Mein Leben mit den Eagles. Wendy Holden

Mein Leben mit den Eagles - Wendy Holden


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und Neues besessen. Auf meine Gitarre achtete ich mit unglaublicher Sorgfalt. Alles andere hatte ich von Jerry aufge­tragen: seine Kleider, seine Schuhe, sogar sein altes Fahrrad. Dies war der erste Gegenstand, der mir ganz allein gehörte. Musik war auch das Einzige, worin ich besser war als Jerry. Er beherrschte gerade mal ein paar Akkorde auf dem Klavier. Es war darüber hinaus die einzige Aktivität, zu der mich mein Vater direkt ermunterte. Dieser doppelte Anreiz – meinem Vater zu gefallen und in etwas besser als mein Bruder zu sein – genügte mir vollauf, um mich richtig in die Sache reinzuknien.

      Papa schien es wirklich zu freuen, dass ich mich für etwas begeisterte und nicht nur Tagträumen nachhing. Als alter Bastler nahm er die Rückverklei­dung des Fernsehers ab und entdeckte, dass es dort eine kleine Buchse gab, wo ich meine Gitarre einstöpseln und so über die Lautsprecher des Geräts spielen konnte. Jeden Samstagmorgen, wenn mein Bruder Baseball spielen und meine Eltern bei der Arbeit waren, stöpselte ich mich ein, sah mir Zeichentrickserien wie Mighty Mouse und Winky Dink and You an und erfand währenddessen die Musik dazu. Vor den Leuten in der Fabrik prahlte Papa mit mir. „Mein Jüngs­ter hat ein gutes Gehör“, sagte er stolz. „Ich glaube, er ist ein Naturtalent.“

      Eines Tages hörte er zufällig, wie sich einer seiner Kumpels darüber beklagte, dass er seiner Tochter eine elektrische Gitarre gekauft habe, auf der sie nie spiele. „Das verdammte Ding steht nur in ihrem Schrank und verstaubt“, stöhnte er.

      „Ah ja?“, kommentierte Papa, der wusste, dass mir die Silvertone längst nicht mehr genügte. An jenem Abend kam er etwas später nach Hause und erzählte mir von der elektrischen Gitarre. „Wenn wir rübergehen, um sie uns anzusehen, dann tu so, als wäre dir das Ganze egal“, schärfte er mir ein.

      Es handelte sich um eine cremefarben-goldene Fender Mustang in einem kleinen Tweedkoffer. In dem Augenblick, in dem ich die Gitarre zu Gesicht bekam, flog unser Trick auf. Papa konnte aus meinem Gesichtsausdruck ­ablesen, dass er bereits jetzt kein gutes Geschäft mehr machen würde. Es war vermutlich die billigste Fender, die es für Geld zu kaufen gab, und mit ihrem goldenen Schlagbrett sah sie aus wie eine Mädchengitarre, aber ich hatte mich verliebt. Ich wollte sie unbedingt haben, besonders, als ich sah, dass noch ein kleiner Verstärker dazugehörte, der kaum größer als ein Kofferradio war. Stolz nahm ich sie mit nach Hause und spielte so lange, bis meine Finger bluteten. Papa half mir, den Verstärker so aufzurüsten, bis er einem Fender Deluxe ent­sprach, und das war schon etwas. Nun musste ich nur noch meine musikali­schen Fertigkeiten verbessern.

      Ich übte und übte, und sobald ich dachte, ich wäre gut genug, machte ich mich auf zum State-Theater-Kino. Samstagmorgens liefen dort für fünfund­zwanzig Cent Filme wie Das Ding aus dem Sumpf oder King Kong, und die meisten Jugendlichen aus Gainesville gingen hin. Meistens veranstaltete das Kino direkt im Anschluss an die Vorstellung einen Talentwettbewerb. Viele Jugendliche kamen früh, zahlten ihren Vierteldollar und bekamen mehr fürs Geld – einen Film und ein paar begabte Amateure.

      Als ich die Bühne betrat, um meinen ersten öffentlichen Auftritt zu absol­vieren, war ich gerade elf Jahre alt, hatte mein weißblondes Haar gescheitelt und trug meine beste Sonntagshose und mein bestes Hemd. Ein Schauder überkam mich. Ich war so nervös, dass meine noch unbehaarte Oberlippe schweißnass wurde. Mein Hemd klebte mir am Rücken, und mein Gesicht wurde knallrot. Mit äußerster Konzentration legte ich meine Finger auf die korrekten Positionen und spielte die ersten Takte von „Red River Valley“, einem sentimentalen amerikanischen Countrysong, den ich Porter Wagoner schon ein Dutzend Mal in der Grand Ole Opry hatte spielen hören. Es war nicht gerade Elvis, doch ich hatte noch nicht den Mut, die Bewegungen, die ich stundenlang in meinem Zimmer geübt hatte, öffentlich aufzuführen.

      Im Publikum waren nur wenige Leute, die ich kannte. Der Rest waren vollkommen Fremde, und das machte es in gewisser Weise leichter. Sie lüm­melten auf ihren Plätzen, redeten und lachten, tranken Softdrinks und bewar­fen sich gegenseitig mit Popcorn, während ich spielte.

