Eine Liebe in der Toskana. Peter Knobloch

Eine Liebe in der Toskana - Peter Knobloch


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noch schnell meinen Hosenstall und trat in ein Empfangsbüro, wo bereits ein paar andere Neulinge herumstanden. Eine schlanke, etwa fünfzigjährige Frau mit rotgefärbtem Haar, begrüßte mich und stellte sich als Schulleiterin vor.

      Ich sah mich um.

      Drei weitere Damen wuselten hinter dem Empfangstresen umher. Die mit den zwei pechschwarzen, fast blauschillernden Zöpfen sah ein bisschen aus wie Winnetous Schwester, Maria Versini, die Älteren erinnern sich. Dann war noch eine Kleine mit wilder Lockenpracht und südlichem Teint, und eine Dunkelhaarige fuhrwerkte am Kopiergerät herum.

      Bereits zuhause hatte ich einen Einstufungstest ausgefüllt und per Email an die Schule zurückgeschickt. Die Schulleiterin blätterte in meinen Testbögen, las und nickte ab und zu wohlwollend. Meinen Test studierend fragte sie mich:

      »Wo hast du so gut Italienisch gelernt? In der Schule? An der Uni?«

      »Auf dem Campingplatz«, antwortete ich wahrheitsgemäß.

      ›Und auf dem Topf‹, hätte ich allerdings noch hinzufügen müssen, denn der Campingplatz war nur die halbe Wahrheit. Aber da hätte ich wohl unangemessen viel aus meinem Intimleben preisgegeben. Dem Leser jedoch schulde ich brutalstmögliche Aufklärung, also gestehe ich hiermit, dass ich über den Zeitraum eines Jahres während der täglichen Verrichtung eines körperlichen Bedürfnisses, den kompletten ersten Band von »Italienisch für Sie« mit allen Grammatikübungen durchgearbeitet habe. Ja, ich habe diese Sprache auf dem Donnerbalken erlernt.

      Aber das traute ich mir hier wirklich nicht zu bringen, also gab ich nur den Campingplatz an, was die anwesenden Damen aber auch schon so schräg und lustig fanden – wenn die erst wüssten –, dass alle lachten und mich neugierig anschauten.

      Jetzt sah auch die Dunkle am Kopierer zum ersten Mal zu mir rüber.

      In diesem Moment ist es passiert.

      Es fällt mir schwer diese Sekunden, als sich unsere Augen zum ersten Mal trafen, in Worte zu fassen. Ihr Blick war kein Blick, es war ein Energiestrahl, ein Laserblitz aus einer anderen Welt. Starr stand ich da, während eine wahre Gefühlsflut über mich hereinbrach. Ich hörte das Intro von »Also sprach Zarathustra«, denn ich spürte, dass gerade etwas Großes und Epochales in mein Leben trat, gleichzeitig fühlte ich etwas Warmes und Weiches. In diesem glücksschaudernden Tsunami der Sinne zogen aber auch irritierende Wortfetzen wie »Kragenweite« und »Abschussliste« an mir vorüber.

      Die Luft brannte, und jeder, ja jeder der Anwesenden musste von diesem kosmischen Ereignis elektrisiert gewesen sein, dachte ich.

      Jahre später habe ich mal nachgefragt: Keiner konnte sich überhaupt an meinen ersten Tag erinnern.

      Im Deutschen nennt man so etwas »Liebe auf den ersten Blick«. Die italienische Bezeichnung hierfür trifft in meinem Fall die Sache wesentlich besser: un colpo fulmine, ein Blitzschlag.

      Die Schulleiterin hörte ich nur noch gedämpft aus der Ferne. Für eine Italienerin war sie, die Dunkle, erstaunlich hellhäutig. Sie war keine dieser auffälligen südländischen Schönheiten, diese fleischgewordenen Ferraris, von denen es ja reichlich in diesem gesegneten Land gibt. Sie war eine Schönheit auf den zweiten Blick, durchaus mit kleinen Fehlern behaftet, die sie aber nur noch interessanter, noch unwiderstehlicher machten.

      Die Schulleiterin referierte von fern über die Kommunikationsfreundlichkeit von Campingplätzen im Allgemeinen und die von Campingplätzen in der Nähe Neapels im Besonderen.

      Ich schätzte sie auf Ende zwanzig, Anfang dreißig. Zu ihren schulterlangen Haaren trug sie einen giftgrünen Pulli, einen schwarzen Rock sowie Strümpfe im gleichen Grün des Pullovers. Die schwarzen Schuhe wiederum zeigten exakt den Farbton des Rocks. Wie die meisten ihrer Landsleute hatte sie offensichtlich Spaß an der Mode und diese traumwandlerische Geschmackssicherheit. Sie hatte ein lustiges Gesicht, das heißt der Schalk war ihr ins schöne Antlitz geschrieben. Ein spitzer, sinnlicher Mund, eine schön geformte Nase, auf deren heller Haut sich zart ein paar Sommersprossen andeuteten. Aber das Beste waren ihre Augen! Diese großen, wunderschönen, dunkelgrünen Augen.

