Mein Leben mit den Eagles. Wendy Holden

Mein Leben mit den Eagles - Wendy Holden


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1963 ist in die amerikanische Psyche unauslöschlich eingegraben. Für mich war es jedoch noch aus einem anderen Grund bedeutsam. Es war das Jahr, in dem ich den Mann traf, der für mein gesamtes Leben zur Schlüsselfigur wurde. Sein Name war Bernie Leadon.

      VIER

      Bernie war irgendwie anders. Er stammte von der Westküste – aus San Diego in Kalifornien, um genau zu sein – und hatte diese coole, verschmockte Art an sich. Mit seinem unglaublich lockigen, sandblonden Haar und seinen mit Flicken übersäten Schlaghosen sah er aus, als wäre er eben erst von einem Surfbrett gestiegen. Als ich ihm zum ersten Mal begegnete, war ich gerade mit dem Greyhoundbus aus Palatka zurückgekehrt. Ich trug mein Hemd zuge­knöpft und hatte das Haar sauber gescheitelt, weil ich von einem Auftritt in einem Frauenklub irgendwo in der Sumpfebene Ostfloridas kam. Ich war noch keine sechzehn Jahre alt.

      „Bist du Don?“, fragte er und schlenderte auf mich zu. „Don Felder?“

      „Ja“, entgegnete ich ein wenig unsicher und hielt meinen Gitarrenkof-fer fest.

      „Ich bin Bernie Leadon“, sagte er mit einem Lächeln, das sein ganzes Gesicht erhellte. „Deine Mutter sagte, ich könne dich hier treffen. Soll ich dich ein Stück mitnehmen?“

      Er deutete auf einen brandneuen hellblauen Ford Falcon, Baujahr 1963.

      Mit offenem Mund nickte ich.

      „Ich bin neu in der Stadt“, sagte er, als wir abfuhren. Als ich mich umsah, bemerkte ich eine Akustikgitarre von Martin auf dem Rücksitz. „Ich bin in das Musikgeschäft gegangen und habe nach dem Namen des besten Gitarristen in Gainesville gefragt. Ein Typ namens Buster hat dich genannt. Ich ging zu dir nach Hause, aber deine Mama sagte, du wärst gerade auf dem Rückweg von einem Gig. Und jetzt habe ich dich gefunden.“ Wieder dieses Grinsen.

      „Ah, okay“, sagte ich.

      „Ich würde gern eine neue Band zusammenstellen und dachte, vielleicht könnten wir beide ein bisschen miteinander jammen“, fuhr er fort, während ich schweigend neben ihm saß. „Was spielst du denn?“

      „Fender Stratocaster“, entgegnete ich stolz.

      „Sonst noch was?“, fragte er.

      Ich war verdutzt. „Nein … eigentlich nicht. Ein bisschen Schlagzeug. Wie steht’s mit dir?“

      „Akustische, Banjo, Mandoline, Bluegrass-Gitarre mit flacher Decke, lau­ter solche Sachen eben.“

      Als wir im Haus meiner Eltern angekommen waren, vergaß ich alle Gedanken daran, dass mir vielleicht etwas peinlich sein könnte, und führte Bernie hinauf in mein Zimmer. Ich sah ihm zu, wie er seine Gitarre aus dem Koffer nahm. Ich besaß nicht einmal eine akustische Gitarre. Ich dachte, ich wäre über dieses Stadium irgendwie hinausgewachsen. Was man nicht ein­stecken und laut aufdrehen konnte, interessierte mich nicht. Außerdem spielte B. B. King ja bekanntlich auch nicht auf einer Akustischen. An jenem Nachmittag jedoch war ich von Bernies unglaublichem Flat-Picking-Stil schwer beeindruckt. Ich war verblüfft, dass jemand in seinem Alter bereits derart virtuos spielte.

      Fast schüchtern zog ich meine Fender hervor und spielte für ihn, so gut ich konnte. Ich glaube, ich kleisterte ein Medley aus Chet Atkins, Elvis und ein paar Ventures-Hits zusammen.

      „Wow, Mensch, das ist klasse“, sagte er und grinste bis über beide Ohren, weil es ihm tatsächlich gefallen hatte. „Buster hatte recht. Du bist gut, wirk­lich gut.“

      Die Woche darauf gingen wir zusammen zu Lipham Music und bestellten zwei neue Gitarren – eine elektrische Gretsch für ihn und eine akustische für mich. Wir hatten vor, uns gegenseitig alles beizubringen, was wir konnten. In den nächsten Monaten lernte ich durch ihn die feineren Nuancen der Country-und-Western-Musik kennen, ich wiederum brachte ihm den Rock ’n’ Roll bei. Es dauerte nicht lange, da schrieben wir gemeinsam Songs, und ich wusste, dass sich mir nun ganz neue Möglichkeiten eröffnet hatten. Dass ich Bernie begegnete, war einer der großen Glücksfälle in meinem Leben.

