Frostsklave. Regina Mars

Frostsklave - Regina Mars


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rang mit sich. »Also gut. Und jetzt erzähl.«

      »Willst du die Bedingung gar nicht wissen?« Lukacs hob eine Augenbraue. »Also gut. Ich erzähle es dir. Aber du musst wissen, dass du soeben zugestimmt hast, mein bester Freund zu sein.« Er lachte. »Schau nicht so entsetzt.«

      Ich bin nicht dein bester Freund, du hässliche Schweinebacke, wollte Gal sagen. Aber irgendwie schaffte er es nicht.

      Lukacs räusperte sich. »Du darfst nicht lachen, ja?«

      Gal nickte.

      »Also.« Lukacs fuhr sich wieder durch die Haare. »Ich habe nichts gemerkt, bis ich zwölf oder dreizehn war. Dann, also …« Er rieb sich den Nacken. »Nachts. Du weißt schon. Wenn man träumt. Und am nächsten Morgen. Und so.«

      »Bist du plötzlich schüchtern, Andon?«

      Lukacs warf ihm einen wütenden Blick zu. »Hast du schon mal darüber geredet? Nein? Dann halt die Klappe.«

      »Ich dachte, das passiert, weil ich ein Biest bin«, gab Gal zu. »Bis ich kapiert habe, dass es allen so geht. Als ich das erste Mal mit 'nem Horn in der Hose aufgewacht bin, hab ich mich zu Tode gefürchtet.«

      »Es sagt einem ja auch keiner.« Lukacs knurrte leise. »Zum Glück hab ich Freunde gehabt, die mir alles erklärt haben. So halb. Und erst, nachdem sie mich ausgelacht haben. Nur, also …« Er atmete tief ein. »Es ist wie Schnee.«

      »Was?«

      »Das. Du weißt schon. Es ist gefroren.«

      Gal lachte. Er erschrak sich selbst darüber. »Was?«

      Lukacs sah auf den Fluss. »Ich erzähl dir das nur, weil ich dir vertraue, du Arsch. Und du hast versprochen, nicht zu lachen.«

      »Tut mir leid.«

      Bilder rasten durch Gals Kopf und auf einmal war ihm überhaupt nicht mehr nach Lachen zumute. Nun stellte er sich auch noch vor, wie Lukacs seine Wichse verströmte. Gals Mund wurde trocken.

      »Ich hab kapiert, dass es nicht ist, wie es sein sollte«, sagte Lukacs. »Und es hat mir eine furchtbare Angst gemacht. Ich, also, als ich mal allein im Keller war, da hab ich es ausprobiert.«

      »Dir einen zu rubbeln?«

      »Nein.« Lukacs schnaubte. »Eis zu erzeugen. So wie bei dem Feuer letzte Woche. Ich hatte keine Ahnung, wie es geht, aber …« Er schwieg.

      Gal dachte an die vereiste Treppe. Die gelöschten Flammen, die Decke, die plötzliche Kälte auf seiner Haut. »Ich schätze, du hast den halben Keller vereist?«

      Lukacs nickte. Er war totenblass. »Ich hatte so eine Angst. Ich hab immer noch Angst. Ich hatte völlige Panik, dass jemand runterkommt, bevor das Eis geschmolzen ist. Ich …«

      Er umklammerte die Knie. Packte seine leere Bierflasche und schleuderte sie in den Bach. Wasser spritzte. Sie trudelte davon.

      »Warum ich?«, flüsterte Lukacs. »Was habe ich getan? Ich …« Er seufzte. »Ich habe eine Liste gemacht, weißt du? Von allen Sünden, allem, was ich falsch gemacht habe. Um es wiedergutzumachen, alles. Damit der Ewige mich wieder in sein Herz aufnimmt und den Herrn der Wölfe von mit fernhält. Ich will es nicht. Ich habe nie darum gebeten, dem Herrn der Wölfe zu dienen. Ich will nicht so sein, wirklich.«

      Gal war überfordert. Aber er verstand. Er unterdrückte den Impuls, die Hand auf Lukacs' Schulter zu legen und trank seine Flasche leer.

      »Du bist ein Vollidiot«, sagte er und sah auf das Wasser. »Glaubst du echt, das ist deine Schuld?«

      »Natürlich ist sie das.« Lukacs klang verzweifelt. Warum tat er das? Warum öffnete er sich Gal auf diese Weise? Warum machte er sich so verletzlich?

      Weil er ihm vertraute.

      Gals Kehle wurde eng. »Was stand auf der Liste?«, fragte er.

