Frostsklave. Regina Mars

Frostsklave - Regina Mars


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Er fühlte sich hoffnungslos, doch der Gedanke daran, Söldner zu werden, machte ihm noch mehr Angst als alles andere.

      »Ist nicht gesagt, dass der Drachenbaron wirklich Drachen hat«, sagte sein Vater. »Vielleicht nennen die ihn nur so. Keiner, den ich kenne, hat je 'nen Drachen gesehen und der Vater vom Anag war schon mal in Mezei.«

      »Das ist nicht so weit«, brummte Gal und schloss die Augen. Nur einen Moment lang, dann straffte er sich wieder. »Ne, das pack ich schon. Ob als Söldner oder nicht, ich steh bald auf eigenen Beinen.«

      Sein Vater klopfte ihm knapp auf die Schulter, dann arbeiteten sie weiter. Drei Reihen neben ihm rupfte sein älterer Bruder Rüben aus der Erde und Gal wünschte sich so sehr, er zu sein, dass sein Mund ganz trocken wurde. Bleiben zu dürfen, weiter hier zu leben. Auf dem einzigen Flecken Erde, den er kannte.

      Aber er war nicht der Älteste. Nicht der Hoferbe, nicht der, der bald um die Hand von Nachbar Onnigs zweiter Tochter anhalten würde. Nicht der, der irgendwann in das große Schlafzimmer umziehen würde, in das ein ganzes Doppelbett und ein Schrank passten, das sogar zwei Fenster hatte und selbst im Winter erträglich war, weil das Bett drei dicke Decken hatte.

      Er war das Biest und musste mit zwei kleineren Brüdern auf dem Küchenboden schlafen. Immerhin war da der Ofen. Und gerade, im Sommer, froren sie eh nicht, im Gegenteil.

      Als sie fertig waren, ging die Sonne unter und Gal war so kaputt, als wäre eine Kolonne Ochsenkarren über ihn gerollt. Er riss sich die verdreckte Hose vom Leib und stolperte in den eisigen Fluss. Trank wie ein Köter und schaffte es vor Erschöpfung kaum, sich Erde und Schweiß vom Leib zu waschen.

      Nichts half.

      Selbst jetzt glaubte er, Lukacs zu hören. Sein Lachen, die tiefe Stimme, die stets spöttisch klang und die ihn bis in seine Träume verfolgte. Die blitzenden Zähne, den selbstbewussten Gang. Den festen Hintern unter dem dünnen Stoff seiner Hose.

      Ewiger, bitte, dachte Gal. Ich weiß, dass ich unrein bin. Ein Biest, ein Verfluchter. Lass mich nicht noch mehr zum Sünder werden.

      Doch der Ewige half ihm nicht. Das spöttische Lachen hallte weiter durch seinen Körper und entfachte Brände, wo keine sein durften.

      Morgen, dachte er und schämte sich sogleich.

      Was sollte morgen schon geschehen? Selbst wenn er Lukacs in der Stadt sah, würde nichts anders sein als sonst. Gar nichts. Der Blödmann würde sich über ihn lustig machen, sie würden ein paar Beleidigungen hin und her werfen und wieder getrennte Wege gehen. So wie immer. So wie seit der Zeit, in der sie kleine Bengel gewesen waren und Gal zum ersten Mal mit seiner Mutter auf den Markt gefahren war, weil Vater sich beim Sensen die Hand verletzt hatte.

      Und doch konnte er nicht aufhören. Das Wort zerrte an ihm, verursachte ein angenehmes, kribbliges Ziehen tief in ihm, so tief, dass nicht einmal der Ewige es sehen konnte.

      Morgen.

      4. Morgen

      »Nein«, sagte die Bäckerin und sah ihn nicht an. »Wir brauchen keinen.«

      Gal nickte, ballte die Fäuste und bedankte sich. Die Bäckerin schwieg und holte eine neue Fuhre Brot aus dem Ofen. Er ging hinaus. Auf die Straße. Wo sie ihn anstarrten oder schnell den Blick abwandten. Hoffnungslosigkeit verknotete sich zu einem schäbigen Knäuel in seinem Magen.

      Dabei war die Bäckerin noch freundlich gewesen. Freundlicher als die meisten zumindest. Richtig fies war nur der Schmied gewesen. Der konnte es sich leisten. Groß und stark wie er war, musste er keine Angst vor Gal haben. Außerdem hatte er noch einen Sohn bei sich, der gebaut war wie ein fetter Ochse.

