Mein Leben mit den Eagles. Wendy Holden

Mein Leben mit den Eagles - Wendy Holden


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      Meine schulischen Leistungen litten unweigerlich unter all den außer­schulischen Aktivitäten, in die ich verstrickt war. Zusätzlich zu meinen Wochenendjobs, wo ich Schuhe verkaufte, Gitarren stimmte und heulenden kleinen Kindern „King Creole“ auf der Gitarre beibrachte, begann ich nun auch noch Solokonzerte zu geben – nur ich, meine Fender und mein kleiner Verstärker. Ich spielte in der Stadt und an weiter entfernten Auftrittsorten, die ich mit dem Greyhoundbus erreichte.

      „Don Felder, Gitarrist“, kündigte ich mich selbst an. Ich nahm schlecht bezahlte Gigs bei Frauenvereinen und Kindergeburtstagen an, wo ich von Filmmusik bis Elvis alles spielte. Daneben spielte ich noch Schlagzeug in einer Bar namens Gatorland, die direkt gegenüber der Universität von Florida lag, sowie Leadgitarre in einer Band im Dubs Steer Room, einem verrauchten Steakhaus, wo Fleisch und Bier serviert wurden. Man konnte Billard spielen, den „Gator“ (Alligator) tanzen oder einfach nur beim Wet-T-Shirt-Contest zusehen, der jeden Freitag- und Samstagabend stattfand. Mann, ich dachte, ich wäre gestorben und in den Himmel gekommen.

      Jerry gefiel es gar nicht, wenn ich mich an solchen Orten herumtrieb, und als er es herausfand, drohte er, es unseren Eltern zu erzählen. „Das ist nicht in Ordnung“, sagte er zu mir. „Du bist minderjährig und solltest solche Spelun­ken nicht einmal betreten. Außerdem ist es mir peinlich, dass mein kleiner Bruder dort auf der Bühne steht.“ Aber das war mir alles egal. Ich war glück­lich, dass ich Musik machen und Spaß dabei haben konnte. Seit ich die Bühne im State Theater betreten hatte, hatte ich nichts anderes gewollt.

      Nach meinem frühen Kontakt mit den Soulsängern in der Kirche und meiner Liebesaffäre mit den Spätsendungen im Radio liebte ich schwarze Musik immer noch, aber in den späten Fünfzigern und frühen Sechzigern gab es für schwarze Künstler keine Auftrittsmöglichkeiten. Im tiefen Süden war Rassis­mus an der Tagesordnung, so war das eben. Mir gefiel das nicht, und ich ver­stand es auch nicht. Mein Vater arbeitete mit „Farbigen“ zusammen und kam gut mit ihnen aus. Einer von Papas Freunden, bekannt als „Pig“, hatte vor der Stadt eine kleine Zuckerrohrplantage. An den Wochenenden gingen wir manchmal dorthin und halfen zusammen mit seinen Leuten bei der Zucker­rohrernte. Pigs Maulesel zog den Mühlstein, und die Schwarzen kochten ein wenig von dem Zuckerrohr, um daraus Sirup für unsere Pfannkuchen zu machen. Einem Mann, der uns regelmäßig zu Hause besuchte, lieh Papa sogar einmal Geld. Ich wunderte mich immer, dass er die Hintertür statt der Vor­dertür benutzen musste, wenn er zu Besuch kam.

      Es gab einen Stadtteil von Gainesville, den jedermann „Colored Town“ (Stadt der Farbigen) nannte. Weiße gingen dort nicht hin, aber ich schon. Als Teenager schlich ich mich davon und rannte hinunter zu den Bars, um mit den Musikern zu jammen. Meine Eltern hätten einen Anfall bekommen, wenn sie davon erfahren hätten. Mein Vater versohlte mich immer noch mit dem Gür­tel, und ich möchte gar nicht erst daran denken, was er getan hätte, wenn er herausgefunden hätte, dass ich in Wahrheit gar nicht bei einem Freund über­nachtete, sondern mich mit den Schwarzen traf.

      Einer der Musiker, mit denen ich dort unten spielte, ein Schlagzeuger namens John, erzählte mir, dass B. B. King im Rahmen eines sogenannten „Chitlin Circuit“ (etwa: Specktournee) für schwarze Künstler in die Stadt komme. Er sollte in einer illegalen Bar in einer Scheune auf irgendeiner Farm spielen. Damals suchten sich die Veranstalter ein Gebäude mitten in den Kuh­weiden und räumten für das Konzert einfach die Heuballen zur Seite. Sie stell­ten Kisten als Tische und Stühle auf, ließen ein paar Fässer anliefern, verkauf­ten Bier und nahmen fünf Dollar Eintritt.

      Fünf Mäuse, um B. B. King zu sehen. Es war ein kleines Vermögen.

      Ich war ein großer Fan von B. B., den ich schon hundertmal auf WLAC gehört hatte, also bekniete ich John, mich doch mitzunehmen. „Bitte nimm mich mit, bitte, bitte, bitte!“ Zu meiner großen Freude sagte er schließlich zu, und so stahl ich mich eines Abends aus dem Haus, rannte zu seinem Jeep und fuhr mit ihm zu der Scheune.

