Mein Leben mit den Eagles. Wendy Holden

Mein Leben mit den Eagles - Wendy Holden


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„Tutti Frutti“, die den ganzen Tag auf den regulären Kanälen lief, gründlich satthatte, hörte ich nachts offenen Mundes zu, wie Little Richard seinen Kram herunterhämmerte.

      Ich kämmte mir das Haar mit Pomade zur Seite, nähte mir auf der Näh­maschine meiner Mutter meine Jeans um und machte mich ernsthaft daran, die Musikszene Nordfloridas zu erobern. Ich nahm eines von Papas Bändern und begann, bei anderen Leuten Schallplatten auszuleihen – Elvis, Buddy Holly, Bill Haley And His Comets, im Grunde alles seit den Anfängen des Rock ’n’ Roll. Ich benutzte Papas Voice-of-Music-Gerät und nahm die Platten auf einem Kanal auf. Dann spielte ich dazu Gitarre auf dem anderen und ver­suchte, die Rock-’n’-Roll-Größen zu imitieren. Als sich mein Vater eine bessere Stereoanlage kaufte, requirierte ich sein altes Gerät und trug es vorsichtig in mein Zimmer. Ich hatte nun jeden Gedanken an höhere Bildung aufgegeben und widmete meine Nächte ganz der Musik.

      Mit vierzehn hatte ich meinen zweiten öffentlichen Auftritt. Ich nahm an einem Talentwettbewerb teil und betrat die Bühne der Junior High School allein, nur mit meiner Gitarre und einem Verstärker. „Alles klar, Jungs und Mädels, einen dicken Applaus für unseren nächsten Teilnehmer – Donald Fel­der“, kündigte mich der Moderator unter den kreischenden Rückkopplungen seines Mikrofons an. Ich war viel nervöser als bei meinem letzten Gig, haupt­sächlich deshalb, weil ich diesmal jeden im Publikum kannte. Irgendwie schaffte ich es jedoch, „Walk – Don’t Run“ von den Ventures gut genug zu spielen, dass man es noch erkannte. Es waren etwa fünfhundert Zuschauer anwesend, und die Reaktion war verblüffend. Sie schienen mich zu mögen, und gegen Ende des Auftritts hatte ich den Status einer Neuentdeckung erworben. Ebenso wie ich hatten auch meine Altersgenossen die Phase erreicht, dass sie sich mit ihren Rock-’n’-Roll-Idolen identifizierten, und ich stellte fest, dass ich – als nächstes Äquivalent – plötzlich Fans in Gainesville hatte. Das Beste daran war, dass einige davon sogar Mädchen waren. Mit meinem hübschen Äußeren und meiner schlanken Gestalt wurde ich nun, da ich auch noch musikalisches Talent bewiesen hatte, offenbar als Sahneschnittchen betrachtet. Unnötig zu sagen, dass ich meine neue Coolness genoss.

      Drei Wochen nach diesem Auftritt schlug mir einer der Lehrer vor, ich solle doch die örtliche Radiostation WGGG kontaktieren, die regelmäßig die besten Amateure von Gainesville übertrug. Er begleitete mich dorthin, weil er einen der DJs kannte, und arrangierte eine Livesendung für mich. Ich stand in einem winzig kleinen Tonstudio vor einem Mikrofon und drosch zwei Instru­mentalnummern herunter: „Apache“ von Jerry Lordan, das die Shadows popu­lär gemacht hatten, und mein altes Kabinettstückchen „Walk – Don’t Run“. Einige meiner Freunde hörten die Sendung. „Gut gemacht, Don“, sagten sie zu mir. „Das war ’ne echt saubere Sache.“ Durch sie fühlte ich mich wie jemand, fast sogar wie Elvis. Bereits damals verblüffte es mich, wie ich mich in der Wahrnehmung der Leute veränderte, wenn ich nur vor ein Mikrofon trat. Der DJ, ein Typ aus Gainesville namens Jim, der im Hauptberuf als Fahrer des örtlichen Bestattungsunternehmens Williams-Thomas arbeitete, bot an, mir bei ein paar Bandaufnahmen zu helfen. Wir wurden gute Freunde und trafen uns abends immer im Schauraum des Bestattungsinstituts, wo wir neben den Sockeln mit den offenen Särgen Frisbee spielten.

      Ich stellte eine kleine Schulband mit Kenny Gibbs und dessen Bruder zusammen, und wir probten regelmäßig in ihrer Garage. Seine Mutter wollte, dass wir uns Moonbeams nannten, aber wir fanden den Namen scheiße. Ich kann mich nicht entsinnen, wofür wir uns als Nächstes entschieden, aber irgendwann wurden aus uns die Continentals. Es war sozusagen meine Band. Ich stellte sie zusammen und ließ Karten mit meiner Telefonnummer darauf für die Buchungen entwerfen. Wie es für Teenagerbands in einer Collegestadt typisch ist, wechselten die Mitglieder ständig, je nachdem, wer Gainesville gerade wegen des Studiums verließ oder neu hinzuzog. Kenny spielte eine Zeit lang Bass – nicht weil er besonders begabt gewesen wäre; er sah einfach gut aus und wirkte anziehend auf die Mädchen. Außerdem hatte er das Geld für Equipment, was lebensnotwendig war. Es gab noch zwei weitere Bassisten, die viel besser waren: Barry Scurran, ein Collegestudent aus Miami, und ein Typ namens Stan Stannell.

