Mein Leben mit den Eagles. Wendy Holden

Mein Leben mit den Eagles - Wendy Holden


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Meinung nach steuerte ich auf eine Katastrophe zu. Er hielt mich für einen hoffnungslosen Fall und ließ mich das wissen.

      Wir fingen einen Riesenstreit an, in dessen Verlauf ich vieles sagte, von dem ich wusste, dass ich es später bereuen würde. „Du bist ja schlimmer als Papa“, warf ich ihm vor. „Du hast dich so lange angepasst, dass du vom wirk­lichen Leben gar keine Ahnung hast. Was willst du als Nächstes tun, Jerry? Deinen Gürtel herausziehen und mich schlagen?“

      Schließlich verließ er angewidert das Haus, doch nicht bevor wir beide gesagt hatten, was uns schon lange auf der Zunge lag. Als ich ihn gehen sah, bezweifelte ich, dass wir je wieder miteinander sprechen würden. Es schien, als ob sich alle, die mich liebten, früher oder später von mir abwendeten.

      Die Musik rettete mich vor der Traurigkeit, die sich auf mein Leben gelegt hatte. Sowohl die Arbeit mit Flow als auch Barry, der Ehemann des Paars, mit dem Jan und ich uns das Haus teilten, weckten bei mir zum ersten Mal ein Interesse für Jazz. Barry stammte aus New York und war süchtig nach Jazz, der bei ihm scheinbar pausenlos lief. Durch seinen Einfluss begann ich, diese Musik genauer anzuhören. Ich vertiefte mich in das Jazzgitarrenspiel, lernte bestimmte Soli und fand Geschmack an Leuten wie Sonny Rollins und Django Reinhardt. Bald begann ich, die Gitarre in einem ganz anderen Licht zu sehen. Country, Rock ’n’ Roll und Bluegrass klangen im Vergleich mit etwas so Kom­plexem und Intellektuellem ziemlich archaisch. Nachdem ich bei Paul so viel Theorie gelernt hatte, schien Jazz auf einmal genau das Richtige.

      Eines Freitagmorgens hörte ich gerade eine Platte von Mel Bay, während Barry laut aus der Village Voice vorlas, die er sich mit der Post aus New York schicken ließ, da es so gut wie unmöglich war, diese Zeitschrift in Gainesville zu bekommen.

      „O mein Gott“, sagte Barry und setzte sich plötzlich auf. „Miles Davis spielt morgen Abend im Village Gate.“

      Ich hatte zwar von Miles Davis gehört, doch hatte ich noch nie jemanden live Jazz spielen hören – außer vielleicht in der Bar des Holiday Inn, und auch da war es nur Filmmusik gewesen.

      „Miles Davis?“, fragte ich unschuldig.

      „Nur einer der besten Jazzmusiker der Welt!“, rief Barry ungläubig und starrte mich einen Augenblick lang schweigend an. Dann fügte er autoritär hinzu:

      „Pack deine Sachen. Wir fahren hin.“

      Es hatte keinen Zweck, mit ihm zu streiten, also schnappten wir uns jeder ein paar saubere T-Shirts und eine Zahnbürste, tankten seinen VW voll und brachen auf. Wir fuhren nonstop und schliefen abwechselnd. Die Fahrt ­dauerte über sechzehn Stunden. Als wir in Manhattan ankamen, mieteten wir ein Zimmer in einem heruntergekommenen, billigen Hotel, nahmen eine Dusche, zogen frische T-Shirts an und bestiegen ein Taxi ins Greenwich Village. Wir betraten das Village Gate und nahmen ziemlich weit vorn Platz. Ungefähr zwanzig Minuten später stand die Band, über die wir am Morgen zuvor in Gainesville gelesen hatten, vor uns auf der Bühne.

      Diese Musiker machten mich fertig. Die Finesse, die Improvisation und die Freiheit in ihrer Kunst – etwa in Stücken wie „Bitches Brew“ – waren unglaublich. Es war eine der spektakulärsten Besetzungen, die Miles Davis jemals hatte: Er selbst spielte Trompete, der erst siebzehnjährige Tony Wil­liams Schlagzeug, Herbie Hancock Klavier, Wayne Shorter Tenorsaxofon und Ron Carter Bass.

      In der Mitte der zweiten Konzerthälfte machte Miles Davis eine Pause und setzte sich an einen Tisch bei den Toiletten, um ein Bier zu trinken. Es gab keine Garderobe und auch sonst keine Rückzugsmöglichkeit für ihn. Ich war entschlossen, zu ihm hinzugehen und ihm zu sagen, wie sehr mir seine Musik gefiel, und setzte mich in Bewegung. Als ich nur noch ein paar Schritte von ihm entfernt war, sah er mich mit einem durchbohrenden Blick an, als wolle er sagen: „Komm ruhig näher, Junge, dann fresse ich dich bei lebendigem Leib.“ Also ging ich einfach an ihm vorbei und auf die Herrentoilette.

      Dort drinnen starrte ich mich in dem zerbrochenen Spiegel an und nahm meinen ganzen Mut zusammen. „Ich muss es ihm sagen, ich muss es ihm sagen“, wiederholte ich es wie ein Mantra . Als ich wieder herauskam, wild entschlossen, ihm die Hand zu schütteln wie damals B. B. King, war er natür­lich längst weg.

