Eine Liebe in der Toskana. Peter Knobloch

Eine Liebe in der Toskana - Peter Knobloch


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zu Hause, erzählte Bernd allen, wie furchtbar eifersüchtig ich auf ihn gewesen sei, und wie daneben ich mich benommen hätte. Und Gerlinde gab dieser Arschtrompete auch noch Recht. Gut, ich war nicht besonders nett zu ihm, auch die Überdosis Peperoncini, die ich ihm in die Pasta gemischt hatte, war vielleicht nicht die feine Art, aber ich hatte ihn ja schließlich auch nicht eingeladen. Egal, jedenfalls wurden derlei Vorkommnisse von der Automobilistenclique begeistert aufgenommen. Zudem versorgte Gerlinde neuerdings die Gattinnen der Autoknechte zuverlässig mit unseren Ehe-Innereien, was bei den Autoweibern zu großer Dankbarkeit und bei mir zu einem dramatischen Autoritätsverlust führte.

      Im September dann die totale Demütigung. Gerlinde fuhr mit den Autohühnern für eine Woche zum Segeln. – Mit Bernd als Skipper! Das konnte dieser Hundertsassa leider auch noch.

      Na bravo!, dachte ich mir. Allein mit fünf Weibern auf hoher See, als Hahn im Korb, als Hecht im Karpfenteich, als Fuchs im Hühnerstall! Damit eröffneten sich dem perversen Autobüttel ja schier unvorstellbare Möglichkeiten. Und keiner weit und breit, der ihm in den Arm oder weiß Gott was hätte fallen können. Das war zu viel! Eine Woche lang saß ich machtlos zuhause, hütete brav das Haus und sah im Geiste meine Frau halbnackt, Bacardi-saufend vor diesem Jack-Sparrow-Verschnitt herumtanzen, und das war sicher nur das Vorspiel zu viel Schlimmerem.

      Als Gerlinde zurückkehrte, hatte unser Verhältnis einen neuen Tiefpunkt erreicht. - Wir fingen an, uns aus dem Weg zu gehen.

      Du musst Dein Leben ändern. In dieser seelisch unsortierten Lebensphase fiel der Rilke-Spruch natürlich auf fruchtbaren Boden. Die Schicksalsuhr tickte, und vor zwei Wochen, an Allerheiligen, stieß ich zufällig auf eine Webseite, die Sprachkurse in Italien anbot. Ich zögerte kurz, aber dann nahm ich meinen Kalender zur Hand, entdeckte zwölf freie Tage und buchte blindlings einen Kurs. Danach fühlte ich mich besser. Ich hatte vielleicht nicht gleich mein Leben, aber doch ein bisschen was verändert. Es war nur ein kleiner Schritt, aber immerhin.

      Aber ob das so eine gute Idee war? Inzwischen hatte ich es fast schon wieder bereut. Und jetzt wollte ich endlich schlafen. Schließlich wartete mein erster Schultag seit dreißig Jahren auf mich.

      Heiland, hätte ich gewusst, was außerdem noch auf mich wartete, wäre ich sofort aus dem Fenster gesprungen und nach Norden desertiert. Aber vielleicht war ich ja auch deshalb so unruhig, weil ich das nahende Unheil schon spürte, unbewusst, wie die Tiere, die merken auch schon vorher, wenn etwas im Busch ist. Die Schweine zum Beispiel, die riechen sofort Lunte wenn’s zum Schlachthof geht, oder die Hühner vor einem Erdbeben, völlig durch den Wind, andere wiederum sind bei Tsunamis ganz vorn, wittern die Welle um den halben Erdball. Da kann man als Mensch nur demütig den Hut ziehen und kleinlaut seinen Computer- und Seismographenkrimskrams einpacken.

      Schlaf endlich, befahl ich mir, schlafe! Aber anstatt zu schlafen, flimmerten die fünfundzwanzig peinlichsten Augenblicke meines Lebens an mir vorüber.

      Denk an was Schönes, denk an das Kopfballtor beim Altherrentraining vorgestern oder noch besser, denk an den letzten August am Meer, als Bernd noch nicht da war, und jeder Tag damit begann, dass ich anderthalb Kilometer zum Monte Tresino schwamm, zu jenem Hügel, der als Halbinsel ins Meer ragte, dessen grüne Pinien das alles beherrschende Blau von Wasser und Himmel durchbrachen und dessen Zykaden mir jeden Morgen ein lautes, aber doch so bezauberndes Ständchen zirpten. Ja, das war paradiesisch! Am Abend spielten wir Volleyball am Strand, während gleichzeitig die rote Sonne bei Capri im Meer versank. An klaren Tagen sah man sogar noch Ischia. Nein, schöner konnte das Leben gar nicht sein. Wenn es so dunkel wurde, dass wir den Ball nicht mehr sehen konnten, brachen wir das Spiel ab und rannten schweißtriefend, lachend und jubelnd ins badewannenwarme, glutrote Meer. Ja, das war das große Glück!

      Und wenn wir wieder aus dem Wasser stiegen, war es dunkel, und der Mond stand schon am Himmel. – Gähn! – Herrlich! Aber dann kam Bernd, diese Kellerassel!

