Mein Leben mit den Eagles. Wendy Holden

Mein Leben mit den Eagles - Wendy Holden


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Wir waren meilenweit von allem entfernt, und es gab keine Mädchen oder Freunde außerhalb der Band. Der Winter nahte, und wir waren pleite. Niemand schien zu begreifen, dass wir in diesem riesigen, unbeheizten Haus zu erfrieren drohten, wenn wir nicht schleunigst etwas unternahmen.

      Der Winter kam und mit ihm der Schnee. So etwas hatte ich noch nie gesehen: In New York oder Boston waren vielleicht einmal ein paar Flocken gefallen, aber der Schneefall hier war so stark, dass er sich wie weiches, feines Puder vor unserer Vordertür anhäufte. Er roch nach Stahl. Zu Anfang war es ein Spaß, wir veranstalteten Schneeballschlachten und alberten herum. Als der Reiz des Neuen jedoch verflogen war, isolierte uns der Schnee in unserer ohne­hin angespannten Situation nur noch mehr. Ohne jede Fluchtmöglichkeit waren wir nun tagein, tagaus zusammen im Haus gefangen. Die Spannungen zwischen uns traten immer deutlicher zutage. Jene bitteren letzten Monate erinnerten mich an mein letztes Jahr im Haus meiner Eltern, und es tat mir auf einmal leid, dass wir im Streit auseinandergegangen waren. Eines Tages in jenem Winter setzte ich mich an einen Schreibtisch, den ich aus alten Holz­resten gezimmert hatte, die im Hof herumgelegen hatten. Ich nahm einen Stift und Papier und schrieb einen Brief an meine Mutter, in dem ich ihr mitteilte, wo ich war und dass alles in Ordnung sei. „Danke für all die Jahre, in denen Du mich unter schwierigen Lebensumständen großgezogen hast“, schrieb ich, „und für alles, was Du mich gelehrt hast. Erst jetzt beginne ich zu begreifen, was für eine gute Mutter Du mir warst.“ Ich dankte ihr sogar dafür, dass sie mich am Ohr in die Kirche gezerrt hatte. Ich versah den Umschlag mit meiner Adresse und warf ihn ein. Es war der erste Kontakt mit meinen Eltern seit zwei Jahren, und bald kam ein Antwortbrief mit der Post.

      „Lieber Don“, schrieb sie. „Wie wundervoll, von Dir zu hören. Ich habe mich zu Tode geängstigt …“ So begann eine Korrespondenz mit ihr, die viele Jahre andauerte. Mein Vater schrieb nie ein Wort.

      • • •

      Ich begann zu begreifen, dass meine Träume, ein Musikstar zu werden, möglicherweise nichts als Luftschlösser waren. Es war das sogenannte „Ich­jahrzehnt“ nach Vietnam, für mich indes liefen die Dinge nicht besonders gut. Unser einziges regelmäßiges Engagement war am Goddard College in Plain­field, Vermont, einer progressiven Einrichtung für freie Künste, die ein paar Hundert Kilometer nördlich lag. Wir erlebten dort Carlos Santana, wie er sein „Black Magic Woman“ spielte, was damals ein großer Hit war. Arlo Guthrie war Musikstudent am College, und sie hatten sogar eine Gamelangruppe, ein indonesisches Percussionorchester. Als wir eines Tages zu einem Auftritt am Goddard unterwegs waren, gab ich einem plötzlichen, dringenden Bedürfnis nach. Ich parkte den Lieferwagen neben einem Münzfernsprecher, kramte etwas Kleingeld hervor und wählte die Nummer von Susans Familie in Boston, die ich die ganze Zeit über im Kopf behalten hatte.

      „Hallo, Mistress Pickersgill, hier spricht Don, Don Felder aus Gainesville. Ist Susan da?“

      „Hallo, Don. Das ist ja eine ganze Weile her. Nein, mein Lieber, sie lebt nicht mehr hier. Sie hat eine eigene Wohnung gefunden. Möchtest du vielleicht ihre Nummer?“

      Susan war sehr überrascht, von mir zu hören. Achtzehn Monate waren vergangen, seit wir das letzte Mal etwas voneinander gehört hatten. Sie hatte gerade mit ihrem letzten Freund Schluss gemacht, einem Sänger und Gitarris­ten, und arbeitete im Harvard History Research Center als Sekretärin. Wir plauderten, bis mir das Geld ausging, und ich versprach, sie wieder anzurufen. Eine Woche später tat ich es, dann wiederum eine Woche später. Es war ein gutes Gefühl, mit jemandem zu reden, der nicht die ganze Zeit total zugekifft war. Sie hatte einen guten Job und ihre eigene Wohnung – etwas, das ich mir niemals hätte leisten können. Ich war beeindruckt.

      Ein paar Wochen darauf erzählte mir Susan, dass sie eine Weile im Haus ihrer Schwester in Scituate auf Cape Cod verbringen würde, um dort deren Kind zu hüten. „Willst du auch rauskommen?“, fragte sie mich. „Wir könnten uns wieder kennenlernen.“ Mein Leben war zu einem Trümmerhaufen gewor­den, also ergriff ich die Gelegenheit beim Schopf. Als das Wochenende an jenem wunderschönen Atlantikstrand zu Ende ging, war uns beiden klar geworden, wie sehr wir einander immer noch liebten. Es war, als wäre ich nach Hause gekommen.

