Frostsklave. Regina Mars

Frostsklave - Regina Mars


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und den Kleinen anlegte. Er sah nach oben, wo schon drei Strohdächer lichterloh brannten. Fluchte leise.

      In diesem Moment donnerte es. Jubel ertönte von allen Seiten.

      Es dauerte endlose Minuten, bis der erste Blitz den Himmel zerriss. Noch länger, bis die ersten Tropfen fielen. Aber es reichte. Der Regen löschte die Dächer, bevor das Feuer zu weit um sich greifen konnte. Die Eimerkette löschte das Feuer innerhalb der Häuser. Gal und Lukacs waren wieder dabei, reichten Eimer um Eimer, bis ihre Hände schmerzten.

      Die Leute hörten nicht auf, Lukacs zu loben. Wie mutig er war. Wie selbstlos er in das Haus gestürmt war. Dass er einen großartigen Bürgermeister abgeben würde, eines Tages.

      Niemand sagte ein Wort zu Gal. Niemand blickte ihm in die Augen.

      Bis auf Lukacs. Jedes Mal, wenn Gal ihm einen Eimer reichte, schaute er ihn an, als würde sein Leben davon abhängen. Tat es auch, gewissermaßen.

      Er war ein Kalter. Niemals, nicht in hunderttausend Jahren, hätte Gal sich träumen lassen, dass ausgerechnet Lukacs Andon einer von denen war. Ein Monster wie der Kerl, der auf dem Marktplatz am Pranger stand und mit Pferdeäpfeln beworfen wurde.

      Gal stellte sich vor, wie Lukacs da stand. Stinkend, ohne Freunde, mit starrem Blick. Er wunderte sich über sich selbst. Die Vorstellung hätte das Scheißkomischste überhaupt sein sollen. Der goldene Sohn der Stadt, bedeckt mit Kacke und fauligem Kohl. Stattdessen spürte er einen Druck auf seiner Brust. Enge in der Kehle. Entsetzt kapierte er, dass er nicht wollte, dass Lukacs Andon am Pranger landete.

      Der Mistkerl hat mich schließlich gerettet, dachte er. Und die Kalten, die sind allen noch unheimlicher als die Brandstifter. Andon ist eine Arschkrampe, aber ich will doch nicht, dass er endet wie der Kerl, der in meinem Versteck gewohnt hat.

      Nein, das wollte er nicht. Er schluckte. Spürte ein dummes Kribbeln, wann immer Lukacs' Hände seine berührten und bat den Ewigen, ihn vor seinen Wünschen zu schützen.

      Als es vorbei war, nickten ihm tatsächlich ein paar Leute zu. Erstaunt über so viel Zuneigung machte er sich auf den Rückweg. Schnell, bevor ihn doch noch jemand Missgeburt nannte und es zu einer Schlägerei kam. Er schritt durch die Gassen, deren Gestank vom Rauch überlagert wurde und fühlte sich … gar nicht schlecht. Niemand hatte ihm gedankt, aber …

       Aber ich weiß, was ich getan habe. Werd ich auch noch eine Weile, meine Jacke stinkt immer noch nach voller Windel. Und hey, immerhin ist Andon nicht ganz das Arschloch, für das ich ihn gehalten habe.

      »Gal«, sagte eine Stimme, direkt neben ihm. Beinahe hätte er einen Satz gemacht. Lukacs ging neben ihm, das Gesicht hart vor Anspannung, Haare und Kleider voll Ruß.

      »Andon«, sagte Gal. »Du siehst scheiße aus.«

      »Und du stinkst nach Pisswindel«, erwiderte der Schönling. Er sah sich um. Sie waren so alleine, wie man in Hamparal je war. Weder vor noch neben ihnen ging jemand. Sie passierten eine Bande Kinder, die im Dreck spielten und Gal anschauten, als wäre er direkt aus der Hölle gekrochen. Nicht mal das konnte seine halbwegs gute Laune versauen.

      »Was willst du, Andon?«, fragte er, obwohl er es sich denken konnte. »Willst du dich noch mal prügeln? Denk dran, dass ich dir den Arsch aufgerissen habe.«

      »Einen Scheiß hast du.«

      »Du hast geheult wie ein Mädchen«, behauptete Gal. »Und dich eingepisst.«

      »Du hast nach deiner Mami gerufen«, sagte Lukacs und seine Züge entspannten sich etwas. »Und hey, was ist der braune Fleck auf deinem Hosenboden?« Er tat so, als würde er die Nase rümpfen.

      Ein seltsames Geräusch hallte durch die schmale Gasse: Gals Lachen. Klang, als würde er in einen löchrigen Eimer husten. Sofort hörte er auf. Hitze kroch seinen Nacken hoch.

