Das Haus der Freude. Edith Wharton

Das Haus der Freude - Edith Wharton


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du was«, rief sie nach einer langen Pause, »ich glaube, ich werde Lawrence anrufen und ihm sagen, dass er einfach kommen muss

      »O nein«, sagte Lily und fühlte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Ihr Erröten überraschte sie fast genauso wie ihre Gastgeberin, die, obwohl sie sonst Veränderungen im Gesichtsausdruck nicht sehr aufmerksam verfolgte, sie mit großen Augen verwirrt anstarrte.

      »Du meine Güte, Lily, wie hübsch du bist! – Warum nicht? Hast du eine solche Abneigung gegen ihn?«

      »Nein, gar nicht; ich mag ihn gern. Aber wenn du von dem wohlwollenden Bemühen, mich vor Bertha zu beschützen, getrieben wirst – ich glaube, ich brauche deinen Schutz nicht.«

      Mrs. Trenor richtete sich auf mit dem Ausruf: »Lily! – Percy? Willst du damit sagen, du hast es wahrhaftig geschafft?«

      Miss Bart lächelte. »Ich will nur sagen, dass Mr. Gryce und ich allmählich sehr gute Freunde werden.«

      »Hm – ich verstehe.« Mrs. Trenor betrachtete sie mit verzückten Augen. »Weißt du, es heißt, er habe achthunderttausend im Jahr – und gäbe nichts aus, außer für seine zerfledderten alten Bücher. Und seine Mutter ist herzkrank und wird ihm noch viel mehr hinterlassen. Oh, Lily, übereile nur nichts!«, beschwor ihre Freundin sie.

      Miss Bart lächelte weiterhin, ohne verärgert zu sein. »Ich habe zum Beispiel keine Eile, ihm zu sagen, er habe einen Haufen zerfledderter alter Bücher.«

      »Nein, natürlich nicht; ich weiß, wie wunderbar du dich der Interessen andrer Leute annimmst. Aber er ist so entsetzlich schüchtern und leicht schockiert, und – und – – –«

      »Warum sagst du es nicht einfach, Judy? Ich habe den Ruf, auf der Jagd nach einem reichen Ehemann zu sein?«

      »Oh, das meine ich nicht; er würde es von dir sowieso nicht glauben – zunächst zumindest nicht«, sagte Mrs. Trenor ehrlich und scharfsinnig zugleich. »Aber du weißt ja, dass es hier manchmal recht lebhaft zugeht – ich muss Jack und Gus einen Wink geben – und wenn er glaubte, du wärst, was seine Mutter mit ›leichtlebig‹ bezeichnen würde – ach, na ja, du weißt, was ich meine. Trag dein scharlachrotes Crêpe de chine-Kleid nicht zum Dinner, und wenn es eben geht, rauche nicht, Lily, Liebes!«

      Lily schob ihre beendete Arbeit mit einem trockenen Lächeln von sich. »Das ist sehr lieb von dir, Judy; ich werde meine Zigaretten wegschließen und das Kleid vom vergangenen Jahr, das du mir heute Morgen geschickt hast, tragen. Und wenn dir meine Zukunft wirklich am Herzen liegt, wärst du wohl so gut, mich heute Abend nicht aufzufordern, wieder Bridge zu spielen.«

      »Bridge? Hat er auch gegen Bridge etwas einzuwenden? Oh, Lily, was wirst du für ein schreckliches Leben führen! Aber natürlich werde ich dich nicht fragen – warum hast du mir nicht schon gestern Abend einen Wink gegeben? Es gibt nichts, was ich nicht täte, du armes Spätzchen, um dich glücklich zu sehen!«

      Und Mrs. Trenor, erwärmt von dem Eifer ihres Geschlechts, wahrer Liebe den Weg zu bahnen, nahm Lily lange und gründlich in den Arm.

      »Und du bist ganz sicher«, fügte sie noch besorgt hinzu, als Lily sich aus ihrer Umarmung wieder frei machte, »dass du nicht doch möchtest, dass ich Lawrence Selden anrufe?«

      »Ganz sicher«, sagte Lily.

      Die nächsten drei Tage bewiesen zu ihrer eigenen völligen Zufriedenheit Miss Barts Fähigkeit, ihre Angelegenheiten ohne die Hilfe anderer zu betreiben.

      Als sie an einem Samstagnachmittag auf der Terrasse von Bellomont saß, lächelte sie über Mrs. Trenors Furcht, sie könnte etwas übereilen. Wenn eine solche Warnung jemals vonnöten gewesen war, so hatten die Jahre ihr eine heilsame Lektion erteilt, und sie schmeichelte sich, dass sie jetzt wüsste, wie sie ihr Tempo dem Objekt ihrer Bemühungen anpassen musste. Im Falle von Mr. Gryce hatte sie es angebracht gefunden, scheinbar ziellos vorauszueilen, sich im Unbestimmten zu verlieren und ihn so von Tiefe zu Tiefe unbewusster Vertrautheit weiterzulocken. Die sie umgebende Atmosphäre war günstig für diesen Plan, die junge Liebe voranzubringen. Mrs. Trenor hielt Wort und hatte nicht mehr erkennen lassen, dass sie Lily am Bridgetisch erwartete; sie hatte den anderen Kartenspielern sogar zu verstehen gegeben, dass sie keine Überraschung über Lilys ungewohnte Abwesenheit beim Spiel zeigen sollten. Auf diesen Wink hin fand sich Lily im Mittelpunkt jener weiblichen Rücksicht, von der eine junge Frau während der Werbungszeit umgeben ist. Stillschweigend schaffte man für sie im von Menschen wimmelnden Leben auf Bellomont eine gewisse Abgeschiedenheit, und ihre Freunde hätten keine größere Bereitschaft zur Zurückhaltung gezeigt haben können, wenn ihre Werbung mit allen Attributen einer Romanze versehen gewesen wäre. In Lilys Kreis bedeutete ein solches Verhalten mitfühlendes Verständnis für ihre Motive, und Mr. Gryce stieg in ihrer Achtung, als sie sah, zu welcher Rücksichtnahme er andere veranlasste.

