Eine Liebe in der Toskana. Peter Knobloch

Eine Liebe in der Toskana - Peter Knobloch


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Kino!

      So macht man das! Mit Glanz und Bravour hatte ich gleich mal meinen ersten Freistoß souverän in die Maschen gehämmert. Das ließ sich doch wunderbar an. Operation »Eroberung einer stolzen Italienerin« lief wie geschmiert.

      Die Bluthunde meiner Begierde witterten Morgenluft!

      *

      Nachmittags machte Rossana, »Winnetous Schwester«, für uns Neulinge eine kleine Stadtführung. Wir bummelten auf dem Corso, die für den Verkehr gesperrte Hauptgeschäftsstraße, und ich staunte über die Vielzahl von Geschäften, die es hier gab. Sicher kann San Giovanni nicht mit Lucca, San Gimignano oder Siena mithalten, aber das hatte durchaus seine Vorteile. Moderate Preise, keine Touristenscharen, kein Souvenirschnickschnack, es war eben kein Museum, sondern eine echte italienische Kleinstadt, lebendig, umtriebig, mit vielen kleinen Läden und Handwerksbetrieben. Hier gab es alles. Von der Schusterwerkstatt bis zur Polsterei, von der Modeboutique bis zum Weinhändler.

      In meiner Heimatgemeinde Sollnstein, sie zählt immerhin fast zweitausend Einwohner, gibt es nicht einmal mehr einen Tante-Emma-Laden. Das letzte Lebensmittelgeschäft hat vor vier Jahren aufgegeben.

      Mir gefiel, dass alles zu Fuß unterwegs war. Im zersiedelten Sollnstein sieht und grüßt man sich nur noch aus dem Auto heraus, und ein Sollnsteiner, der werktags zu Fuß durch sein Dorf geht, ist entweder betrunken, war betrunken, oder sein Auto ist kaputt.

      Aber wie machen die das nur, fragte ich mich. Wie können drei Fachgeschäfte für Damenhandtaschen in einer einzigen Straße überleben? Die geschätzten fünfundzwanzig Friseurläden allein in der Altstadt, die unzähligen Schuhgeschäfte, die vielen Alimentari, die Bars, wie funktioniert das? Obendrein gab es noch einen großen Coop-Supermarkt und jeden Samstag einen Wochenmarkt. Konsumieren die bis die Kreditkarte glüht? Nein, sicher nicht, die Italiener haben die niedrigste Privatverschuldung in Europa. Ist da nicht schon wieder der deutsche Steuerzahler der Dumme?

      Auf der Piazza zeigte uns Rossana zuerst das Rathaus, den Palazzo d’Arnolfo, und dann die drei Kirchen, von denen die älteste, die Chiesa San Lorenzo aus dem vierzehnten Jahrhundert eindeutig den Vogel abschoss: Der Mesner öffnete für uns eine Schrankwand, hinter der das Skelett eines Mannes hing, den man hier vor über einem halben Jahrtausend eingemauert hatte.

      Da staunte der leicht schockierte Protestant und musste anerkennen, dass die Katholiken, was die special effects betrifft, den Evangelen um Lichtjahre voraus sind.

      Wir hatten uns vom gruseligen Knochenmann noch nicht richtig erholt, da kam schon der nächste Kracher. Im benachbarten Dom klärte uns Rossana über das berühmte sangiovanesische Milchwunder auf, dem miracolo del latte.

      Zu Zeiten der Pest hatte im kriegsverwüsteten San Giovanni eine Großmutter unversehens ihr verwaistes Enkelkind, einen vier Monate alten Säugling, an der Backe. In ihrer Not begab sie sich zum Stadttor und bat dort unter dem Bildnis der heiligen Mutter Gottes um Hilfe. Kaum war ihr Amen verklungen, füllten sich ihre alten Brüste mit Milch, und noch am selben Abend konnte die Alte den hungrigen Säugling stillen.

      Die Stadtväter waren damals der Ansicht, dass das ein Spitzenwunder war und taten das, was man in einem solchen Fall immer tat. Sie bauten an der Stelle, wo sich das Wunder ereignet hatte, einen Dom. Da aber das Stadttor schon damals ein verkehrstechnisch unverzichtbarer Bestandteil der sangiovanesischen Infrastruktur war, bauten sie die Kirche einfach über und um das Stadttor herum. Und noch heute – sechshundert Jahre später – fährt man als Autofahrer unter dem Dom hindurch.

      Da lächelt der Katholik, und der Protestant schlackert nur so mit den Ohren.

      *

      »Bist du auch ein guter Schüler?«, wollte meine vierzehnjährige Tochter Romy wissen.

