigen Fleisch und Blut liegenlassen sollten wie verschmutzte Handschuhe. Nach dem Willen des Staates, für den Klaus zu kämpfen und zu sterben jederzeit bereit war . . . bisher wenigstens . . .

      Da war etwas, was nach seinem Weltbild griff, das die lodernden Flammen am Waldrand, zwischen denen der HJ-Gefolgschaftsführer Klaus Steinbach stand, auslöschen wollte. Den jugendheißen Schwur, den Hunger nach Bewährung, das bodenlose Vertrauen in die Zeit . . .

      Der Abglanz des Feuers zog über ein junges, klares Mädchengesicht. Doris . . ., dachte Klaus. Ich war dumm . . . wie schön, daß ich dumm war. Wir gehören zusammen, Doris! Das wußten wir immer, nicht? Das ist nicht an einen Urlaub gebunden, das kommt von selbst auf uns zu. Das ist ganz anders wie bei den anderen. Das ist so hell und so heiß und so lockend wie die Flammen am Waldrand . . .

      Dann saß der junge Staffelkapitän im Kübelwagen mit zwei weiteren Luftwaffenoffizieren. Die anderen Teilnehmer der biologischen Wachtparade hatte man in andere Heime kommandiert. Denn jetzt eben startete der Lebensborn seinen ersten ›Großeinsatz‹.

      Er sah nach draußen. Die Bäume flogen vorbei, Passanten, Fuhrwerke . . . Aber eines blieb immer: Doris. An sie dachte er, als er auf das frühere Nervensanatorium zuging. Nur an sie. Er sah nicht links und nicht rechts. Er ging wie im Nebel.

      Er hört das Lachen, das Geplätscher des Gesprächs. Er bleibt einen Augenblick wie geblendet in der Tür stehen, wagt nicht, sich umzusehen, geht dann mit tauben Beinen auf seinen reservierten Stuhl zu, hebt zögernd den Kopf, betrachtet Sturmbannführer Westroff-Meyer, hört seihe strahlenden Worte:

      »Ich eröffne den Lehrgang. Wir sind jetzt vollzählig. Wir sind zu einem ernsten Zweck hier . . . wir dienen dem Volk! Herrschaften, getrunken wird hier nichts und am besten auch nicht geraucht. Ich bitte mir aus, daß hier Disziplin herrscht. Sonst könnt ihr euch jederzeit an mich wenden . . . betrachtet mich als euren Pflegevater.«

      Nein, denkt Klaus, das ist kein Freudenhaus, das ist ein Irrenhaus. Und die Mädchen? Nur Verrückte können zu so etwas bereit sein. Nur Verkommene! Nur Verlorene . . .

      Auf einmal ist ihm alles gleichgültig. Er hebt den Kopf und sieht sich frei um, nimmt die Parade ab, betrachtet Erika, die ihn wohlgefällig mustert, sieht Irene, die mit einem Oberscharführer flirtet, verzieht die Lippen, als er die Zopfkrone Lottes bemerkt.

      Und dann trifft ihn ein Schlag wie damals über Reims.

      Nein, denkt er! Doris! Doris hier! Meine Doris . . .! Er zweifelt an seinen Augen. Das kann doch nicht sein! Das gibt es nicht! Doris!

      Das Mädchen versucht schwach, ihn anzulächeln.

      Da stirbt jeder Ausdruck in seinem Gesicht und verkrampft sich zu etwas . . . zu Verachtung, zu Ekel . . .

      Am liebsten hätten sie noch Stunden auf ihrem zähen Streuselkuchen herumgekaut. Sie fürchteten sich vor dem Augenblick, da die starre Tischordnung aufgelöst wurde. Was sie dachten, sprachen sie nicht aus, und was sie aussprachen, dachten sie nicht. Die Augen gingen ihre eigenen Wege, wie von Magneten abgelenkt. Ein unheimlicher Gast, der nicht auf der Verpflegungsliste stand, hatte sich eingefunden: die Scham.

      Die


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