      Ich sang nicht oder so. Ich konnte gar nicht. Ich hatte damals wenig bis kein Vertrauen in meine Stimme und hätte ohnehin nicht genügend Spucke produ­ziert, um meine Stimmbänder zu befeuchten. Noch konnte ich verhindern, dass sich mein Mund seltsam bewegte, während ich die schwierigsten Teile des Stücks auf dem Griffbrett spielte. Ich hoffte nur, dass diejenigen, die vorn an der Bühne saßen, dachten, ich würde den Text vor mich hin murmeln.

      Ich stand einfach nur stocksteif da und spielte Gitarre. Die Resonanz darauf war zunächst wenig begeistert, doch nach einer Weile kehrte eine gewisse Stille ein, und ich bemerkte, dass einige der Kids tatsächlich zuhörten. Ich gestattete mir ein kleines Lächeln, ging das Ganze nun entspannter an und spielte mit mehr Selbstvertrauen. Ich wich sogar ein wenig von dem Song ab und baute einen kleinen Improvisationsteil ein. Als ich den letzten Chorus erreichte, gab es nicht gerade stehende Ovationen, aber ich wurde nicht ausgebuht oder mit Pappbechern beworfen. Ich wusste, dass dies ein gutes Zeichen war.

      Als ich den letzten Akkord verklingen hörte, richtete sich mein Blick auf ein paar hübsche junge Mädchen in der zweiten Reihe, die mich aus irgend­einem Grund mit einem Ausdruck der Bewunderung in den Augen anstrahl­ten. Ich wusste, dass ich meinen Weg gefunden hatte. Als ich wie benom-men von der Bühne stolperte, als wäre ich gerade aus einem langen Traum erwacht, hatte ich keine Wahl mehr. Von jenem Tag an sollte mein Leben nie mehr dasselbe sein.

      Die Pubertät war für mich, wie für viele Teenager, eine Zeit unangenehmer Verwirrung. Haare sprossen, die Knochen wuchsen, Pickel blühten, ich kam in den Stimmbruch, und alle möglichen beunruhigenden Gedanken schlichen sich in meinen Kopf. Hitzewellen durchfuhren meinen Körper, wenn ich nur an ein Mädchen dachte. Eine nähere Begegnung mit jemandem wie Sharon Pringle hätte mich wahrscheinlich umgebracht.

      Zu den rein körperlichen Veränderungen kamen noch unvorhergesehene psychologische – so war mir bis zu meinem ersten Tag an der F. W. Buchholz High School nicht ganz klar, wie verarmt meine Familie wirklich war. Beinahe über Nacht entdeckte ich völlig neue Bereiche der Peinlichkeit. Ich musste mich nur umschauen und die Kleidung, Fahrräder und sogar Autos der ande­ren mit meinen eigenen spärlichen Besitztümern vergleichen, um zu verstehen, was ich war: bettelarm. Mit dieser Erkenntnis stieg ein schneidendes, stechen­des Schamgefühl in mir auf.

      Freunde wie Kenny Gibbs, dessen Vater ein Möbelgeschäft in der Stadt besaß, lebten in neuen Betonhäusern mit Klimaanlagen, wovon ich nur träu­men konnte. Bald verbrachte ich mehr und mehr Zeit bei ihm zu Hause und genoss die dauerhaft kühle Luft sowie andere ungeahnte Luxusgüter wie einen Farbfernseher und einen Kühlschrank voll mit Schokoriegeln und Coca-Cola, aus dem wir uns nach Herzenslust bedienen durften. Bereitwillig nahm ich eine Einladung seiner Mutter an, über Nacht zu bleiben, einfach nur, um her­auszufinden, wie es war, einmal nicht in einer Schweißpfütze zu liegen.

      Selten, wenn überhaupt lud ich Kenny zu mir nach Hause ein. Auch sonst niemanden, um genau zu sein. Meine übliche Ausrede war, dass Mama zu Hause wäre oder mein Bruder lernte. Alles, was mit meinen Eltern zu tun hatte, erschien mir in meiner halbwüchsigen Gedankenwelt auf einmal uner­träglich. Ihr Englisch wirkte so gebrochen; sie waren nicht so beredt wie die Eltern der anderen. Ich dachte, in dem Augenblick, wo ihnen jemand begeg­nete, würde man wissen, dass ich aus bescheidenen Verhältnissen stammte.

      Hin und wieder jedoch wurde mein familiärer Hintergrund sichtbar und drohte mich bloßzustellen, etwa wenn mir jemand eine persönliche Frage stellte wie: „Ist dein Vater nicht Mechaniker bei Koppers?“ Oder: „Habe ich deine Mutter nicht neulich im Gebrauchtwarenladen gesehen?“ Meistens gelang es mir, so etwas abzubiegen, bevor es zu spät war. Die Musik, mein einziger Fluchtweg, blieb weiterhin meine Erlösung.

      Ich konnte mir keine eigenen Schallplatten leisten, um mit den neuesten Trends Schritt zu halten, also hörte ich unablässig Radio. Ich hatte in meinem Zimmer ein altes hölzernes Gerät stehen, das schnell alle Aufmerksamkeit auf sich zog, die ich ansonsten auf die Hausaufgaben verwendet hätte. In Gainesville stellten die meisten der von Weißen betriebenen Radiostationen den Sende­betrieb bei Sonnenuntergang ein. Wenn das Wetter gut war und zwischen Ten­nessee und Florida nicht gerade ein heftiger Sturm tobte, konnte ich die Antenne so lange ausrichten, bis ich damit WLAC in Nashville auf der Mittelwellenfre­quenz 1510 empfing, die einzige Station,


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