      Mist, jetzt war ich wieder hellwach.

      *

      Mit dem ersten Glockenschlag fiel ich fast aus dem Bett. Ich sah auf die Leuchtziffern des Weckers, es war erst halb sechs.

      Es folgten weitere Schläge.

      Gab es wirklich Leute in dieser Stadt, denen man um halb sechs mitteilen musste, dass es gerade halb sechs geworden war? Wenn ja, warum von allen drei Kirchen? Und warum so laut?

      Die nächsten Stunden verbrachte ich damit, alle dreißig Minuten die Schläge mitzuzählen, und die Glockenklänge den einzelnen Kirchen zuzuordnen. Irgendwann kamen die Kehrmaschinen, die Tauben begannen zu gurren, dann wurde es hell.

      Francas Klopfen riss mich aus dem Tiefschlaf: »Sei pronto, Peter (bist du fertig)?«

      Um genauer zu sein, sagte sie: »Sei pronto Biiiedärr?«

      Wie alle Italiener sprach sie meinen Namen auf Englisch aus, oder versuchte es zumindest. »Biiiedärr« fällt ihnen leichter, als sich mit der deutschen Aussprache abzuquälen. Dann kommt höchstens ein hartes, russisch anmutendes »Pätärrr« heraus, was aber immer noch besser klingt als das fränkische »Beeeder«, das mir zuhause von den notorischen Konsonantenschändern meines Volksstammes so butterweich an die Ohren geknallt wird.

      Zum Milchkaffee, den mir Franca mit Fragen nach meinem Wohlbefinden sowie einer groben Skizzierung der allgemeinen Weltlage auf den Tisch gestellt hatte, gab es Hörnchen, Brot, Butter und Marmelade. Auch zum Frühstück lief der Fernseher, und die Morgennachrichten der RAI knüpften nahtlos am Geschehen des Vortages an. Wieder gab es schwarze Limousinen, Regierungskrise, und schon in aller Herrgottsfrühe trugen weiße Overalls einen Blechsarg durch die neapolitanische Gegend. Eine Reporterin wusste nichts Genaues und ein paar Nachbarn beteuerten, dass sie nichts mitgekriegt hätten. Zum Abschluss gab es noch ein bisschen Überwachungskameravoyeurismus, Brangolina und ein paar Fußballtore.

      Der Soldat vom Wetteramt sagte Regen vorher.

      Nicoletta

      Mit Ringblock, Kugelschreiber und einem Langenscheidt-Wörterbuch machte ich mich auf meinen ersten Schulweg. Jetzt sah ich die Piazza endlich bei Tageslicht. Sie hatte mir schon bei meiner Ankunft auf Anhieb gefallen. Das großzügig angelegte Rechteck mit dem obligatorischen Garibaldi-Denkmal am Kopfende wurde umrahmt von den drei nächtlichen Plagegeistern, dem Dom mit seiner florentinischen Kuppel, und zwei weiteren steinalten, berückend schönen Kirchen.

      Am schönsten aber war das Rathaus, das ungewöhnlicherweise frei und zentral mitten auf dem Platz stand. Der Palazzo d’Arnolfo erinnerte mit seinem stufenweise abgesetzten Dach an eine Pagode, und jetzt, als an diesem klaren, sonnigen Herbstmorgen die schneebedeckten Bergketten des Pratomagno von der Ferne her leuchteten, hatte das Ganze wirklich etwas Nepalesisches.

      Über dem Eingangsportal des Rathauses wies ein großes Transparent auf eine Masaccio-Ausstellung hin.

      Masaccio, das hatte ich im Internet gelesen, war ein bedeutender Renaissancemaler und ist mit Abstand der berühmteste Sohn der Stadt. Obwohl man, wie mir Franca vorhin beim Frühstück erklärt hatte, in diesem Zusammenhang auf keinen Fall Signorina Menghini vergessen darf, die San Giovanni auch viel Ruhm und Ehre einbrachte, als sie vor acht Jahren einen fantastischen zweiten Platz bei den Miss-Italia-Wahlen errang. Sie gehöre, so Franca, seitdem zur absoluten Toppprominenz (je länger ich mir das Wort anschaue, desto stärker wächst in mir der Wunsch, den Rechtschreibreformern die Hände abzuhacken) der Stadt.

      Außer den Kirchen und dem Rathaus befanden sich an der Piazza ein Reisebüro, zwei Alimentari, drei Bars, ein Blumengeschäft, ein Eiscafè, eine Bank, eine Apotheke und, was mich sehr erstaunte, ein Chinarestaurant.

      Ich fand das alles wunderbar. Die Sonne tauchte die Piazza in ein mildes Herbstlicht, vor mir stieben immer wieder Tauben auf, und ich gestehe ohne Reue, dass es mir sogar gefallen hat, auch wenn jetzt sicher dem einen oder anderen Leser ein angeekeltes »Iiiiieh, Tauben« entfährt.

      Die Schule zu finden war kein Problem, sie lag ebenfalls direkt an der Piazza, auch wenn die Eingangstür in einer Seitengasse lag. Ich klingelte, ein Türsummer öffnete, und ich stieg in den dritten Stock eines verschachtelten Altbaus mit Atrium,


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