      »Was? Oh, auf der. Lass mal sehen. Ich habe meinen Bruder gezwickt, weil ich sauer war, dass Mutter sich nur noch um ihn gekümmert hat. Er war noch ein Säugling.« Lukacs sah ganz elend aus. »Und ich hab ihn gezwickt, bis er geweint hat. Ich habe Nagy in eine Pfütze geschubst und mich mit Fodor geprügelt. Ich habe mit Mutter und Vater gestritten. Sowas.«

      »Das machen alle, du Idiot.« Gal hätte seine Bierflasche gern Lukacs' hinterher geschleudert. Aber die Dinger kosteten Geld. »Denkst du echt, der Ewige würde ausgerechnet dich dafür strafen?«

      »Aber das hat er.« Die Stimme ging beinahe im Murmeln des Bachs unter.

      »Das ist doch nur irgendein Scheiß, den alle nachplappern. Dass der Herr der Wölfe die Kalten und die Brandstifter geschaffen hat, damit sie an seiner Seite reiten, wenn die Größte Schlacht beginnt. Damit sie unsere Seelen vergiften und unsere Häuser abfackeln. Diese Monster waren ganz normale Leute. Das arme Schwein, das hier gelebt hat.« Er deutete auf die verbrannte Hütte. »Und das arme Schwein, das letzte Woche am Pranger war. Die waren so normal wie … na, normal halt.«

      »Was willst du mir sagen, Oshin?«

      »Dass du ganz normal bist. Die Kalten gehören nicht zum Herrn der Wölfe. Denk doch mal nach. Wenn du kein Monster wärst, wäre der kleine Boghos verreckt. Ach ja, und wir beide auch. Erzähl mir doch nicht, dass der Herr der Wölfe will, dass du Säuglinge rettest. Letzte Woche, da hast du dem Ewigen gedient und nicht der alten Wolfsfresse.«

      Lukacs schwieg.

      Gal traute sich kaum, ihn anzusehen. Und als er es doch tat, rann ein Kribbeln durch seinen Körper, das ihn ganz verlegen machte. Lukacs starrte ihn an.

      »Danke, Gal«, sagte er schließlich. »Ja, ich schätze, so kann man das sehen.« Er räusperte sich. »Du hast viel über diese Dinge nachgedacht, was?«

      Schnell sah Gal wieder weg. »Auf dem Feld gibt's sonst nicht viel zu tun, also, für den Kopf.«

      »Ist das so?« Lukacs klang irgendwie traurig. »Ja, so muss es sein. Schließlich dienst du dem Herrn der Wölfe ebenso wenig wie ich. Egal, was alle sagen.«

      Wärme breitete sich in Gals Magen aus. Als hätte er an dem heißen Rum genippt, den seine Mutter in den schlimmsten Winternächten verteilte.

      »Gut«, sagte er, bevor er allzu lange darüber nachdenken konnte. »Du hast recht, Andon.«

      Nein!, brüllte eine helle Kinderstimme in seinem Kopf. Vertrau ihm nicht! Vertraue niemandem!

      »Womit habe ich recht?«

      Gals Magen verkrampfte sich, aber die Worte brachen aus seinem Mund, ohne sein Zutun. »Ich bin dein Freund.« Kalte Angst rann über seinen Rücken. Er wartete auf Gelächter. Spott. Tritte. »Aber nicht dein bester, klar?«

      »Klar.« Er hörte das Lächeln. Schaffte es nicht, weiter in die Fluten zu starren, und wandte den Kopf.

      Der Mistkerl strahlte heller als je zuvor. Reinweiße Zähne blitzten im gleißenden Licht. Er legte den Kopf schief und Gal fiel auf, wie kräftig sein Kiefer war.

      »Was mich betrifft«, sagte der Mistkerl, »bist du mein allerbester Freund auf der ganzen Welt.« Spott glänzte in dunklen Augen.

      »Fick dich, Andon.« Gal kämpfte gegen ein Lächeln an und erhob sich. »Ich muss los. Der Markt ist fast vorbei.«

      Wie um ihn zu bestätigen, schlug die Turmuhr. Dumpfes Dröhnen wehte über die löcherigen Dächer.

      »Ich muss auch los.« Lukacs sah fast traurig aus. »Vater erwartet, dass ich die Abrechnungen mache. Und das Feuerholz will gespalten werden.«

      »Ihr heizt? Im Sommer?«

      »Wird schnell kalt in der unteren Etage«, sagte Lukacs. »Vor allem im Salon. Mutter friert leicht.«

      »Ah.« Was war ein Salon? Gal rieb sich über den Hosenboden. Trockene Erde rieselte zu Boden.

      Lukacs tat es ihm nach. Blöderweise drehte er Gal dabei seine


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