Frostsklave. Regina Mars

Frostsklave - Regina Mars


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ging nicht darauf ein. »Oshin, mein Freund. Lass uns nicht streiten.« Ein Schatten fiel über sein Gesicht. »Du hast gemerkt, dass du der Einzige warst, der mir gefolgt ist, oder? Meine Freunde waren da und die sind geblieben. Alle sind geblieben. Und ich denke, also … Ich weiß, dass jeder von denen mich verraten hätte. Verraten, was ich bin.« Er sah Gal an und einen Augenblick lang wirkte er fast verzweifelt. »Wenn meine Freunde nicht meine Freunde sind, dann bist du der Einzige, den ich habe.«

      »Bin ich nicht«, knurrte Gal. »Und jetzt hau ab. Ich bin nicht dein Freund.«

      Andon gab nicht auf. Er deutete auf den Bach, in dessen Schlamm etwas steckte. Zwei verkorkte, verschnürte Flaschenhälse schauten heraus.

      »Aber ich habe dir ein Bier mitgebracht. Lass mich wenigstens bleiben, bis wir ausgetrunken haben.«

      Gal war nicht sicher, ob hinter all dem Spott irgendwo eine Prise Ernst lauerte. Aber er wusste eins: Ein kaltes Bier war genau das, was er jetzt brauchte.

      »Ist gut.« Er stapfte zu Andon hinüber, warf sich neben ihm auf die Wiese und schnappte sich eine Flasche. Das Siegel, das man in den Ton gedrückt hatte, war das der Brauerei Horvath. Edles Zeug. Er konnte sich nur das billige Gesöff von Martons leisten, und in deren Bottichen schwammen Mäuseleichen. Hatte er zumindest gehört.

      »Ich hätte auch einen Wein aus Vaters Keller geklaut«, sagte Lukacs leichthin. Er öffnete die zweite Flasche und setze sie an die Lippen. »Das tut gut. Na, aber ich dachte, mein guter Freund Gal bevorzugt bestimmt Dunkelbier. Hab ich recht?«

      Hatte er. »Wenn du mich nochmal so nennst, brech ich dir einen Finger.« Gal sah ihn böse an. Er zögerte, seine Flasche zu öffnen. Hatte das Gefühl, einen Pakt mit dem Herrn der Wölfe selbst einzugehen, wenn er es tat.

      »Wie denn?«

      »Freund.«

      »Aber du bist …« Andon hob die Hände. »Schon gut. Dann nenne ich dich einfach Gal.«

      »Letzte Woche hast du mich noch Biest genannt.«

      »Du hast dich auch wie ein Biest verhalten.« Nachdenklich sah Lukacs in das braune Wasser, auf dem ein paar abgenagte Hühnerknochen vorbeitrieben. »Aber ich weiß jetzt, warum. Darauf hätte ich wirklich früher kommen können. Ich wollte nicht denken, schätze ich. Ich war so blöd.«

      »Was laberst du jetzt wieder, Andon?« Gal drehte die Flasche in den Händen. Eiskalt. Das Bier würde köstlich schmecken. Er spürte das Prickeln bereits auf der Zunge, aber noch zögerte er.

      Lukacs blickte ihn an. Kein Hauch des üblichen Spotts lag in seiner Miene. Die hellen Haare glänzten im Sonnenlicht, doch sein Antlitz lag im Schatten.

      »Niemand hat dir gedankt, weil du das Kind gerettet hast«, sagte Lukacs. »Keiner, nicht mal die Mutter. Und bei mir haben sie Purzelbäume gemacht, weil ich so ein großer Held bin.« Er schluckte sichtlich. Irgendwas am Zucken seiner Kehle sandte Schauer durch Gals Körper. Er fühlte sich wie ein ausgehungerter Wolf. »Es ist nicht gerecht.« Lukacs Andon nahm einen tiefen Schluck und wieder hüpfte sein Kehlkopf. Wieder kribbelte etwas in Gals Bauch, ganz tief.

      »Ist doch scheißegal, wer sich bei wem bedankt«, murmelte er. Seine Stimme klang, als wäre sein Hals staubtrocken. Half wohl nichts. Er musste einen Schluck trinken. Der Korken ploppte und Bier sprudelte über seine Hände, rann an der braunen Flasche entlang. Hastig setzte er sie an die Lippen.

      Was, wenn er was rein gemischt hat?, fragte eine Stimme in seinem Kopf. Eine Kinderstimme, die wusste, wie es war, dem Falschen zu vertrauen.

      Gal verharrte. Setzte die Flasche wieder ab. Leckte den Schaum von seinen Lippen.