      Jenes Konzert war vermutlich eines der prägendsten Erlebnisse meines ganzen Lebens. B. B. King hatte mich mit seinem Rhythm and Blues vom Stuhl gerissen, aber das Konzert im Village Gate war zweifellos mein stärkster Jazzeinfluss, ein Ereignis, das mir zeigte, wozu richtige Musiker in der Lage waren. Die Fingerfertigkeit, das Repertoire und die Dynamik bildeten ein ganz eigenes, noch viel komplexeres Genre für sich. Das war abermals ein ganz anderes Niveau, eine neue Herausforderung für mich. Ich war zu dieser Zeit bereits ein großer Jazzfan und spielte ihn auch mit Flow. In jener Nacht im Hotel tat ich kaum ein Auge zu und ließ den Auftritt wieder und wieder vor meinem geistigen Auge Revue passieren. Am nächsten Morgen fuhren Barry und ich in andächtigem Schweigen nach Hause.

      Kurz darauf lag ich an einem sonnigen Sommernachmittag gerade mit Jan im Bett und schaute zu, wie sich die Vorhänge sanft im Wind blähten, als im Radio ein Song kam. Ich setzte mich auf, hörte genauer hin und erkannte die Stimme sofort. Der Moderator sagte, dass die Nummer „For What It’s Worth“ heiße und von Buffalo Springfield sei, aber ich wusste Bescheid. Die Stimme, die ich gerade gehört hatte, gehörte Stephen Stills, dem Ausreißer mit dem Militärhaarschnitt, der bei den Continentals gespielt hatte.

      „Wow!“, dachte ich und lehnte mich mit einem Lächeln in die Kissen zurück. „Er hat’s geschafft! Das ist wirklich toll. Vielleicht gelingt mir eines Tages auch so etwas.“

      Der Song wurde zur Hymne einer ganzen Generation junger Leute, die landesweit gegen das Establishment rebellierten. Jedes Mal, wenn ich ihn hörte, dachte ich an Stephen und lächelte. Anders als er und Bernie war ich jedoch noch nicht bereit, meine musikalische Karriere auf Kosten von allem anderen zu verfolgen.

      Im Herbst 1968 waren Flow bereit für das Probekonzert in New York. John Calagna und Andy Leo, die beiden Tourmanager, waren nach Florida gekom­men, um uns zu hören, und was sie hörten, gefiel ihnen. Sie dachten, sie hätten durch ihre Freundschaft mit Mike und John die Band „entdeckt“ und könnten uns nun über ihre Beziehungen zu den Young Rascals ins Geschäft bringen. Sie hatten Recht. Es war sicherlich der beste Kontakt zu einem Prominenten, den wir seit The Cyrkle gehabt hatten.

      Der Auftritt sollte in einem kleinen Club in Manhattan stattfinden, dem Fillmore East. Die Gebrüder Allman hatten dort kurz vor uns gespielt. In Sachen Erfolg preschten sie uns voran. Duane hatte sich einen Namen als her­vorragender Studiomusiker gemacht, sie hatten in L. A. ein Album aufgenom­men und den Namen Allman Joys zugunsten von The Hourglass aufgegeben. Über Freunde in Daytona und Gainesville blieben sie jedoch mit uns in Ver­bindung, und wir wünschten einander alles Gute.

      Mit geliehenem Equipment von den Young Rascals fuhren wir in einem Lieferwagen von Florida nach New York und bauten unsere Sachen auf der Bühne auf. Die Tourmanager hatten ein paar Leute aus der Plattenindustrie zu dem Konzert eingeladen. Unter ihnen war auch Creed Taylor, eine Legende im Musikgeschäft, der schon mit Stan Getz gearbeitet und gerade das phä­nomenale Quincy-Jones-Album Walking In Space produziert hatte. Er war unser Mann.

      Wir waren eine von drei Bands, die an jenem Abend vor etwa fünfhundert Zuschauern spielten, in einem neuen und relativ unbekannten Club. Ich wusste, dass Hendrix dort einmal aufgetreten war, und hatte in der Vergangenheit ein Konzert von Paul Butterfield und einem monströsen Bluesgitarristen namens Buzzy Feiten besucht. Es war also durchaus beeindruckend, nun tatsächlich selbst dort zu sein. Glücklicherweise spielten wir an jenem Abend richtig gut, und als der Gig vorüber war, kam Creed Taylor zu uns in die Garderobe.

      Creed war in mittleren Jahren, trug eine Wildlederjacke mit Flicken an den Ärmeln und strahlte Ruhe aus. „He, Jungs, das hat mir gut gefallen, was ich da heute Abend gehört habe“, sagte er zu uns. „Ihr wart klasse. Ich bin bereit, euch einen Plattenvertrag über fünftausend Dollar anzubieten. Was meint ihr dazu?“

      So viel Geld hatten wir noch nie verdient. Wir konnten unser Glück kaum fassen. Nach einem hastig einberufenen Treffen mit den Tourmanagern nah­men wir das Angebot sofort an und unterschrieben noch am nächsten Tag. Trotz aller Bedenken, die


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