Ausgewählte Wildwestromane von James Fenimore Cooper. James Fenimore Cooper
»Gute Nacht, Lederstrumpf.«
»Es ist ein feines Korn, Mädchen, und ich denke, es soll das Blei weiter führen als gewöhnlich. Ich werde alt und kann dem Wild nicht mehr mit so raschen Schritten folgen, als ich es sonst zu tun pflegte.«
Miss Temple winkte ihm zu schweigen und folgte Luise und dem Schließer aus dem Gelaß. Der Mann drehte den Schlüssel nur einmal um und bemerkte, er werde zurückkehren und seine Gefangenen besser verwahren, sobald er den Damen auf die Straße geleuchtet. Sie trennten sich demgemäß an der Tür des Gebäudes, worauf sich der Kerkermeister wieder zu seinen Gefängnissen begab und die Damen mit klopfendem Herzen der Ecke zugingen.
»Da Lederstrumpf das Geld nicht nehmen will«, flüsterte Luise, »so könnte man alles Herrn Edwards geben und auch – –«
»Bst!« unterbrach sie Elisabeth, »ich höre das Heu rauschen. Sie bewerkstelligen in diesem Augenblick ihre Flucht. Ach, sie werden entdeckt werden!«
Sie waren inzwischen an die Ecke gekommen, wo Edwards und Natty eben beschäftigt waren, den fast hilflosen Körper Benjamins durchzuziehen. Sie hatten die Ochsen umgewendet und deren Köpfe der Straße zugekehrt, damit sie für ihre Operationen Raum gewännen.
»Wirf das Heu auf den Karren«, sagte Edwards, »sonst kommen sie der Art, wie es geschehen ist, auf die Spur. Rasch, daß man es nicht bemerkt!«
Natty hatte eben diesen Auftrag vollzogen, als das Licht des Gefängniswärters durch das Loch schien und sich von innen eine Stimme vernehmen ließ, welche die Gefangenen rief.
»Was ist jetzt zu tun?« fragte Edwards. »Dieser betrunkene Kerl wird unsere Entdeckung herbeiführen, und wir haben keinen Augenblick zu verlieren.«
»Wer ist betrunken, du Schlingel?« brummte der Hausmeister.
»Sie sind ausgebrochen! sie sind ausgebrochen!« schrien fünf oder sechs Stimmen von innen.
»Wir müssen ihn zurücklassen«, meinte Edwards.
»Das wäre nicht freundlich, Junge«, entgegnete Natty, »er hat mit mir die Schmach des Stockes geteilt und sehr viel Gefühl gegen mich bewiesen.«
In diesem Augenblick hörte man zwei oder drei Männer aus der Tür des »Kühnen Dragoners« kommen, unter denen sich Billy Kirbys Stimme bemerkbar machte.
»Der Mond ist nicht aufgegangen«, rief der Holzfäller, »es ist aber doch eine schöne Nacht. Wer hat mit mir einen Weg? Horcht! was gibt’s im Gefängnis für einen Lärm? Wir wollen hingehen und sehen, was los ist.«
»Wir sind verloren, wenn wir diesen Mann nicht im Stich lassen«, erklärte Edwards.
In diesem Augenblick trat Elisabeth näher und flüsterte rasch:
»Legt ihn auf den Karren und treibt die Ochsen an. Niemand wird euch anhalten.«
»Wie schnell doch Weiber besonnen sind«, rief der Jüngling.
Der Vorschlag wurde aufs eiligste ausgeführt. Man setzte den Hausmeister auf das Heu, gab ihm eine Geißel in die Hand, um das Vieh anzutreiben, und bedeutete ihm, daß er sich ruhig verhalten solle, worauf sich die Ochsen in Bewegung setzten. Sobald dies geschehen war, schlichen sich Edwards und der Jäger eine Strecke weit an den Häusern hin und verschwanden endlich durch ein Gäßchen, das hinter die Gebäude führte. Die Ochsen trabten rüstig vorwärts, und alsbald erscholl der Lärm der Verfolger auf der Straße. Die Damen beeilten ihre Schritte, um dem Gedränge von Konstablern und Müßiggängern zu entgehen, die zum Teil fluchend, zum Teil lachend über den Puff der Gefangenen heranzogen. Aus dem Lärm ließ sich vor allem Billy Kirbys Stimme deutlich unterscheiden, der laut schrie und unter Fluchen beteuerte, er wolle die Flüchtlinge bald wieder haben und Natty in der einen und Benjamin in der andern Tasche zurückbringen.
»Verteilt euch, Leute«, rief er, als er an den Damen vorbeikam und seine schweren Tritte, wie die von einem ganzen Dutzend, durch die Straße hallten. »Verteilt euch – den Bergen zu! In einer Viertelstunde haben sie das Gebirge erreicht, und dann sind sie nur noch mit der Büchse einzuholen.«
Dieser Ruf wurde von zwanzig Stimmen wiederholt; denn nicht nur das Gefängnis, sondern auch die Wirtshäuser hatten ihre Haufen entsandt, teils um im Ernst an der Verfolgung teilzunehmen, teils um sich an dem Vorfall zu belustigen.
An dem Außentor vor ihres Vaters Wohnung angelangt, bemerkte Elisabeth, daß der Holzfäller bei dem Karren halt machte, und sie gab Benjamin verloren. Als jedoch die beiden Mädchen den Kiesweg hinaneilten, wurden sie auf einmal zweier Gestalten ansichtig, die sich vorsichtig, aber rasch unter dem Schatten der Bäume hinschlichen, und in denen sie, sobald sie ihren Pfad kreuzten, Edwards und den Jäger erkannten.
»Miss Temple«, rief der Jüngling, »ich werde Sie vielleicht nie wiedersehen. Erlauben Sie mir, Ihnen für alle Ihre Güte zu danken. Ach, Sie wissen nicht – Sie können unmöglich wissen, welche Beweggründe mich leiteten.«
»Flieht! Flieht«, rief Elisabeth; »das ganze Dorf ist in Bewegung! Man darf uns in einem solchen Augenblick und auf dieser Stelle nicht beisammen treffen.«
»Nein, ich muß sprechen, und wäre auch die Entdeckung gewiß.«
»Der Rückzug nach der Brücke ist euch bereits abgeschnitten. Noch ehe ihr den Wald erreichen könnt, sind euch die Verfolger auf den Fersen, wenn – wenn –«
»Sprechen Sie aus«, rief der Jüngling, »Ihr Rat hat mich schon einmal gerettet; ich will ihm folgen bis zum Tode.«
»Die Straße ist jetzt still und leer«, fuhr Elisabeth nach einer kurzen Pause fort, »benutzt den Weg nach dem See, wo ihr das Boot meines Vaters finden werdet. Von dort aus könnt ihr das Gebirge in jeder Richtung erreichen.«
»Aber Richter Temple könnte die Benutzung seines Fahrzeugs übelnehmen.«
»Seine Tochter wird es zu verantworten wissen, Sir.«
Der Jüngling flüsterte noch einiges, was nur von Elisabeth gehört wurde, und wandte sich dann ab, um ihrem Rat Folge zu leisten. Als sie im Begriff waren, sich zu trennen, näherte sich Natty den Frauenzimmern und sprach:
»Vergeßt mir die Pulverbüchse nicht, Kinder! Ich und die Hunde werden alt, und so bedarf ich der besten Munition für die Biber, welche ich zu schießen habe.«
»Kommt, Natty«, rief Edwards ungeduldig.
»Ich komme schon, Junge, ich komme schon. Gott segne euch beide; denn ihr meint es gut mit einem alten Mann.«
Die Damen blieben stehen, bis sie die sich entfernenden Gestalten aus dem Auge verloren hatten, und begaben sich sodann unmittelbar in das Herrenhaus.
Während dieser Szene hatte Kirby den Karren eingeholt: es war sein eigener, der von Edwards ohne die Erlaubnis des Besitzers von dem Platz, wo die geduldigen Ochsen gewöhnlich abends standen und der Befehle ihres Herrn harrten, weggetrieben worden war.
»Ei der Tausend – mein Vieh!« rief er. »Wie kommt ihr von dem Ende der Brücke, wo ich euch gelassen habe, hierher, ihr dummen Bestien?«
»Vorwärts!« brummte Benjamin, indem er aufs Geratewohl mit der Geißel ausholte und dabei die Schulter des anderen traf.
»Wer zum Teufel seid Ihr?« rief Billy, indem er sich überrascht umwandte, aber nicht imstande war, in der Dunkelheit das derbe Gesicht zu erkennen, das über die Seitenleitern des Karrens hinaussah.
»Wer ich bin? Ich bin der Steuermann dieses Fahrzeugs, wie Ihr seht, und lasse ein hübsches Kielwasser hinter mir. Ja, ja, ich komme von der Brücke her und habe die hölzernen Strümpfe umsegelt. Das nenne ich schöne Steuermannsarbeit, Junge. Vorwärts!«
»Laßt Eure Peitsche ruhen, Herr Benny Pump«, sagte der Holzfäller, »oder ich will Euch die Fläche meiner Hand zeigen und Eure Ohren damit bearbeiten. Wo wollt Ihr hin mit meinem Gespann?«
»Gespann?«
»Ja, mit meinem Karren und