      Bernies Vater war ein Atomphysiker, der aus San Diego nach Florida ver­setzt worden war. Er sollte an der Universität von Florida eines der größten Nuklearforschungszentren aufbauen. Bernie war das älteste von zehn Kin­dern. Einer seiner jüngeren Brüder, Tom, spielte ebenfalls Gitarre und landete schließlich in Tommy Pettys neuer Band Mudcrutch, die bei den Verbindungs­partys fast so beliebt war wie wir. Jedes Mal, wenn ich Bernie besuchte, schien er ein neues Brüderchen bekommen zu haben oder eines unterwegs zu sein. Doch das schien keine Rolle zu spielen, war ihr Haus doch viermal so groß wie unseres, mit Klimaanlage und allen modernen Annehmlichkeiten.

      Bernie hatte in San Diego bereits in verschiedenen Bluegrass-Bands gespielt, darunter bei den Scottsville Squirrel Barkers des Sängers, Songwriters und Mandolinenspielers Chris Hillman, der später bei der Gründung der Byrds und der Flying Burrito Brothers mit dabei war. Die Squirrel Barkers hatten sogar ein Album veröffentlicht. Neben den Fähigkeiten, von denen ich bereits wusste, konnte Bernie auch noch ganz hervorragend auf dem fünfsai­tigen Banjo spielen. Sogar Earl Scruggs hätte sich warm anziehen müssen. Er hatte von Kindesbeinen an gespielt und war seit dem Alter von dreizehn Jahren richtig gut. Er kannte alle guten Songs aus den Smoky Mountains, und ehe ich mich’s versah, gründeten wir zusammen eine Bluegrass-Band, in der ich akus­tische Gitarre und er Banjo spielten. Ein Freund, der bei der Fischerei- und Jagdkommission von Florida arbeitete, spielte Mandoline.

      Beseelt, wie wir waren, gründeten wir eine zweite Gruppe namens Maundy Quintet, die musikalisch mehr in meine Richtung ging. Wir fanden einen Sän­ger namens Tom Laughon, Sohn eines örtlichen Pastors, und einen Schlagzeu­ger namens Wayne „Boomer“ Hough. Auf den Namen Maundy Quintet kamen wir, weil er so englisch klang. Damals war alles, was irgendwie britisch wirkte, chic – besonders die Beatles. Boomers Mutter kaufte ihm einen alten Liefer­wagen, damit wir zu den Auftritten fahren konnten. Auf der Seitenfläche stand geschrieben: „Wir spielen bei Nähkränzchen, auf Beerdigungen und wilden Partys.“ Es war dasselbe Motto wie auf unseren Visitenkarten. Wir hielten uns für ungeheuer cool.

      Als das Maundy Quintet bekannter wurde, wurden wir öfter und regel­mäßiger gebucht. Ich konnte für einen Auftritt freitags oder samstags bei einer Verbindungsparty oder einem Schulball eine Gage von zweihundert Dollar aushandeln, was wahrscheinlich mehr war, als mein Vater in der Woche verdiente. Es hätte ihn sehr verletzt, wenn er es erfahren hätte, oder er hätte das Ganze als Eintagsfliege abgetan. Jedenfalls war ich ganz gut im Geschäft – was sollte ich auch sonst tun? Mir einen Job bei Koppers besorgen? Das kam gar nicht infrage.

      Bei den Verbindungspartys ging es wild zu. Es war genauso wie in dem Film Ich glaub, mich tritt ein Pferd: Alle waren betrunken und rasteten völlig aus. In beängstigenden Mengen wurden hochprozentige, beinahe lebensgefährliche Cocktails gekippt und immer gewagtere Mischungen ersonnen. Mein Bruder hatte kurzzeitig einer Verbindung angehört, war aber wieder ausgetreten, weil es ihm einfach zu verrückt war. Diese Jungs wussten, wie man eine Party schmiss, und wir waren mehr als glücklich, die Hintergrundmusik zu ihrem Wahnsinn beizusteuern. Ich persönlich machte mir nie allzu viel aus Alkohol. Wenn ich trank, war Dosenbier das Gift meiner Wahl. Einmal war ich auf einer Party, bei der alle Gin tranken, und ich probierte es, aber es schmeckte wie Aftershave. Ich entschuldigte mich und ging hinaus, wo ich gewaltig kotzte.

      Mein erster Versuch, Gras zu rauchen, verlief ähnlich. Ich wusste gar nichts über Marihuana, aber jemand nahm mich mit zu einem Typen, der sein eigenes Gras anbaute. Damals konnte man für fünf Dollar eine Viertelunze (etwa sie­ben Gramm) kaufen – daher der Ausdruck „Nickel Bag“ (Fünfertüte).

      „Was ist denn das?“, fragte ich, als ich den Haufen Grünzeug auf seinem Küchentisch erblickte.

      „Versuch was davon“, sagte mein Freund grinsend und reichte mir meinen ersten Joint. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie so lange und so laut gelacht. Als das Lachen endlich verebbte und mir die Rippen wehtaten, bekam ich plötzlich schrecklichen Hunger. Der Dealer holte ein Glas Erdnussbutter, und wir nahmen jeder einen Löffel davon, aber als es uns am Gaumen kleben blieb, mussten wir nur noch lauter lachen und spuckten Teile der Erdnussbut­ter durch die ganze


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