Eine Liebe in der Toskana. Peter Knobloch

Eine Liebe in der Toskana - Peter Knobloch


Скачать книгу
und bemüht nicht unhöflich zu wirken, schloss ich ganz langsam die Tür.

      »Buonanotte«, rief ich durch die halbgeschlossene Badezimmertür.

      »Buonanotte«, antwortete sie.

      Mir schwirrte der Kopf! Vor zweitausend Jahren hat dieses Volk für Seeschlachten mal schnell das ganze Kolosseum abgedichtet. Und jetzt sowas!

      *

      Ich wusch mich und ging auf mein Zimmer. Es war ein karges Kämmerlein mit einem Eisenbett, einem alten Bauernschrank, einem Stuhl und einem Tisch, auf dem ein kleines Fernsehgerät stand. Ich versuchte zu schlafen, was sich schnell als aussichtslos erwies. Total aufgekratzt lag ich da. Eine Flasche Wein wäre jetzt hilfreich gewesen, aber das hatte ich versäumt.

      Da war das quietschende Bett, die vielen neuen Eindrücke, die ungewohnten Geräusche, die Stimmen, die von der Piazza heraufdrangen.

      Nach einer Stunde stand ich auf, öffnete das Fenster und einen Flügel der dunkelgrünen Lamellenläden. Mein Zimmer lag auf der Rückseite des Palazzo.*1

      Ich sah auf ein schmales Gässchen, das in die Piazza mündete. Es musste in letzter Zeit viel geregnet haben, die ganze Gasse hing voll mit Wäsche. Auch so ein Klassiker, der uns Deutsche immer wieder schwach macht. Und mich schon zweimal.

      Ich ging zurück ins Bett, aber anstatt zu schlafen wälzte ich mich unruhig hin und her.

      Warum war ich überhaupt hier? Reichte es nicht, wie jeder anständige deutsche Bildungsbürger im Sommer durch die Altstädte der Toskana zu stolpern? Musste es jetzt auch noch im November sein?

      Ich dachte an meine Kinder, und mir fiel auf, dass ich noch nie länger als drei Tage von ihnen getrennt war. Und jetzt gleich für zwei Wochen ... ein lauter Knall! Ich schreckte hoch, ließ mich aber gleich wieder ins Kissen fallen. Idioten! In diesen engen Gassen entfalteten Chinaböller eine besonders effektive Wirkung. –

      Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, warum ich hier war. Also ich war hier, weil ich vor vier Wochen einen Zahnarzttermin hatte und im Wartezimmer nichts außer Klatschblätter und Autozeitschriften vorfand. Weil ich mich daraufhin auf einen Stuhl gesetzt hatte und in Ermangelung einer Zeitschrift auf die gegenüberliegende Wand starrte. Und weil an dieser Wand ein Kalender mit einem Kalenderspruch hing, den ich von meinem Stuhl aus lesen konnte:

       »Du musst dein Leben ändern!«

      Rainer Maria Rilke

      Meinte der etwa mich? Irgendwie fühlte ich mich angesprochen. Du musst dein Leben ändern. Ja gut, aber wie? Sollte ich etwa meine politische Gesinnung ändern? Nein, nicht schon wieder. Mein Outfit? Schon eher. Auf beiden Gebieten hatte ich ja schon erstaunliche Wandlungen vollzogen. Vom anarchistischen Posthippie zum wertkonservativen Familienvater, mehr ändern geht doch gar nicht.

      So richtig fiel mir nichts ein, was ich ändern konnte. Weniger essen wäre nicht verkehrt, auch weniger Alkohol. Du musst Dein Leben ändern. Ich war zwar momentan nicht gut drauf, aber im Prinzip war mein Leben doch in Ordnung, oder? Du musst Dein Leben ändern. Der Satz ließ mich erst wieder los, als der Zahnarzt den Rosenbohrer auf meinen Backenzahn setzte.

      Von außen betrachtet war mein Leben wirklich in Ordnung. Ich war – wie man so schön sagt – gesettled. Verheiratet, Kinder, sicheres Einkommen.

      Es hatte einige Zeit gedauert, bis ich alles auf die Reihe gebracht hatte. Zwölf Jahre plätscherte meine Beziehung mit Gerlinde ziellos und unverbindlich vor sich hin, bis wir irgendwann doch noch die Kurve gekriegt hatten und eine Familie gründeten.

      Mittlerweile waren wir schon fast ein Vierteljahrhundert zusammen. Auch beruflich hatte es lange gedauert, bis ich endlich Boden unter den Füßen fand. Aber seit ein paar Jahren spielte ich in Edelrestaurants Kabarett, sogenannte Dinnershows. Das brachte zwar nicht viel Ruhm, aber dafür sicheres Geld, und nach vielen mageren Bühnenjahren nahm ich diese Form der Halbprostitution gerne in Kauf. Kurz: Es lief ganz gut für mich.

