Der schottische Bankier von Surabaya. Ian Hamilton

Der schottische Bankier von Surabaya - Ian  Hamilton


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Reisschale auf und schaute ihn an. Da war sie wieder, diese Sentimentalität, aber seine Miene ließ nichts davon erkennen. »Es war nichts, mit dem wir schließlich nicht fertiggeworden wären, richtig? Letzten Endes haben wir Erfolg gehabt«, sagte sie.

      »Gewissermaßen.«

      »Es tut mir leid, dass ich den ganzen Sommer verbummelt habe.« Sie versuchte, sie wieder näher an die Gegenwart zu bringen. »Es hat Wochen gedauert, bis ich mein Bein wieder halbwegs normal gebrauchen konnte, und bis dahin war ich schon längst im Cottage und war richtig faul. Doch jetzt bin ich wieder im Einsatz, also lass uns die alten Sorgen vergessen.«

      Er aß langsam, nahm Löffel um Löffel von seinem Reisbrei, als wäre es eine Hundert-Dollar-Schale Haifischflossensuppe, und schlürfte den Congee mit winzigen Schlucken. Er war nie ein schneller Esser gewesen, aber jetzt war er geradezu bedächtig. Ava hielt immer wieder inne, damit er nicht vollends ins Hintertreffen geriet.

      »Du solltest wissen, dass ich Zweifel habe, ob mein Besuch in Ho-Chi-Minh-Stadt Erfolg verspricht«, sagte sie. »Es könnte ein kurzer Einsatz werden.«

      »Warum denkst du das?«

      Sie erzählte ihm in allen Einzelheiten von ihrem Treffen mit Joey Lac und auch, dass dieser absolut überzeugt war, dass Lam zu einer Unterschlagung dieses Ausmaßes nicht fähig war.

      »Es sind immer diejenigen, die wir nicht in Verdacht haben, ehe es zu spät ist«, sagte Onkel und machte eine wegwerfende Geste.

      »Aber Lac hat ihn gut gekannt.«

      »Du wirst das bald genug herausfinden.«

      »Welche Vorkehrungen hast du in Vietnam getroffen?«

      »Am Flughafen wird ein Freund auf dich warten. Er wird Zivilkleidung tragen, ist aber bei der Polizei, District One. Er wird tun, was du von ihm verlangst … in angemessenem Rahmen, versteht sich.«

      »Ich gehe nicht davon aus, dass Lam mir ernste Probleme bereiten wird. Er ist Finanzberater, kein Gangster.«

      »Sei auf jeden Fall vorsichtig. Vergiss nicht, dass sein Bruder ein vermögender Mann ist, und er wird Freunde in Vietnam haben. In dem Land führt einen das zwangsläufig zur Polizei oder zur Armee.«

      »Ich werde nichts Unüberlegtes tun«, erwiderte Ava und holte ihr Notizbuch aus der Tasche. Sie riss eine leere Seite heraus und schrieb die Informationen über die Bank Linno ab, die Lac ihr gemailt hatte. »Haben wir Kontakte in Indonesien?«, fragte sie.

      »Einige. Hauptsächlich in Jakarta natürlich.«

      Sie schob ihm den Zettel hin. »Diese Bank hat ihren Firmensitz in Surabaya. Ich habe nur einen Namen und dazu eine Telefonnummer und eine E-Mail-Adresse. Könntest du möglichst viel über diese Bank in Erfahrung bringen?«

      »Die hängt mit Lam zusammen?«

      »In der Tat.«

      »Ich habe noch nie von dieser Bank gehört.«

      »Sie war immerhin groß genug für eine Zweigstelle in Toronto, und dort hat Lam das Geld eingezahlt, das er eingesammelt hatte. Das Merkwürdige ist, dass die Filiale dichtgemacht wurde, kurz nachdem Lam in Schwierigkeiten geraten war.«

      »Glaubst du, dass es da eine Verbindung gibt?«

      Es war nicht seine Art, voreilige Schlüsse zu ziehen, ebenso wenig wie ihre. Langsam und bedächtig, das war immer ihre Devise gewesen – von A nach B nach C, bis sie am Ende anlangten, ohne Abkürzungen zu nehmen, denn Abkürzungen erwiesen sich in den meisten Fällen als sinnloses Unterfangen, als reine Geld- und Zeitverschwendung.

      »Ich weiß nicht, was ich glauben soll«, entgegnete sie. »Ich muss erst mal Lam finden.«

      »Ich werde zusehen, was ich in Indonesien in Erfahrung bringen kann«, sagte Onkel.

      »Danke.«

      Er legte seinen Löffel beiseite, das jook erst halb gegessen. »Ich muss sagen, dass ich überrascht war, als du mich anriefst, um über diesen Auftrag zu sprechen.«

      Seine Miene war gleichmütig, aber Ava vernahm das leichte Zittern in seiner Stimme.