      Die Terrasse auf Bellomont an einem Nachmittag im September war ein günstiger Ort für gefühlvolle Träumereien, und wie Miss Bart so dastand, gegen die Balustrade über dem tiefergelegenen Garten gelehnt, ein wenig abseits von der munteren Gruppe um den Teetisch, hätte sie sich in einem Labyrinth unaussprechlichen Glücks verlieren können. In Wahrheit fanden ihre Gedanken jedoch sehr klaren Ausdruck in der ruhigen Aufzählung der Segnungen, die auf sie warteten. Von dort, wo sie stand, konnte sie diese in der Gestalt von Mr. Gryce verkörpert sehen, der in einem leichten Mantel und Schal nervös auf der Kante seines Stuhles saß, während Carry Fisher mit der ganzen Energie von Augen und Gestik, die ihr Natur und Kunst in Gemeinschaftsarbeit verliehen hatten, ihm die Pflicht aufnötigte, bei der großen Aufgabe einer Verwaltungsreform mitzuwirken.

      Mrs. Fishers neuestes Hobby war die Verwaltungsreform. Dem war eine ebenso große Begeisterung für den Sozialismus vorangegangen, und dieser ein energisches Eintreten für Christliche Wissenschaft.7 Mrs. Fisher war klein, feurig und theatralisch, und ihre Hände und Augen wurden zu bewunderungswürdigen Instrumenten im Dienste einer jeden Sache, der sie sich gerade annahm. Sie machte jedoch den Fehler, den viele Enthusiasten machen, und nahm ein gewisses Zögern im Antworten auf Seiten ihrer Zuhörer gar nicht wahr, und es amüsierte Lily, wie wenig Mrs. Fisher bewusst war, dass jeder Muskel in Mr. Gryces Haltung Widerstand ausdrückte. Lily wusste, dass er hin- und hergerissen war zwischen der Furcht sich zu erkälten, wenn er zu lange um diese Zeit draußen bliebe, und der Sorge, dass Mrs. Fisher, wenn er sich ins Haus zurückzöge, ihm mit einer Unterschriftenliste folgen könnte. Mr. Gryce hatte eine grundsätzliche Abneigung gegen alles, was er mit »sich engagieren« bezeichnete, und wenn er auch liebevoll um seine Gesundheit besorgt war, beschloss er doch offenbar, dass es sicherer sei, außer Reichweite von Federhalter und Tinte zu bleiben, bis der Zufall ihn aus Mrs. Fishers Schlingen befreien würde. In der Zwischenzeit warf er verzweifelte Blicke in Miss Barts Richtung, deren einzige Antwort es war, ihrer geistesabwesenden Haltung noch mehr Grazie zu verleihen. Sie hatte den Wert von Gegensätzen schätzen gelernt, die ihre Reize richtig zur Geltung brachten, und war sich völlig bewusst, in welchem Ausmaß Mrs. Fishers Redseligkeit ihre eigene Ruhe noch steigerte.

      Sie wurde in ihren Gedanken durch das Nahen ihres Cousins Jack Stepney gestört, der an der Seite Gwen Van Osburghs durch den Garten vom Tennisplatz zurückkam.

      Besagtes Paar war in dieselbe Art von Romanze verwickelt, in der Lily eine Rolle spielte, und sie empfand eine gewisse Verärgerung, wenn sie daran dachte, weil ihr das wie eine Karikatur ihrer eigenen Situation erschien. Miss Van Osburgh war ein großes Mädchen ohne Rundungen und ganz ohne Glanzlichter; Jack Stepney hatte einmal von ihr gesagt, sie sei so verlässlich wie gebratener Hammel. Sein eigener Geschmack ging mehr in Richtung auf weniger solide und eher scharf gewürzte Speisen, aber Hunger macht jede Nahrung schmackhaft, und es hatte schon Zeiten gegeben, in denen Mr. Stepney so weit gesunken war, sich mit einem Brotkanten zu begnügen.

      Lily betrachtete mit Interesse den Ausdruck auf ihren Gesichtern; das des Mädchens war dem ihres Begleiters zugewandt wie ein leerer Teller, den man hochhält, um ihn füllen zu lassen, während der Mann, der neben ihr herschlenderte, bereits die langsam vordringende Langeweile verriet, die bald den dünnen Firnis seines Lächelns durchbrechen würde.

      »Wie ungeduldig Männer doch sind!«, überlegte Lily. »Alles, was Jack


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