Herbst der Vergeltung. Erik Eriksson

Herbst der Vergeltung - Erik Eriksson


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könnte sich ein wenig bemühen, aber das tat sie nicht, sie könnte ein wenig helfen, es gab Frauen, die das taten, die ihren Männern ein wenig halfen.

      Er zog die Decke mit sich, als er aus dem Bett stieg. Ihre Beine lagen weiß und bloß, das Nachthemd war hoch gerutscht, der Schoß war entblößt, das schwarze Haar glänzte ein wenig. Er verstand nicht, warum es glänzte, er empfand es wie blanken Hohn, so als ob sie das bekommen hatte, was er ihr nicht gegeben hatte.

      Sie lag auf dem Rücken, die Beine etwas gespreizt, das eine ein wenig angezogen. Nun zog sie es noch etwas mehr an die Seite, fast als würde sie sich jemandem öffnen, im Schlaf. Er zog vorsichtig die ganze Decke von ihr herunter.

      Dann ging er hinaus in die Küche. Er schloss leise die Tür hinter sich, ging zur Toilette und pinkelte, kehrte in die Küche zurück und sah, dass die Uhr über dem Herd zwanzig vor sieben anzeigte.

      Die Söhne schliefen noch. Er ging in ihr Zimmer, stellte sich ans Fenster und wartete kurz.

      Nach zehn Sekunden ließ er das Rollo mit einem Schlag hoch sausen, öffnete das Fenster und wandte sich zu den beiden Betten. Er wartete kurz, gab den Jungen eine Chance ›guten Morgen‹ zu sagen. Als er nichts hörte, ging er zu Per-Eriks Bett und zog die Decke fort. Dann wandte er sich Olas Bett zu und tat dasselbe.

      »Auf, auf!«, sagte er.

      Die Jungen standen sofort auf. Er nickte ihnen zu, hörte sie ›guten Morgen‹ murmeln. Im Normalfall hätte er eine höflichere Begrüßung verlangt, doch jetzt machte er eine Bewegung in Richtung Küche. Sie folgten ihm durch die Tür.

      Dort warteten sie einen Augeblick, er hielt den Finger vor den Mund zum Zeichen, dass sie still sein sollten. Die Söhne nickten. Er nickte zurück. Es war, als ob sie alle zusammen die Mutter der Jungen überraschen sollten, als ob es ihr Geburtstag sei.

      Jetzt soll sie etwas erleben, dachte er.

      Er öffnete die Tür vorsichtig. Birgitta schlief immer noch, und sie lag immer noch so da mit gespreizten Beinen.

      »Kommt rein«, flüsterte er den Jungen zu.

      Sie sahen ihre Mutter, standen wie versteinert da und guckten sie an. Dann wandte der zehnjährige Ola den Blick ab und tat einen Schritt rückwärts, sein sechsjähriger Bruder stand noch immer da.

      Bengt nahm Ola bei den Schultern, drehte ihn der Mutter im Bett zu.

      »Guckt, so sieht sie aus, eure Mutter«, sagte er mit lauter Stimme. »Guckt, wie sie da liegt und sich rekelt.«

      Ola versuchte sich abzuwenden. Jetzt lachte Bengt laut, zeigte auf Birgitta und schüttelte den Kopf.

      Da wachte Birgitta auf. Sie suchte nach der Decke, fand sie aber nicht, da sie auf dem Boden lag. Sie zog hastig ihr Nachthemd herunter und setzte sich im Bett auf.

      »Eure Mutter!«, lachte Bengt und verließ das Schlafzimmer.

      Ola folgte seinem Vater. Der Sechsjährige blieb stehen. Birgitta stieg aus dem Bett, ging zu dem Jungen und umarmte ihn.

      »Papa macht nur Spaß«, flüsterte sie. »Er meint das nicht böse.«

      Aber sie wusste, dass das, was sie ihrem jüngsten Sohn zuflüsterte, nicht stimmte. Trotzdem wiederholte sie ihre Worte, weil sie wusste, dass sie das Einzige waren, das sie sagen konnte.

      2.

      Es war immer noch Hochsommer, trotzdem waren die Nächte dunkel in dieser Woche. Dicke Regenwolken bedeckten den Himmel, keine Sterne waren zu sehen, es schien kein Mond über Älvsjö.

      Alles war ungewöhnlich still. Vielleicht war es die Ruhe vor dem Auguststurm, die Wochen vor dem Schulanfang. Es war die Zeit von zerschlagenen Fensterscheiben, von lauter Musik aus tragbaren CD-Playern an jeder Straßenecke, dem Treffpunkt für die Jugendlichen, die vorübergehend auseinandergetrieben wurden von besorgten Eltern auf der Jagd nach ihren zwölfjährigen Töchtern.