      »Warum das?«

      »Ich dachte, nach Macao hättest du vielleicht beschlossen, dass der Erfolg das Risiko nicht mehr aufwiegt. Ich meine, du hast genug Geld, um solche Aufträge nicht mehr übernehmen zu müssen, und du bist so verdammt clever, dass du alles Mögliche machen könntest, was immer du willst.«

      Ava streckte die Hand aus und legte sie auf seine. »Es geht wieder um May Ling, nicht wahr?«

      Er lächelte. »Sie ist nicht so subtil wie du, auch wenn sie das gern glaubt. Sie hat mich gestern angerufen, und zwar nicht zum ersten Mal, und mich doch tatsächlich gefragt, ob ich je daran gedacht hätte, nach Wuhan heimzukehren. Und als ich erwiderte, das hätte ich – was vor zehn oder fünfzehn Jahren auch so war –, meinte sie, Changxing und sie würden sich geehrt fühlen, wenn ich eine Position in ihrem Unternehmen einnähme, als eine Art Elder Statesman. Und das von einer Frau, die uns damals nicht engagieren wollte, weil es ihr widerstrebte, ihren Familiennamen mit meinem in Verbindung zu bringen. Es muss ihr ein dringendes Anliegen sein, sich mit dir zusammenzuschließen, wenn sie bereit ist, mich in Kauf zu nehmen.«

      Ava sah keinen Sinn darin, nicht direkt zu sein. »Onkel, du hast dazu beigetragen, dass May und ich uns kennenlernen. Nun sind wir Freundinnen. Und ja, sie hat versucht mich zu bewegen, in ihr Unternehmen einzusteigen. Ehrlich gesagt, habe ich darüber nachgedacht, und ich habe beschlossen, dass ich noch nicht dazu bereit bin. Vielleicht eines Tages, aber im Augenblick noch nicht. Ist das für dich akzeptabel?«

      »Natürlich. Du schuldest mir nichts.«

      »Ich schulde dir alles«, erwiderte sie, schärfer und lauter, als sie beabsichtigt hatte.

      Er wandte die Augen ab, sein Blick glitt zum Fenster hinüber. »Ich sehe, dass Sonny umherkreist. Wir müssen dich zum Flughafen bringen, und ich muss einige Anrufe nach Indonesien tätigen und vielleicht auf die Philippinen. Meine Kontakte nach Indonesien sind nicht so gut, aber ich weiß, dass Onkel Chang dort gut vernetzt ist.«

      »Wenn du mit ihm sprichst, richte ihm Grüße von mir aus«, sagte Ava.

      »Wir telefonieren jede Woche miteinander«, antwortete Onkel. »Er ist immer noch Tommy Ordonez’ rechte Hand, und ich schätze, dass das so bleiben wird, bis er stirbt.«

      11

      SONNY FUHR SIE ZUM FLUGHAFEN. Sie sprachen nicht, bis sie den Tunnel passiert hatten und durch Hongkong auf die Brücke zufuhren. »Du musst ihn im Auge behalten«, sagte Ava. »Mir kommt sein Zustand nicht allzu schlecht vor – sein Verstand ist immer noch scharf, aber körperlich hat er abgebaut. Was mich jedoch am meisten irritiert, ist, dass er sentimental zu werden scheint.«

      »Das ist das Wort, nach dem ich vorhin gesucht habe, als ich dir erzählt habe, dass er über die alten Zeiten reden möchte.«

      »Ich glaube nicht, dass es ein Symptom für irgendetwas ist. Kann sein, dass wir auf simple Stimmungsschwankungen überreagieren, also bedränge ihn nicht, ja? Wenn du dich an ihn dranhängst, sei diskret; denk daran, mit wem du es zu tun hast. Er war immer sehr sensibel, was seine Umgebung angeht, und wenn du nicht vorsichtig bist, entdeckt er dich im Nu.«

      »Ich dachte, ich setze jemand anders ein – eine Freundin von mir, die er nicht kennt.«

      Ava nickte. »Das ist eine gute Idee, Sonny. Ja, wirklich Ist diese Frau aber auch professionell genug, um das hinzukriegen?«

      »Klar!«

      Seine Antwort klang so aggressiv, dass sie jede Menge Fragen in Avas Kopf auslöste. Sie verkniff sie sich allesamt. »Gut. Bitte halt mich auf dem Laufenden.«

      Sonny ließ sie am VIP-Abflugterminal aussteigen. Sie brauchte keine fünf Minuten, um bei Cathay Pacific einzuchecken, und nur zehn Minuten, um Zoll und Passkontrolle zu


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