      »Dich? Als Lehrling?«, hatte er gehöhnt. »Da kann ich ja gleich den Laden dichtmachen. Wer will denn Hufeisen von einer Missgeburt wie dir? Mach dich vom Acker oder ich zieh dir eins mit dem Hammer über.«

      Gal hätte es fast darauf ankommen lassen. Er hatte dem Schmied vor die Füße gespuckt und war davon gestiefelt, halb erwartend, dass der ihm folgen würde. Hatte er nicht getan, glücklicherweise. Gals Gesicht war hässlich genug, auch ohne Bearbeitung mit dem Schmiedehammer.

      Dreizehn, dachte er.

      Dreizehn Absagen in zwei Stunden. Dreizehn Gulden Sold, wenn er in den sicheren Tod ging. Sein Mund fühlte sich taub und trocken an. Er schlurfte durch die stinkenden Gassen, fröstelte im Schatten der schimmeligen Häuser. Hörte die Schreie der spielenden Kinder, Ziegenblöken aus einem Hinterhof. Und fühlte sich allein, obwohl er von Menschen umgeben war. Die ihn nicht ansahen.

      Er gab auf.

      Nur für heute, das versprach er sich, als er sich zu seinem Versteck schleppte. Am nächsten Wochenende würde er es weiter versuchen. Bei jedem Bauern auf dem Markt würde er sich vorstellen. Und vielleicht hatte seine Mutter ja Glück gehabt. Sie wollte herumfragen, sobald die letzten Rüben verkauft waren.

      Gal hob das knarrende Brett und quetschte sich durch die Lücke. Der Bach murmelte, die Käfer summten, und beinahe hätte er aufgeatmet.

      Dann sah er Lukacs.

      »Da bist du ja.« Der Schönling grinste ihm entgegen. Als würde er ihm gehören, saß er auf Gals Lieblingsplatz am Bach und stützte die Unterarme auf die Knie. Helle Haut erschien da, wo er sein Hemd hochgekrempelt hatte. Er kaute auf einem Halm Honiggras herum und winkte Gal zu. »Ich dachte schon, du tauchst gar nicht mehr auf.«

      Das Brett rastete hinter Gal ein. Er starrte. Und vergaß, zu atmen.

      Ein verkackt blöder Sonnenstrahl fiel zwischen den Häusern hindurch auf den Platz, auf dem Lukacs Andon saß und brachte seine Haare zum Glänzen. Und Gals Puls zum Stolpern.

      Trottel, dachte Gal. Trottel, Trottel, Trottel.

      Er war nicht sicher, ob er sich selbst oder Lukacs Andon meinte.

      »Was willst du, Andon?«, knurrte er. »Willst du dich für die letzte Abreibung rächen? Dann hättest du mal lieber deine blöden Freunde mitgebracht.«

      Das Lächeln schwand. Der Idiot wirkte fast unsicher, beinahe wie nach dem Feuer.

      »Nein, also, ich meine …« Lukacs zögerte. »Du hast es doch selbst gesagt. Wir Monster müssen zusammenhalten.« Er sprach so leise, dass Gal ihn kaum verstand.

      »Was laberst du?« Gal traute sich keinen Schritt weiter. Er ballte die Fäuste und sah Lukacs drohend an.

      Der zuckte mit den Achseln. »Du hast es niemandem verraten, nicht wahr? Sonst wäre ich nicht mehr hier. Sonst wäre ich drüben am Pranger und Vater würde meinen Namen aus den Stammbüchern streichen lassen.«

      Oh, das. Er sah den Schmerz in Lukacs' Gesicht.

      »Ich hab doch gesagt, dass ich keinem was verrate, du Dummschwätzer.« Er verschränkte die Arme.

      »Und du hast dein Wort gehalten.« Lukacs legte den Kopf schief. »Und du weißt, was das bedeutet.«

      »Nein«, gab Gal zu. Nervosität rieselte über seinen Nacken, die ganze Wirbelsäule. Was war hier los?

      »Das bedeutet«, Lukacs erhob sich und steckte die Hände in die Hosentaschen, »dass wir Freunde sind, Gal Oshin.«

      »Sind wir nicht!« Angst und Wut mischten sich in Gals Bauch. Süße Worte zuckten durch seinen Kopf, von versprochenen Welpen. Er spürte längst verheilte Tritte in den Rippen.

      Fall nicht drauf rein, du Trottel, dachte er. Fall nicht auf Lukacs Andon rein.

      »Ich fürchte, du hast keine Wahl.« Lukacs schüttelte den Kopf. »Du hast mich gerettet, ich hab dich gerettet und du bist mir als Einziger in das Feuer gefolgt. Wir müssen Freunde sein, Gal. Alles andere macht keinen Sinn.«

      Machte der Kerl sich über ihn lustig oder plante er etwas?

      »Ich bin dir nur hinterher, damit keiner sagen kann, dass du mutiger bist als ich.«

      Lukacs


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