      Lukacs starrte ins Wasser. »Aber es ist nicht gerecht, Gal. Es ist einfach nicht gerecht.« Er zögerte sichtlich. »Sie haben gefragt, ob du mir was tun wolltest, da drinnen. In den Flammen. Als ob du mir deshalb hinterhergerannt wärst.«

      »Und trotzdem ist keiner von deinen feinen Freunden mitgekommen«, sagte Gal. »Keiner wollte brutzeln, um dich vor dem Biest zu retten.« Ohne nachzudenken, nahm er einen tiefen, kühlen Schluck. Mist, und das Zeug schmeckte köstlich. Malzig und stark.

      »Nein. Sie sind nicht meine Freunde. Nur meine«, Lukacs stützte den Kopf auf die Unterarme, »Anhänger oder so. Die mögen mich, weil ich Geld habe und weil mein Vater der Bürgermeister ist. Weil man mit mir gut Mädels kennenlernt.«

      Gal dachte an die Dralle, mit der Lukacs letzte Woche unterwegs gewesen war. »Ist doch toll.«

      »Es ist nicht real. Nicht echt.«

      »Was ist schon echt?«

      »Nur eine Sache.«

      »Was denn?« Verächtlich sah er Lukacs an.

      »Unsere Freundschaft.« Der Mistkerl grinste, und Gal konnte nicht anders: Er wieherte los wie ein verdammter Gaul. Es war so schwer, das Lachen abzustellen, dass er davon Bauchschmerzen bekam.

      »Der war gut.« Er setzte die Bierflasche an die Lippen. »War bisher ein Scheißtag, Andon, aber du machst ihn besser.«

      »He, dazu sind Freunde da.« Andon prostete ihm zu. »Ich mein's ernst, Gal. Also, natürlich nur, wenn du willst. Wenn du nicht mein Freund sein willst, dann lass es.« Er nahm einen tiefen Schluck und Gal wusste, dass nun etwas Bedeutsames kommen würde.

      Lukacs rülpste.

      »Entschuldige.« Er wischte sich über den Mund. »Und nur, dass du es weißt: Es tut mir leid. Echt.«

      »Was? Das kleine Bäuerchen?«

      »Nein, du Pfosten.« Lukacs sah ihn nicht an. »Wie ich dich behandelt habe. Du warst immer ein Arschloch, aber … na, ich hab nicht gesehen, warum. Du wurdest dazu gemacht.«

      »Niemand hat mich zu irgendwas gemacht«, knurrte Gal. »Ich bin, wer ich bin, klar?«

      Lukacs nickte. »Ja, das bist du. Mein bester Freund.«

      »Andon, wenn du nicht gleich in der Brühe da landen willst, hältst du besser die Klappe.« Gal zeigte mit der Flasche auf die trübe Suppe, die vor ihnen entlang zog.

      Lukacs hob die Hände, als würde er sich ergeben. Ein Lächeln spielte um seine Mundwinkel. Als der Ewige die Schönheit verteilt hatte, war ganz Hamparal leer ausgegangen, nur diesen Mistkerl hatte er damit überschüttet.

      »Ich bin ruhig«, sagte Lukacs. »Und brav.«

      »Wer's glaubt.«

      Lukacs schwieg.

      Sie saßen nebeneinander im Gras, hörten dem entfernten Treiben der Leute zu. Schauten in den Bach, der immer neuen Unrat mitführte. Es war richtig friedlich.

      »Wie ist es?«, fragte Gal und erschrak. Er hatte nichts sagen wollen! Lukacs keinen Anlass geben wollen, ihn wieder mit diesem Freunde-Blödsinn zu verwirren.

      »Wie ist was?« Lukacs sah ihn spöttisch an. »So wunderschön zu sein wie ich?«

      »Ne, so eingebildet.« Gal spuckte in den Fluss. »Du weißt schon. Das.«

      »Reden wir über Schweinereien?«

      »Was?« Gal sah ihn an und kapierte, dass er schon wieder aufgezogen wurde. »Nein, du Flockenhirn. Ich meine, wie es ist … na, das. Ein Kalter zu sein.«

      Schatten huschten durch Lukacs' Miene. »Oh. Das.« Er sah Gal nicht an. »Meistens denke ich nicht daran. Keiner weiß es.«

      »Und du? Wann hast du es gemerkt?«

      »Uh.« Andon fuhr sich durch die Haare. »Das ist jetzt echt peinlich.«

      »Erzähl.« Mist, er grinste. Er konnte nicht anders. »Scheißt du Eiszapfen?«

      »Schlimmer.«

      »Schlimmer geht's nicht.«

      Lukacs räusperte sich. »Gut, nicht schlimmer. Aber peinlicher.«

      »Sag


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