      Ein flehender Wunsch stieg in mir auf: Lieber Gott, mach, dass dieses phantastische Wesen meine Lehrerin wird. –

      Im selben Moment, als meine Kinnlade wieder zuklappte, hörte ich die Stimme der Schulleiterin wieder laut und deutlich:

      »Und das hier ist Nicoletta, deine Lehrerin!« Sie deutete auf den Kopierer. – Treffer!!

      In mir tanzten alle Glückshormone Kasatschok. Heute denke ich eher an den Bibelspruch: Wen Gott strafen will, dem lässt er seine Wünsche in Erfüllung gehen. Oder stammt das aus dem Talmut? Egal.

      »Nicoletta wird dich gleich in deine Klasse begleiten. Ihr seid in der scuola nuova.«, fügte sie noch hinzu. Ein paar Klassen hatten sie wegen Platzmangel in ein anderes Gebäude ausgelagert.

      Also mit meiner Lehrerin zurück über die Piazza. Obwohl wir uns noch überhaupt nicht kannten, plauderten wir schon erstaunlich locker miteinander. Sie war nicht nur schön, sie war auch nett. Sie fragte mich, was ich so mache, und wie alle männlichen Primaten in ähnlicher Situation, versuchte ich mich, als möglichst tollen Hecht darzustellen.

      »Was? Du spielst Gitarre?«, rief sie begeistert. »Toll, freitags machen wir immer Songs. Bring sie mit!«

      Klar würde ich sie mitbringen, mir bis dahin die Finger wund üben und spielen wie Jimi Hendrix und Eric Clapton zusammen. Oder sollte ich mehr die romantische Variante wählen? »Suzanne« von Leonard Cohen zum Beispiel. Das brachte bisher noch jedes Frauenherz zum Schmelzen.

      Und wie sagte, nein hauchte, meinen Freunden und mir damals vor dreißig Jahren in einer sorrentinischen Bar eine rassige Italienerin zu später Stunde ans verdutzte Ohr:

      »German men love Italian women ...«, sie nippte an ihrem Campari, sah herausfordernd hinter ihrem Glas hervor und raunte: »... and italian women love german men.«

      Puhh! Diese rauchige Stimme, dieser erotische Akzent, frage nicht! Aber Uwe, Günther und ich, wir haben uns da auf überhaupt nichts eingelassen und verhielten uns in dieser delikaten Situation – war sie auch noch so verführerisch – absolut korrekt. – Notgedrungen! Wir waren ja betrunken wie tausend Russen. Wir befanden uns noch in dieser, für nordische Völker typischen, frühmännlichen Saufphase und anstatt aus dieser Jahrhundertgelegenheit Kapital zu schlagen, saßen wir nur dumm da und grinsten angesäuselt-doof. Aber das tut hier weiter nichts zur Sache.

      Das hier war eine völlig andere Situation. Das hier war auf gut bayrisch eine gemähte Wiese, eine geradezu perfekte Ausgangsposition. Ich hatte sage und schreibe fast zwei Wochen Zeit, sie von meiner tiefen, ehrlichen Liebe zu überzeugen, von meinem aufrichtigen Wesen, meinem Charme, meiner Leidenschaft, und selbstverständlich würde ich ihr jeden Stern vom Himmel holen. Ihr bliebe letztendlich ja gar nichts anderes übrig, als sich in mich zu verlieben.

      Hah, und diese geschniegelten Ragazzi, diese eitlen, oberflächlichen Gecken waren doch keine ernsthafte Konkurrenz. Ich würde sie allesamt in den Staub schleudern. Italienische Frauen lieben deutsche Männer! Punkt! In spätestens zwei Wochen wird sie erkannt haben, dass ihr Leben ohne diesen geistreichen, tiefgründigen, humorvollen, kurz einzigartigen Deutschen ein Irrtum war und ihm überall hin folgen. Sogar ins kalte, scheußliche Germanien.

      Das arme Geschöpf. Sie war verloren!

      *

      Wie man unschwer erkennt, war ich zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr ganz richtig im Kopf. Auch erschrecke ich im Nachhinein darüber, welch dunkle Pläne gerade mal fünf Minuten nach dem ersten Kennenlernen bereits in mir herum marodierten, welch Heimtücke, welch teuflische Niedertracht sich schon meiner bemächtigt hatte.

      Ich möchte aber mit aller Entschiedenheit dem Eindruck entgegenwirken, es handle sich bei meiner Person um einen erotisch wahllos operierenden Schürzenjäger. Nein und abermals nein!

      Der Künstler an sich ist zwar diesbezüglich sehr schlecht beleumundet – und was muss ich nicht alles tagtäglich auf meiner Internetstartseite


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