      Dann und wann unterbrach das Geräusch von vorbeifahrenden Zügen die Stille, der kreischende Laut von blanken Metallrädern auf glatten Schienen, Älvsjös ewigem Wiegenlied: Ein später Zug aus Nynäshamn, ein Nachtzug auf dem Weg nach Kopenhagen, ein Güterzug aus Malmö. Diese Geräusche störten niemanden, nur wenn sie ausgeblieben wären, wäre vielleicht jemand aufgewacht.

      Gegen zwei Uhr in dieser Nacht bellte ein Hund vor einem der Häuser im Törnrosväg, ein kleiner Hund. Jemand hörte das Gebell und sollte es später als durchdringend und ziemlich beharrlich beschreiben. Ganz sicher war das ein sehr kleiner Hund, das hörte man.

      Die großen Hunde dominierten hier, aber es gab auch kleine Hunde in mehreren Häusern, einen Zwergpinscher, einen Spitz, einen glatthaarigen Dackel und einen schwarzen Papillon, der einer korpulenten Afrikanerin gehörte. Oder waren es ihre vielen, weiten Röcke, die einen Eindruck von Leibesfülle erweckten? Der Hund war auf jeden Fall sehr klein und zierlich.

      Fürchtete sich der bellende Hund vor etwas, witterte er Gefahr?

      Der Mann, der die Dachbodentür aufschob, brauchte keinen Schlüssel. Das Schloss war kaputt. Es gab Einbruchsspuren am Türrahmen, aber die waren alt, vielleicht ein Resultat wiederholter Einbruchsversuche.

      Er benutzte die linke Hand. In der anderen hielt er ein dünnes Seil, das er in mehreren Schlaufen um das Handgelenk gewickelt hatte. Das andere Ende des Seils war festgeknotet, rund um den Hals eines liegenden Mannes. Der Körper dieses Mannes lag ausgestreckt auf dem Boden. Er hatte beide Hände am Hals, versuchte, einen der gekrümmten Finger unter das eng zugezogene Seil zu schieben, in einem verzweifelten Versuch, Luft zu bekommen.

      Sein Gesicht war zerschunden. Die Nase war gebrochen, Blut rann aus dem Mund, die Vorderzähne im Oberkiefer waren ausgeschlagen. Der Liegende war schwer mitgenommen, er konnte nicht mehr aufstehen. Hätte er das gekonnt, hätte er sich vielleicht losreißen können. Aber er lag auf dem Boden, denn er war fast bewusstlos. Trotzdem wehrte er sich, so gut er noch konnte.

      Der Mann, der das Seil hielt, schloss die Tür hinter sich. Dann wechselte er die Hand, hielt das Seil straff in der linken Hand, ergriff dessen Ende mit der rechten und warf es über einen der Dachbalken, zog das Ende wieder zu sich, zog mit beiden Händen daran und lehnte sich zurück.

      Der Körper des liegenden Mannes folgte der Bewegung des Seils. Der Mann lag auf den Knien, die Hände am Seil um den Hals, dann erhob er sich, stand auf den Zehenspitzen, tastete dann mit diesen nach dem Boden, als sein Henker für einen kurzen Augenblick den Zug am Seil unterbrach.

      »Du weißt, warum«, sagte der Mann, der über sein Leben bestimmte.

      Aber der zum Tode Verurteilte antwortete nicht. Ein gurgelnder Laut kam aus seinem Hals.

      »Du weißt, warum, du erinnerst dich daran, und du weißt es«, sagte der Mann, der das Seil hielt.

      Aber der schwer Mitgenommene hörte es nicht. Er sah nicht mehr, wen er vor sich hatte.

      Da spannte sich das Seil langsam. Der Mann, der sich entschieden hatte, keinerlei Mitleid zu zeigen, war schwerer als sein Opfer. Mit strampelnden Beinen wurde der Verurteilte hochgezogen, verlor den Bodenkontakt, zappelte weiter. Und die ganze Zeit spreizten sich die Finger krampfartig um die Halsschlinge. Die Nägel hatten Kratzspuren in der Haut hinterlassen, aber das Seil war stark. Er wurde nicht gehängt, sein Genick wurde ihm nicht gebrochen. Er wurde erdrosselt, langsam, es zuckte noch für einige Minuten schwach in einem seiner Beine, und dann war er tot.

      Der Mann, der ihn auf dem Dachboden erdrosselt hatte, knotete das Seilende an eine Gittertür und ließ sein Opfer dort hängen.

      Als der Mann fortging, bellte der kleine Hund. Der Mann blieb kurz vor der Tür stehen, bevor er hinausging. Jetzt war es nicht mehr ganz so dunkel.

      3.

      Ein leichter Nieselregen war über Älvsjö gekommen, früh am Vormittag. Jetzt war der Himmel nur noch teilweise mit Wolken bedeckt. Es würde vielleicht noch völlig aufklaren.

      Verner


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