      Der Laden kochte. Ich war meilenweit der einzige Weiße. Ich konnte es mir nicht leisten hineinzugehen, also stand ich draußen und spähte durchs Fenster. B. B. haute mich völlig um. Nur durch sein Spiel brachte er Männer zum Schreien und Frauen zum Weinen. Ich beobachtete ihn mit großen Augen und wusste, dass ich mehr als alles andere in der Welt so sein wollte wie er – mit zusammengekniffenen Augen vorn am Bühnenrand stehen und die Frauen mit meiner Gitarre zum Weinen bringen.

      Als er fertig war, stellte er seine Gitarre in einer Pferdebox ab und nahm auf einem Heuballen Platz, um wie alle anderen ein wenig von dem Schwarz­brand zu trinken. Mit klopfendem Herzen platzte ich hinein und preschte quer durch die überfüllte Scheune bis zu seinem Platz.

      „Mister King“, sagte ich atemlos. „Ich würde ihnen einfach gern die Hand schütteln.“

      Sein Gesicht erhellte sich wie eine Kerze, und er lächelte mich mit einem Mund voller unglaublich weißer Zähne an. „Na gut, mein Junge“, entgegnete er mit leuchtenden Augen. „Hier ist sie.“ Er streckte mir seine Riesenhand entgegen, und ich nahm sie in die meine. Seine Finger waren so groß wie Würstchen, und sein Atem roch schwach nach Whisky. Sein Blick durchbohrte mich förmlich. Wie zur Salzsäule erstarrt, brachte ich kein weiteres Wort mehr hervor. Ich machte mich davon und ging halb benommen nach Hause. Danach wusch ich mir eine Woche lang nicht die Hände.

      Die nächsten paar Monate sparte ich jeden Penny, bis ich mir schließlich leisten konnte, was ich wollte. Das erste Album, das ich jemals kaufte, war Live At The Regal von B. B. King. Ich kaufte es per Postversand bei Randy’s Record Shop in Gallatin, Tennessee, der auf WLAC in Nashville als „größter Platten­laden der Welt“ Werbung machte. Das Album kostete zwei Dollar achtund­neunzig, die ich mühsam zusammengespart und mit der Post geschickt hatte. Es war eine der großartigsten Bluesaufnahmen aller Zeiten. Ich lernte jeden Ton auswendig.

      Die Ereignisse der Weltpolitik schienen an Gainesville größtenteils vorbei­zugehen, einige wenige jedoch, wie die Kubakrise und das Attentat auf Präsi­dent Kennedy, ließen sich nicht umgehen. Ich war auf der Highschool, als sich JFK und der russische Premierminister Nikita Chruschtschow im Herbst 1962 wegen der geplanten Stationierung nuklearer Sprengköpfe auf Kuba in die Haare gerieten. Der Name Castro wurde zum Synonym für das Böse, so wie heute Osama bin Laden. In einer Ecke jedes Klassenzimmers befand sich an der Wand ein kleiner Lautsprecher, über den wir die neuesten Nachrichten­meldungen aus dem Radio hörten. Bei der täglichen Luftalarmübung ver­steckten wir uns unter unseren Tischen, sobald eine Sirene aufheulte. Dann kam eine Ansage: „Dies ist eine Übung. Dies ist eine Übung. Im Ernstfall begeben Sie sich bitte in Ihren vorgegebenen Bereich.“ Daraufhin folgte eine Reihe lauter Huptöne.

      Der Lehrer sagte: „Gut, Kinder, bitte merkt euch jetzt den Ablauf. Helm auf, Kopf runter, Augen zu.“ Als ob uns unsere Sperrholztische und Blech­helme vor einer nuklearen Katastrophe bewahrt hätten. Ich erinnere mich, dass ich mich fragte, wie lange ich wohl brauchen würde, um nach Hause zu rennen, falls eine Rakete in Florida einschlug. Es war eine Zeit, in der die Angst im Land regierte, und ihr erstes Opfer war die Logik. Einige Leute in unserem Viertel versuchten, sich Bunker zu bauen, aber da das Grundwasser nur etwa einen Meter tief unter der Erdoberfläche lag, begriffen sie schnell, dass sie eher ertrinken würden, bevor jemand eine Atombombe auf sie warf. Die Bedro­hung durch einen Krieg schien irreal und beinahe wie ein Spaß, als wären wir Teil von etwas Fantastischem und nicht potenzielle Opfer eines Atomschlags.

      Im Jahr darauf wurde JFK erschossen. Das veränderte alles vollkommen. Die Nachricht war unglaublich und erschütternd. Ich erinnere mich, dass unsere Lehrerin zusammenbrach, als sie uns im Schulhof davon berichtete. Jedermann schien plötzlich verängstigt und paranoid zu sein. Erwachsene weinten auf offener Straße, was ich noch nie zuvor gesehen hatte. Es war, als wäre ganz Gainesville durch das Abfeuern dieser Kugel plötzlich aus einem Dornröschenschlaf gerissen worden. Nichts schien mehr sicher oder verläss­lich. Die Apfeltörtchensüße war einem sauren Geschmack gewichen. Wir bekamen den Tag schulfrei, damit wir mit unseren Familien das Begräbnis im Fernsehen anschauen konnten. Ich kann mich noch erinnern, wie ich vor unserem Schwarzweißgerät auf dem Boden saß und zusah, wie der kleine John auf dem Nationalfriedhof in Arlington schweigend neben seiner Mutter stand, während meine eigene Mutter schluchzend auf dem Sofa


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