      Wenn ich zu einer Probe rüber zu Stans Haus ging, saß er immer schon stundenlang in seiner Unterwäsche auf dem Bett, den Fuß auf ein kleines Hockerchen gestützt, und spielte klassische Gitarrenmusik vom Blatt. Er spielte phänomenal, aber wenn man ihm eine elektrische Gitarre in die Hand gab, klang es fürchterlich. Das Einzige, was für ihn infrage kam, war der Bass, auf­grund der Ähnlichkeit zu den klassischen Gitarrentechniken. Er spielte unge­fähr ein Jahr lang mit uns und zog dann weiter. Schließlich landete er als Leiter der Gitarrenabteilung am Musikkonservatorium von Boston. In meiner Band spielte vermutlich einer der besten klassischen Gitarristen des ganzen Landes Bass, und ich wusste es nicht einmal.

      Unter den weiteren Musikern in den verschiedenen Inkarnationen der Band befanden sich unter anderem ein Schlagzeuger namens Jeff Williams, ein Erstsemester an der Universität, der uns ein paar klasse Auftritte bei Verbin­dungspartys verschaffte (wir machten falsche Altersangaben); Lee Chipley, ein Saxofonist; und ein Gitarrist und Sänger namens Joe Maestro. Ein Band­mitglied, das buchstäblich kam und ging, war ein junger Mann, der in Gaines­ville aus heiterem Himmel auftauchte. Er lernte Jeff bei einem Konzert kennen und fragte ihn, ob er ihm einen Platz zum Schlafen empfehlen könne.

      „Ich bin dem Typen bei einer Verbindungsparty über den Weg gelaufen“, erzählte uns Jeff eines Tages. „Er kann richtig gut singen und Rhythmusgitarre spielen. Ich finde, wir sollten ihn in unsere Band aufnehmen.“

      „Klasse, wie heißt er denn?“, fragte ich.

      „Stephen“, entgegnete Jeff. „Stephen Stills.“

      Jeff hatte recht. Stephen hatte eine der außergewöhnlichsten Stimmen, die ich je gehört hatte. Er war fünfzehn, hatte kurzes blondes Haar, war unglaublich lustig, umgänglich und selbstbewusst – einer von diesen Typen, die sich einfach so mit ihrer Gitarre hinsetzen und dazu singen. Er hatte etwas Rebellisches, Freiheitsliebendes an sich, doch war er keinesfalls ein Traum­tänzer. Ich glaube nicht, dass er etwas besonders Schlimmes angestellt hatte, weil man ihn nun suchte und auf die Militärakademie stecken wollte. Er hatte sich einfach nur öfter erwischen lassen als der Rest von uns. Er wohnte eine Zeit lang bei Jeff und trat schließlich als neuestes Mitglied der Continentals mit uns gemeinsam auf.

      Eines Abends hatten wir einen Auftritt bei einem Ball in Palatka und verbrachten die Nacht in einem Hotelzimmer mit zwei Doppelbetten. Ich glaube, jemand nahm uns hinten auf seinem Pick-up zum Auftritt mit. Obwohl wir minderjährig waren, gelang es uns irgendwie, eine Flasche Jack Daniel’s in die Finger zu bekommen. Am Ende sprangen Stephen, Kenny und ich auf diesen Doppelbetten herum und schrien aus vollem Hals, wie Kinder, die allein zu Hause gelassen worden sind. Wir lachten und hüpften herum, bis die Bettfedern brachen, und hatten einen Riesenspaß. Das ist wohl eine meiner schönsten Erinnerungen an diese Zeit.

      Ehe ich mich’s versah, war Stephen wieder weg. Er verschwand einfach, ohne eine Erklärung oder einen Abschiedsgruß. Ich hatte stets angenommen, dass ihm der Boden unter den Füßen zu heiß geworden war, doch später hörte ich, dass er nach Tampa und anschließend nach Lateinamerika gegangen sei, als seine Familie dorthin zog. Was auch immer seine Gründe gewesen sein mögen, er löste sich schlicht in Luft auf. Ich dachte nicht, dass ich ihn je wieder­sehen oder von ihm hören würde.

      Im Sommer 1961 fuhr mich Papa nach Daytona Beach zu einem Auftritt von „Mister Guitar“ Chet Atkins, einer Nashville-Legende, die später für Gibson und Gretsch Gitarren entwarf. Papa und ich gingen allein hin, was eine sel­tene Ausnahme darstellte. Es war ein erstaunliches Konzert. Ich sah Chet mit offenem Mund zu, wie er ganz allein mit seiner Gitarre ein Publikum von zwei- oder dreitausend Fans in seinen Bann schlug. Nicht nur dass er eine unglaubliche synkopierte Anschlagstechnik mit Daumen und Fingern hatte, er hatte auch eine Methode entwickelt, wie er mit der linken und der rechten Hand gleichzeitig verschiedene Melodien spielen konnte. Auf den tieferen Saiten spielte er „Yankee Doodle“ und auf den höheren „Dixie“. Es war, als hätten sich der Norden und der Süden endlich wieder ausgesöhnt. Ich war völlig von den Socken und begann, mir seine Platten von Freunden auszulei­hen, die ich in einem fast religiösen Akt kopierte. Ich lernte nach Gehör, hörte die einzelnen Töne heraus, probierte, welcher Fingersatz passte. Noten konnte ich mir nicht leisten.


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