      »Ja, bin ich«, antwortete ich. »Oder sagen wir mal so, ich bin nicht schlechter als die anderen.«

      »Mach mir ja keine Schande, hörst du?«, gluckste sie am Telefon.

      Es war ihr ein unüberhörbares Vergnügen, mit ihrem Vater endlich mal auf Augenhöhe, sprich von Schüler zu Schüler zu sprechen.

      »Ich doch nicht!«

      »Was habt ihr heute gemacht?«

      Ich erzählte von meinem ersten Schultag und beschrieb ihr den Unterrichtsstil. Sie hörte interessiert zu, stellte eine Reihe von altklugen Fragen und veränderte ihre Position immer mehr Richtung Mutter, die sich ein Bild von der Schule ihres Sohnes machen wollte.

      Hier unterschied sie sich gründlich von ihrem älteren Bruder, der mit einem, sagen wir mal leicht gestörten Verhältnis zur Institution Schule doch schwer seinem Vater nachschlug und niemals auch nur in einem Nebensatz einen Anflug von Interesse an schulischen Dingen bekunden würde. Leider!

      Überhaupt sind Töchter wesentlich besser als Söhne. Sie sagen einem, wenn einem ein Haar aus der Nase sprießt, wenn das Hemd nicht zu Hose passt, und wenn man endlich mal wieder zum Friseur gehen sollte.

      Alles praktische Dinge, die einem nie Söhne, sondern nur Töchter sagen. Töchter sind einfach besser.

      »Wann kommst du wieder?«

      »Nächste Woche Donnerstag.«

      »Du weißt, dass du mir was mitbringen musst?« – Nein, Söhne sind besser!

      »Dann hören wir aber jetzt besser auf, sonst hab ich bis dahin kein Geld mehr. Auslandsgespräche sind teuer, meine Liebe!«

      »Ciao Papa! Bussi!

      »Ciao meine Süße!«

      Ich hatte mich sehr über das Telefonat mit Romy gefreut, spürte jetzt aber ein merkwürdig indifferentes Gefühl in der Magengegend.

      *

      Nachdem ich das Abendessen mit Franca und einer Folge von »Kommissar Rex« (il comissario Rex) eingenommen hatte – Franca hatte pausenlos die Schönheit und Klugheit des Tieres gepriesen –, ging ich nochmal raus und schlenderte über den Corso.

      In der Bar Valentino sah ich durch die Fensterscheiben ein paar Studenten am Tresen stehen, und da ich Emma und Nazuko aus meiner Klasse erkannte, trat ich ein und gesellte mich zu ihnen.

      Die Gruppe wurde von zwei mittelalterlichen Herren aus der Parallelklasse komplettiert.

      »Hi, my name is Murdo. I’m from Scotland«, stellte sich der eine vor.

      »Und ich bin König Arthur!«, fiel ihm sein Nebenmann ins Wort. »Ich komme aus dr Schweiz.« Nun, das war unüberhörbar.

      »König Arthur?«, wiederholte ich und sah ihn fragend an.

      »Vorname Arthur, Nachname König!«, kicherte er und breitete triumphierend seine Hände aus, als hätte er ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert: »Arthur König, König Arthur!«

      Obwohl er den Gag mit seinem Namen sicher schon tausendmal gebracht hatte, bebten seine Schultern vor Lachen. Er sprach mit einem starken schweizer Akzent und gehörte zum Typus des, vor allem in Bayern häufig anzutreffenden, Schlitzaugenlachers. Bei ihm verengten sich die Augen beim Lachen zu Schlitzen. Prominente Beispiele für den Schlitzaugenlacher sind Mick Jagger, Peter Maffay, aber auch Franz Josef Strauß, bei dem zum Schlitzauge noch das Schlitzohr hinzukam.

      König Arthur war untersetzt und hatte dünnes, blondes, zur Seite gescheiteltes Haar. Er lebte in Basel und war von Beruf Schreinermeister. Murdo war Geographielehrer und kam jedes Jahr nach San Giovanni.

      Nach dem Espresso kam schnell das erste Bier, dann das zweite, dann verabschiedete sich Emma, denn als Fünfzehnjährige musste sie um einundzwanzig Uhr auf ihrem Zimmer sein.

      Jeder plauderte nun ein bisschen von seinem Land und seinen Leuten.

      »Ich lebe zwar jetzt in Glasgow, komme aber ursprünglich aus einem kleinen Dorf in den Highlands«, erzählte Murdo, der mit seinem schwarzen Schnurrbart einem fülligen Peter Sellers ähnelte.

      Und dieses Kaff, so fuhr er fort, sei zwar


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