      In den nächsten Monaten pendelten Susan und ich zwischen Boston und Dover Plains hin und her und versuchten, die verlorene Zeit wieder wettzu­machen. Anfangs war sie vom Gammlerleben, das ich führte, fasziniert – ich lebte in einem alten Herrenhaus, mit einer Band, die gerade eine Platte aufge­nommen hatte, auf Zucchinidiät.

      Nach einer Weile jedoch verflog dieser Zauber, und sie konnte die ganze unterschwellige Hässlichkeit sehen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Drogenmissbrauch. Als Jimi Hendrix und Janis Joplin in jenem Herbst unter Drogeneinfluss starben, fühlte ich mich wie damals, als JFK ermordet worden war: schockiert und ein bisschen verängstigt. Nicht einmal ein Jahr zuvor hatte ich beide noch in Woodstock auf der Bühne gesehen. Nun gab es sie nicht mehr, sie waren begraben, und mit ihnen waren auch ihre Zukunftsverspre­chen gestorben. Susan war der Ansicht, ich würde nun mit der Richtung, die ich in meinem Leben eingeschlagen hatte, zunehmend unzufriedener werden, wenn ich mich nicht von diesen Einflüssen befreite. Ich wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis ich mich von Flow trennte.

      „Komm nach Boston“, drängte Susan. „Du kannst bei mir einziehen und dir einen Job suchen. Es wird schon ein bisschen Studioarbeit geben oder eine Band, die einen Gitarristen sucht.“

      Ich wusste, dass sie recht hatte, aber ich brauchte noch ein paar Wochen, bis ich mir ein Herz fasste. Schließlich gab ich damit unseren Traum aus Woodstock auf, oder? Hatte ich Bernie nicht erklärt, dass dies vermutlich die beste Chance auf Erfolg war, die wir hatten? Warum war das alles nur schief­gegangen? Als mir der Dreck, die Apathie und die Lethargie schließlich zu viel wurden, rief ich Creed Taylor an.

      „Hallo, Creed, hier spricht Don Felder von Flow“, sagte ich. „Ich wollte dir nur sagen, dass ich mich dazu entschlossen habe, die Band zu verlassen. Es läuft nicht so, wie ich es mir wünsche, also muss ich einfach gehen.“

      Creed schien keinesfalls überrascht und sagte, er verstehe mich. „Wo willst du hin?“, fragte er.

      „Boston“, sagte ich. „Meine Freundin arbeitet in Harvard.“

      „Super“, entgegnete er. „Hör zu, ich kenne ein paar Leute in Boston. Genauer gesagt, ich bin im Vorstand des Berklee College of Music. Wenn du willst, rufe ich dort an und schaue, ob ich dich dort unterbringen kann.“

      Ich war angesichts dieser Großzügigkeit ebenso dankbar wie überrascht. „Okay, okay“, sagte ich. „Allerdings hatte ich nicht gedacht, gleich wieder die Schulbank zu drücken. Ich muss dringend etwas Geld verdienen.“

      Creed lachte. „Ich habe auch nicht gemeint als Student, Don. Ich meinte als Lehrer. Du hast eine ganze Menge zu bieten, weißt du.“

      Trotz seines offensichtlichen Vertrauens in mich war ich noch nicht ganz bereit dazu, mir meinen Bart abzurasieren, mein Haar kurz zu schneiden und ein Mitglied des Bildungsestablishments von Boston zu werden.

      „Auf jeden Fall mal vielen Dank“, sagte ich, innerlich grinsend. Unwill­kürlich musste ich mir vorstellen, wie ich in Kunstleder und Tweed gekleidet Jugendlichen das Gitarrespielen beibrachte. „Ich behalte dein Angebot im Hinterkopf, aber ich glaube, ich versuche erst mal, mir eine andere Band zu suchen.“

      Die anderen Bandmitglieder waren über meine Entscheidung alles andere als glücklich. Sie betrachteten sie als Ausverkauf. Mike schnappte nach Luft, als ich es ihm sagte: „Was soll das heißen, du steigst aus? Wir stehen kurz davor, ganz groß rauszukommen.“

      „Glaubst du das wirklich?“, fragte ich vernichtend. Ich ließ meinen Blick umherschweifen. Das Haus, das wir gemeinsam bewohnten, glich einer Müll­halde. Seit Monaten hatte niemand mehr ernsthaft geübt oder Songs geschrie­ben. „Oder stehen wir nur an der Schwelle dazu, fast bereit zu sein, uns ein paar erste Gedanken darüber zu machen, ob wir vielleicht ein paar Songs für ein mögliches zweites Album schreiben sollten? Wach auf, Mike, das hier wird nichts mehr.“

      Aus ihrem Unmut heraus kam die Band bald auf ihr einziges Transport­mittel zu sprechen. „Wenn du gehst, lässt du den verdammten


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