Der Hund, der die Welt rettet. Ross Welford

Der Hund, der die Welt rettet - Ross Welford


Скачать книгу
in dem Moment wird mir klar, dass ich überhaupt keinen Schimmer habe, worauf ich mich da einlasse. Ich habe alles blind mitgemacht, habe mir diesen kuriosen Fahrradhelm aufsetzen lassen, bin über ein Bett aus winzigen Kugeln gelaufen und stehe nun unter einer riesigen dunklen Kuppel, während andere Leute draußen in der Sonne Eis essen und …

      Genauso erging es mir, als ich das erste Mal Achterbahn gefahren bin. Ich muss so sechs gewesen sein. Dad und ich saßen im ersten Wagen. Und erst nachdem wir die Steigung hochgekrochen waren und ganz oben standen, wurde mir klar, dass ich so hoch nie sein wollte.

      Vor nicht mal fünf Minuten habe ich mit einem Wolfskopfklopfer an ein Stahltor geschlagen und jetzt teste ich … ja, was überhaupt? Ein neues Spiel? Wer ist diese Frau?

      Ich habe eine Heidenangst. Wie bin ich da nur reingeraten?

      »Ramzy? Mir gefällt das nicht.«

      Ich greife nach Ramzys Hand und rufe: »Stopp!« Und noch mal lauter: »STOPP!«

      Aber zu spät. Die Deckenstrahler gehen aus und alles wird dunkel.

      6. Kapitel

      Genau hier, wo wir jetzt stehen, befand sich vor einer Weile noch ein Restaurant, in dem ich allerdings nie gewesen bin. Jahre davor war es mal ein Tanzpalast, dann eine Disco mit Cafés und Spielhallen. Draußen gab es einen Vergnügungspark, der das ganze Jahr geöffnet hatte, und mittendrin diese riesige weiße Kuppel. Das Ganze hieß dann Spanish City.

      Grandpa, der hier aufgewachsen ist und gelebt hat, bis er mit Gran nach Schottland gezogen ist, erinnert sich noch an eine uralte, klappernde Holzachterbahn, die Großer Wagen hieß. Seit den 90ern ist Spanish City mehr oder minder eine Ruine gewesen und das blieb auch eine ganze Zeit so.

      Vor ein paar Jahren wurde dann alles runderneuert und der Große Wagen und der Vergnügungspark existieren seitdem nicht mehr. Aber in den Arkaden, dem Ladenbereich von Spanish City, gibt es nach wie vor Eisdielen und Cafés, so teure Schickimicki-Läden wie Polly Donkin Tea Rooms, bei denen Grandpa aufschreit: »Soll das ein Witz sein? So viel Geld für eine Kanne Tee? Als ich klein war, also das kann ich euch sagen …«, und so weiter.

      Einmal hat der König Spanish City einen Besuch abgestattet, bevor er König wurde. Da war ich noch ein Baby. Und es gibt ein Foto von Mum und mir, auf dem es aussieht, als würde mich der König anlächeln, dabei liegt es wohl nur an der Perspektive. Das Lächeln galt nicht mir. Jedenfalls hängt das Foto bei uns im Flur.

      Und im letzten Winter schloss das Restaurant in der Kuppel dann urplötzlich. Niemand wusste, warum. Saskia Hennesseys Mutter arbeitete da als Kellnerin und verlor von einem Tag auf den anderen ihren Job. Doch dafür … bekam sie einen Riesenbatzen Geld; die ganze Familie machte Urlaub in Florida, und als sie zurückkamen, hatten alle neue Laptops, und Mrs Hennessey fand gleich einen Job bei Polly Donkin Tea Rooms.

      So erging es wohl allen Angestellten, das behauptet Sass zumindest.

      Heute: belebtes Restaurant. Morgen: Umzugswagen, die Tische und Stühle abholen. Die Woche darauf: Arbeiter mit Vorschlaghämmern und Containern.

      Von außen sieht es noch genauso aus. Aber was drinnen vor sich geht, weiß keiner. Zumindest wusste es keiner, bis Ramzy und ich Dr. Pretorius kennengelernt haben.

      Irgendwann kurz vor den Herbstferien liefen Ramzy und ich von der Schule nach Hause, und ich erzählte ihm alles, auch meine Begegnung mit dem König, und ich dachte laut darüber nach, was in Spanish City wohl vor sich geht, da stapfte Ramzy einfach auf einen Typen mit orangefarbener Weste und Schutzhelm zu, der am Hintereingang eine Schubkarre mit Ziegeln und kaputten Brettern schob.

      »Entschuldigen Sie, Sir. Was passiert da drinnen?«, fragte Ramzy, während ich vor Scham am liebsten im Boden versunken wäre. (»Sir!«) Unser Lehrer Mr Springham sagt immer, Ramzy hat überhaupt keine Hemmungen, er spricht einfach jeden an.