      »Red schön so weiter«, sagte er. »Und ich versohl dir den Hintern und lass alle zuschauen.«

      Lukacs ging nicht darauf ein. Er trottete neben Gal her, als müsste er sich auf etwas vorbereiten. Auf seine eigene Beerdigung, seinem Gesichtsausdruck zufolge.

      »Wirst du es ihnen sagen?«, fragte er schließlich.

      Gal ließ ihn einen Moment lang zappeln. Dann schüttelte er den Kopf. »Ne. Du hast mich gerettet, da drin. Und die kleine Stinkewindel auch. Ich sag nichts.«

      Lukacs blickte zu Boden, aber Gal erahnte die Erleichterung in seinen Zügen.

      »Danke. Echt, vielen Dank.«

      »He, einem Biest wie mir würde doch eh keiner glauben.« Gal fühlte sich unwohl. Seit wann gingen Lukacs Andon und er Seite an Seite durch die Straßen? Als wären sie Freunde oder so. Er brachte ein Grinsen zustande. »Mach dir keinen Kopf, Andon. Wir Missgeburten müssen zusammenhalten, oder?«

      Andon blickte ihn an, als hätte er ihn noch nie gesehen. Er lachte, ein kurzes, abgehacktes Geräusch. Sein Lächeln war so strahlend, dass Gal den Blick abwenden musste. »Stimmt wohl. Danke, Gal. Echt.«

      Gal zuckte mit den Achseln. »Schon gut. Geh zurück zu deinen Anhängern, Andon. Die wollen dir bestimmt 'nen Orden verleihen oder so.«

      »Bestimmt.« Andon schnaubte. Er zögerte sichtlich. Lächelte Gal noch einmal zu und diesmal wirkte es fast schüchtern. Dann drehte er sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung. Gal hörte seine dumpfen Schritte verklingen.

      Etwas Warmes breitete sich in seiner Brust aus. Etwas, das er nicht aufhalten konnte. Etwas, das dieser Trottel mit seinem Lächeln geweckt hatte, als hätte er eine Schale zerbrochen. Etwas war geschlüpft. Unwillkürlich grinste Gal und beinahe hätte er vor sich hingepfiffen, während er zurück zum Markt ging.

      Hör auf, du Trottel, dachte er. Nächstes Wochenende ist alles wieder beim Alten, wirst schon sehen.

      Aber das war es nicht.

      Und das würde es nie wieder sein. Wenn er später an diesen Augenblick zurückdachte, fühlte er sich elend und schuldig. Dies war der Moment, in dem alles den Bach runtergegangen war, in dem alles begonnen hatte, zu faulen und zu verrotten. In dem Lukacs Andon sein eigenes Unglück heraufbeschworen hatte.

      Mit einem Lächeln.

      3. Ein Lichtschimmer

      Endlose Tage vergingen, ewige Stunden, nicht enden wollende Sekunden. Es war erbärmlich.

      Sein Vater erklärte ihm, dass er ihn noch bis zum Herbst durchfüttern würde. Er erklärte es Gal, während sie auf dem Feld standen und die Sonne so heiß knallte, dass Gal der Schweiß in dünnen Fäden über den bloßen Oberkörper lief. Er stank, sein Rücken schmerzte von der gebückten Haltung bei der Rübenernte und seine Hände waren voll Erde, deren Geruch schwer und dunkel war und ihn an Lukacs Andons Lachen erinnerte. Alles erinnerte ihn an Lukacs Andons Lachen. Die kühle Morgenluft, der erste rote Schimmer am Horizont hinter den Weiden, das Gluckern des Flusses, wenn sie sich abends wuschen, bevor sie heimgingen.

      Der Mistkerl hatte ihn verhext.

      Verdammtes Monster, dachte Gal und schluckte.

      »Junge«, sagte sein Vater. »Hast du mich verstanden?«

      Gal sah zu Boden. »Bis zum Erntefest such ich mir Arbeit«, murmelte er und fühlte sich hoffnungslos. Wer würde ihm Arbeit geben? Aber er wollte keine Schwäche zeigen, wollte Vater und Mutter nicht zeigen, wie sehr sie ihn verletzten. Sie taten, was sie tun mussten. »Ist Zeit, erwachsen zu werden, richtig?«

      »Richtig.« Das braune Ledergesicht seines Vaters entspannte sich. »Hab gehört, der Herzog zahlt seinen Söldnern dreizehn Gulden. Das ist 'ne Stange Geld.«

      »Wenn man lange genug lebt, um es auszugeben.« Gal wischte sich über die Stirn. »Wenn ich gegen den Drachenbaron kämpfen muss, werd ich als Spanferkel enden, bevor ich noch den ersten Humpen Bier vom Sold gekauft habe.«

      Die alte Angst fraß


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