      Im Sommer konnten wir uns sogar vier Wochen Urlaub leisten. Den verbrachten wir jedes Jahr im Cilento, etwa hundertzwanzig Kilometer südlich von Neapel.

      Als die Kinder noch klein waren, hatten wir dort einen bilderbuchschönen Campingplatz direkt am Meer mit Sandstrand und kristallklarem Wasser entdeckt. Anfangs waren wir immer im September da. Wir waren jene cleveren Nachsaisonurlauber, die Wert auf einen möglichst leeren Strand und günstige Preise legten. Wir waren ja nicht so bescheuert wie die Italiener, die dem Wahn verfallen sind, nur im August ans Meer fahren zu können, weil dann der Strand so schön überfüllt ist und man so richtig abgezockt wird.

      Das Verhängnis fing damit an, dass wir irgendwann zu früh angereist waren. Das heißt, die Italiener waren noch da. Dieses Treiben am Strand, das ständige Handygeklingel, der Eisverkäufer, der seinen markisenüberspannten Karren durch den Sand schob, die Hausfrauen bei der Wassergymnastik, die Herren, deren Spieltrieb so stark ausgeprägt war, dass sie selbst den dämlichsten Tricks der Animateure mit Begeisterung auf den Leim gingen. Ich war hin und weg.

      Fasziniert beobachtete ich einen Animatore, der sich mit einer Handvoll Pasta an den Strand gestellt hatte und laut schrie: »Wie viele Spaghetti halte ich in meiner Hand?«

      Mit diesem Quatsch hielt er eine stattliche Ansammlung von gesetzten Herren ein halbe Stunde lang bei bester Laune. Es wurde mit großen Gesten erörtert, geraten, diskutiert, gefachsimpelt, anfängliche Schätzungen verworfen und neue Theorien aufgestellt. Der Sieger wurde schließlich wie ein Weltmeister gefeiert, wobei auffiel, dass sie das alles nicht wirklich ernst nahmen, sondern einfach einen kindlichen Spaß am Herumblödeln hatten.

      Abends die Kids, wie sie sich in Trauben durch die engen Gassen des Campeggios schoben. Giggelnde Gören und gockelnde Jungs. Und schon damals fiel mir auf: In Italien wird viel mehr geschmust als bei uns.

      Ich war diesem Flair hoffnungslos erlegen, und auch Gerlinde fand Gefallen am »echten Italien«. Deprimiert sahen wir am Montag nach Ferragosto den leeren Strand vor uns.

      Nur noch ein paar clevere Bayern und Schwaben, die die günstigen Nachsaisonpreise nutzten, fingen an, Sandburgen zu bauen.

      In den darauffolgenden Jahren fuhren wir immer Anfang August in den Urlaub, zahlten ohne mit der Wimper zu zucken den doppelten Preis, fühlten uns aber in der hauptsächlich aus Neapel stammenden Italienerschar pudelwohl.

      Wir schlossen Freundschaften und fingen an, ein bisschen Italienisch zu sprechen.

      So vergingen die Jahre. Elf Monate wühlten wir uns durch den Alltag und im August hieß es, den Gürtel weiter schnallen, um einen ganzen Monat lang das süße Leben im Cilento zu genießen.

      Die Kinder wuchsen heran, wurden selbst giggelnde Teenager, und alles hätte wunderbar so weitergehen können. –

      Ging es aber nicht!

      Gerlinde und ich hatten uns auseinandergelebt, daran führte kein Weg vorbei. Es war ein langer, anfangs kaum wahrnehmbarer Prozess. Lange Zeit überdeckte das tägliche Familienmanagement die tiefen Gräben, aber in letzter Zeit half auch alles managen nichts mehr. Wir stritten uns immer öfter.

      Und da war auch noch Bernd, diese Kakerlake. Bernd ist Ingenieur und wie viele – wie ich heute finde, zu viele – Herren aus meinem dörflichen Bekanntenkreis im weiteren Sinne für die Automobilindustrie tätig. Normalerweise unterhielt er sich am liebsten über Getriebe und Kardanwellen, aber sobald Weibsvolk in der Nähe war, gab er sofort den bis zur Selbstverleugnung gehenden Frauenversteher ab. Er verstand sich auch mit allen Frauen fantastisch, außer mit seiner eigenen. Mit der führte er eine sogenannte moderne Ehe, was im Klartext heißt, sie war im Eimer.

      Bernd, für Gerlinde Bernie, stravanzelte in letzter Zeit etwas viel um Gerlinde herum, machte ihr in schon penetranter Art und Weise Komplimente, und Gerlinde fühlte sich nicht nur geschmeichelt, schlimmer, sie fühlte sich verstanden! – O Weiber!

      Der in Beziehungsfragen geschulte Leser hört nun die Alarmglocken läuten, und in der Tat, als Bernd in diesem August plötzlich auf unserem Campingplatz


Скачать книгу