      Der Mann schien ganz froh, seine Ladung mal absetzen zu können.

      »Da bin ich überfragt, Junge. Prima Restaurant, alles rausgerissen! Is ’ne Schande, meine Meinung. Guck mal hier …« Er zeigte auf eine große glänzende Steinplatte in der Schubkarre. »1A italienischer Marmor. Ach, eigentlich könnt ich das gebrauchen. Gibt ’nen hübschen Gartentisch!«

      »Und … was kommt da jetzt rein?«, Ramzy wieder. Der Mann hatte seinen Schutzhelm abgenommen und wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn. Er sah zur Kuppel hoch.

      »Keine Ahnung. ’n Film- oder Musikstudio könnte ich mir vorstellen. Nächste Woche kommt da ’n Haufen teure Teile rein. Weißt schon, Lichter und Projektoren und Computer und so ’n Kram.« Mit dem Kopf deutete er zu einer älteren Dame mit Schutzhelm, die vor einem Stapel silberner Kanister kniete und die Etiketten prüfte. Finster blickte sie zu uns herüber. Im ersten Moment kam sie mir nicht bekannt vor.

      »Oh, oh. Muss mich wieder an die Arbeit machen, sonst steigt mir die Frau Doktor aufs Dach.«

      Ramzy drehte sich zu mir um. »Siehst du, man braucht bloß zu fragen!«

      Im Gehen wandte ich mich noch mal um. Die alte Frau hatte sich erhoben und sah uns nach. Groß und dünn war sie. Ich schaute weg. Nach ein paar Metern riskierte ich einen weiteren Blick und sie guckte noch immer. Ich fühlte mich wie ertappt, als hätte ich was Verbotenes getan.

      Und da erst erkannte ich sie wieder. Ich hatte sie manchmal unten am Strand beim Baden gesehen. Sogar im Winter.

      Was immer hier entstehen würde, musste gigantisch sein. Denn in den silbernen Kanistern steckte Kaltschweißmasse, ein Metallkleber. Dad benutzte ihn in seiner Autowerkstatt, aber er hatte nur einen Kanister davon. Die alte Dame hatte bestimmt um die zwanzig.

      Und als ich mich diesmal umschaute, geschah was. Ein Blick? Eine Verbindung? So genau kann ich es nicht sagen, aber ich hatte das Gefühl, dass sie uns nicht ohne Grund beobachtete. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, doch vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet.

      7. Kapitel

      In der finsteren Kuppel leuchtet der Metallbügel vor meinen Augen plötzlich auf. Das blau-weiße Licht ist so grell, dass es fast wehtut und ich blinzeln muss. Nachdem sich die Helligkeit ein wenig gelegt hat, werden Formen sichtbar. Innerhalb von Sekunden verwandeln sich dünne Pfähle in Palmen und aus dem dunklen Boden wird ein weißer Sandstrand.

      Und ich meine damit, es sieht richtig nach Strand aus, nicht nach so einem kitschig gelben Strand mit pixeliger Auflösung, den man durch ein klobiges Headset betrachtet. Virtuell habe ich noch nie einen so realistischen Strand gesehen, noch nie.

      Ich lasse Ramzys Hand los und er ruft erstaunt: »Boahhhhh!«

      Vor uns befindet sich der Liegestuhl und zu beiden Seiten davon erstreckt sich halbmondförmig ein mit Palmen gesäumter cremeweißer Sandstrand. Dahinter kräuselt sich ein türkisfarbenes Meer.

      Ich drehe mich einmal um die eigene Achse. Die Illusion ist perfekt. Über mir ein blauer Himmel mit Schäfchenwolken, weiter hinten am Horizont eine dunklere, graue Wolke.

      Dann nehme ich die Geräusche wahr: die Brise, das Rascheln der Palmen im Wind, das Brechen der kleinen Wellen, ein altes Moped, das in der Ferne vorbeiknattert. Hinter mir schallt blecherne Musik. Als ich mich umdrehe, ist da eine Hütte, aus der die Musik kommt und in der man Getränke kaufen kann. Hinter dem Tresen steht ein Barmann und lächelt. Ich erwidere das Lächeln und winke ihm zu.

      Er winkt zurück, dabei sind seine Bewegungen kein bisschen abgehackt, nur sein Arm ist ein wenig pixelig und ihn umgibt eine dunkle Kontur.

      Okay, denke ich. Das ist ziemlich gut, mehr als gut, großartig, aber ihr wisst schon …

      Ich will ja nicht zynisch oder verwöhnt klingen, aber ich habe schon Virtual-Reality-Spiele gespielt. Das hier ist gut und garantiert besser als die in Disneyland, aber … was soll die ganze Geheimnistuerei?

      »Das ist ziemlich


Скачать книгу