Die bekanntesten Theaterstücke. Heinrich von Kleist
Mördern mich verschwägre,
Zerbreche mir die Henkershand das Wappen.
OTTOKAR (fällt Jeronimus plötzlich um den Hals):
JERONIMUS:
Was ist dir, Ottokar? Was hat so plötzlich
Dich und so tief bewegt?
OTTOKAR: Gib deine Hand,
Verziehn sei alles.
JERONIMUS: – Tränen? Warum Tränen?
OTTOKAR:
Laß mich, ich muß hinaus ins Freie.
(Ottokar schnell ab; die andern folgen.)
Zweite Szene
Warwand. Ein Zimmer im Schlosse. Agnes führt Sylvius in einen Sessel.
SYLVIUS:
Agnes, wo ist Philipp?
AGNES:
Du lieber Gott, ich sags dir alle Tage,
Und schriebs dir auf ein Blatt, wärst du nicht blind.
Komm her, ich schreibs dir in die Hand.
SYLVIUS: Hilft das?
AGNES:
Es hilft, glaub mirs.
SYLVIUS: Ach, es hilft nicht.
AGNES: Ich meine,
Vor dem Vergessen.
SYLVIUS: Ich, vor dem Erinnern.
AGNES:
Guter Vater.
SYLVIUS:
Liebe Agnes.
AGNES:
Fühl mir einmal die Wange an.
SYLVIUS: Du weinst?
AGNES:
Ich weiß es wohl, daß mich der Pater schilt,
Doch glaub ich, er versteht es nicht. Denn sieh,
Wie ich muß lachen, eh ich will, wenn einer
Sich lächerlich bezeigt, so muß ich weinen,
Wenn einer stirbt.
SYLVIUS: Warum denn, meint der Pater,
Sollst du nicht weinen?
AGNES: Ihm sei wohl, sagt er.
SYLVIUS: Glaubst dus?
AGNES: Der Pater freilich solls verstehn,
Doch glaub ich fast, er sagts nicht, wie ers denkt.
Denn hier war Philipp gern, wie sollt er nicht?
Wir liebten ihn, es war bei uns ihm wohl;
Nun haben sie ihn in das Grab gelegt –
Ach, es ist gräßlich. – Zwar der Pater sagt,
Er sei nicht in dem Grabe. – Nein, daß ichs
Recht sag, er sei zwar in dem Grabe – Ach,
Ich kanns dir nicht so wiederbeichten. Kurz,
Ich seh es, wo er ist, am Hügel. Denn
Woher, der Hügel?
SYLVIUS: Wahr! Sehr wahr!
– Agnes, der Pater hat doch recht. Ich glaubs
Mit Zuversicht.
AGNES: Mit Zuversicht? Das ist
Doch seltsam. Ja, da möcht es freilich doch
Wohl anders sein, wohl anders. Denn woher
Die Zuversicht?
SYLVIUS: Wie willst dus halten, Agnes?
AGNES:
Wie meinst du das?
SYLVIUS: Ich meine, wie dus gläubest?
AGNES:
Ich wills erst lernen, Vater.
SYLVIUS: Wie? du bist
Nicht eingesegnet? Sprich, wie alt denn bist du?
AGNES:
Bald funfzehn.
SYLVIUS: Sieh, da könnte ja ein Ritter
Bereits dich vor den Altar führen.
AGNES: Meinst du?
SYLVIUS:
Das möchtest du doch wohl?
AGNES: Das sag ich nicht.
SYLVIUS:
Kannst auch die Antwort sparen. Sags der Mutter,
Sie soll den Beichtger zu dir schicken.
AGNES: Horch!
Da kommt die Mutter.
SYLVIUS: Sags ihr gleich.
AGNES Nein, lieber
Sag du es ihr, sie möchte ungleich von
Mir denken.
SYLVIUS: Agnes, führe meine Hand
Zu deiner Wange.
AGNES (ausweichend): Was soll das?
(Gertrude tritt auf)
SYLVIUS:
Gertrude, hier das Mädel klagt dich an,
Es rechne ihr das Herz das Alter vor,
Ihr blühend Leben sei der Reife nah
Und knüpft' ihn einer nur, so würde, meint sie,
Ihr üppig Haupthaar einen Brautkranz fesseln –
Du aber hättst ihr noch die Einsegnung,
Den Ritterschlag der Weiber, vorenthalten.
GERTRUDE:
Hat dir Jerome das gelehrt?
SYLVIUS: Gertrude,
Sprich, ist sie rot?
GERTRUDE: Ei nun, ich wills dem Vater sagen:
Gedulde dich bis morgen, willst du das?
(Agnes küßt die Hand ihrer Mutter.)
Hier, Agnes, ist die Schachtel mit dem Spielzeug.
Was wolltest du damit?
AGNES: Den Gärtnerkindern,
Den hinterlaßnen Freunden Philipps schenk
Ich sie.
SYLVIUS: Die Reuter Philipps? Gib sie her:
(Er macht die Schachtel auf)
Sieh, wenn ich diese Puppen halt, ist mirs,
Als säße Philipp an dem Tisch. Denn hier
Stellt' er sie auf, und führte Krieg, und sagte
Mir an, wies abgelaufen.
AGNES: Diese Reuter,
Sprach er, sind wir, und dieses Fußvolk ist
Aus Rossitz.
SYLVIUS: Nein, du sagst nicht recht. Das Fußvolk
War nicht aus Rossitz, sondern war der Feind.
AGNES:
Ganz recht, so mein ich es, der Feind aus Rossitz.
SYLVIUS:
Ei nicht doch, Agnes, nicht doch. Denn wer sagt dir,
Daß die aus Rossitz unsre Feinde sind?
AGNES:
Was weiß ich. Alle sagens.
SYLVIUS: