Kämpferherz. John Eldredge

Kämpferherz - John Eldredge


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Welt verändern wollten! Während der Olympischen Spiele 1984 machten wir in Los Angeles Straßentheater. Den Sicherheitsvorkehrungen zum Trotz tauchten wir überall dort auf, wo wir Zuschauer anziehen konnten, um kurze, lebendige Szenen über Jesus, sein Leben und seine Bedeutung für uns aufzuführen. Wir waren begeistert.

      Das ist richtig cool; genau das, was ich suche – und was auch alle meine Freunde suchen. Ihr konntet tatsächlich für etwas leben, das euch begeistert hat. Konntet ihr auch davon leben?

      Das nicht gerade. Jedenfalls noch ein paar Jahre lang nicht. Ich habe als Hausmeister in unserer Gemeinde gearbeitet, und Mom hatte einen Job als Büroleiterin einer kleinen Technologiefirma. Ich verbrachte meine Tage mit Staubsagen, Toilettenputzen und Mülleimerleeren; sie steckte bis zum Hals in ausstehenden Rechnungen und Arbeitsverträgen.

      Es ist wichtig, dass du dir dies klarmachst: Deine Leidenschaft, der Ort, der dir Sinn gibt – das, was in der Kirche früher deine „Berufung“ genannt wurde –, muss nicht unbedingt das sein, womit du dein Geld verdienst. Jesus war Zimmermann. Paulus nähte Zelte. Vielleicht kommt einmal die Zeit, in der du von dem, was dich begeistert, auch die Rechnungen bezahlen kannst. Dann wärst du der reichste Mann der Welt. Aber so viele Leute geben ihre Träume auf, weil sie diese beiden Dinge nicht auseinanderhalten. Sie überschlagen, welchen Marktwert ihre Leidenschaften wohl hätten – oder irgendein Lehrer malt ihnen vor Augen, wie unwahrscheinlich es ist, mit dem, was sie gern tun, einen Lebensunterhalt verdienen zu können –, und dann geben sie ihre Visionen auf für ein „vorhersehbareres“ Leben. Das sie am Ende verständlicherweise hassen. Dann entwickeln sie die verschiedensten Süchte und landen beim Therapeuten. Ich habe ja selbst als Therapeut mein Geld verdient und versucht, solchen Leuten aus ihrer Verzweiflung herauszuhelfen. Die Schlange vor meiner Tür riss nicht ab.

      Du bist nicht nur eine „Arbeitskraft“, ein Angestellter, einer, der Karriere macht. Du bist ein Mensch mit Leidenschaften und Sehnsüchten. Und so hat dich Gott geschaffen. Du bist aber auch ein junger Mann, der noch in Gottes Werkstatt geformt wird und auf dem Weg dahin ist, ein echter Mann zu werden. Was immer sonst noch in einem Leben los sein mag, jeder junge Mann ist auf dem Weg dahin, ein Mann zu werden. Das ist die große Aufgabe, der tiefe Strom, die Arbeit, die viel wichtiger ist als eine Karriere – ob man nun in die Entwicklungshilfe geht oder einen Marketing-job in einer Großstadt bekommt. Du musst noch einige Löwen erlegen, um zu wissen, dass du ein Mann bist und dass Gott dir Träume anvertrauen kann, die auch wahr werden. Würde es die Dinge verändern, wenn du diese Zeit einfach als Training für dein Kämpferherz betrachtest?

      Vielleicht ja. Aber meine Generation hört nicht gern etwas von Warten und Geduld. Gleich jetzt könnte ich von meinem Smartphone aus eine Überweisung machen, dabei die neuesten Schlagzeilen überfliegen, nach der Definition eines Begriffs suchen und ihn dann in jede beliebige Sprache übersetzen lassen (und mir auch noch per Knopfdruck die Aussprache anhören), einem Freund simsen und mir ein Video herunterladen. Alles in wenigen Sekunden. Und du verlangst, dass ich auf etwas warten soll? Wie viele Jahre soll das denn dauern?

      Jetzt spricht das Kind in dir, der Junge. Der Junge hat die Dinge gern einfach, und er hat sie gern sofort. Es wird dich sehr voranbringen, wenn du lernst wahrzunehmen, wann der Junge in dir am Zug ist – nicht, um ihn fertigzumachen, sondern um dich bewusst für den Weg in Richtung Mannsein zu entscheiden. Ich liebe einen Satz aus dem Film Königreich der Himmel; Balian, der Schmied, hat ihn in die Balken seiner Werkstatt geschnitzt. Er lautet: „Ein Mann, der die Welt nicht besser macht – ist der ein Mann?“5 Das ist sein Leitwort, der Polarstern, der ihm die Richtung weist, während er sich damit abmüht, aus dem Jungen, der er war, einen Mann zu schmieden. Der Junge möchte spielen; er möchte, dass das Leben vor allem Erholung ist; der Mann strebt nach etwas Höherem, Größerem, und deswegen akzeptiert er diesen Umwandlungsprozess. Bei Dostojewski heißt das: „… fünf oder sechs Jahre der brausenden Jugend einem schwierigen Studium, den Wissenschaften, zu opfern, sei es auch nur, um die eigene Kraft zu verzehnfachen, um derselben Wahrheit, derselben heroischen Hingabe leben zu können, die man so lieb gewonnen hat und nach der man sich sehnt …“6 Das ist gewiss ein Opfer. Aber diese zehnfache Kraft ist es wert.

      Wenn ich ganz ehrlich bin, dann ist es mir ein bisschen peinlich, wie die Leute in meinem Alter Arbeit verstehen – mich eingeschlossen. Im Geschichtsunterricht habe ich gehört, dass sich die jungen Männer vor der industriellen Revolution nicht zu gut dafür waren, als Lehrjungen zu beginnen und sich dann hochzuarbeiten. Aber die Dinge haben sich verändert und verändern sich heute so rasch, dass wir nicht mehr in einen ganz bestimmten Berufsweg investieren, weil es den Beruf vielleicht schon nicht mehr gibt, wenn wir am Ziel sind. Ich weiß es nicht. Andererseits: Jeden Schritt, den man beruflich unternimmt, im Nachhinein anzuzweifeln, ist ja fast wie eine Garantie, am Ende nirgendwo anzukommen.

      Ich möchte aber nicht im Nirgendwo landen; ich möchte Sinn und ein Ziel. Ich will wissen, dass ich in eine Sache investiere, die sich lohnt und die meinen Einsatz wert ist. Habe ich also meine Studienzeit verschwendet, weil ich eine Sache verfolgt habe, die mich nicht ernähren kann? Sollte ich nicht endlich diese Spur verfolgen, die Sinn und Bedeutung verspricht? Ich würde meinen stupiden Job auf der Stelle aufgeben, wenn es etwas Sinnvolles und Erfüllendes gäbe. Aber wie finde ich das? Wenn diese Möglichkeit nur leeres Gerede ist, ist das schwer zu ertragen.

      Erkundung und Verwandlung, mein Junge. Es gibt ein Leben, das du lieben kannst. Aber es erfordert Mut, Ausdauer und ein wenig Klugheit, um dahin zu kommen. Es erfordert ein Kämpferherz. Du steckst mittendrin herauszufinden, wer du bist, was du bist, warum du hier bist, worum es in der Welt eigentlich geht und was Gott wohl vorhat – was er mit dir vorhat – und wie er das bewerkstelligt. Ich selbst kann sagen: Ich liebe das, was ich tue, von ganzem Herzen; meine Arbeit ist meine Leidenschaft. Und ich erlebe dazu noch die große Freude zu wissen, dass meine Arbeit in dieser Welt Auswirkungen hat. Die allermeiste Zeit liebe ich mein Leben. Man kann ein Leben finden, das man liebt. Du kannst es ebenfalls. Aber dieses Leben lag nicht an dem Tag fix und fertig für mich parat, an dem ich mein Studium beendet hatte. Es musste noch eine Menge in mir passieren, bevor Gott mir das Leben anvertrauen konnte, das ich heute lebe.

      Das klingt alles ein wenig nach: „Warte. Arbeite. Vielleicht kommt eines Tages das wirkliche Leben vorbei.“

      Da spricht wieder der Junge – er hört nur einen Teil von dem, was ich sage. Ich speise dich nicht mit solchen hohlen Empfehlungen ab. Wir finden gerade heraus, worum es in dieser Phase deines Lebens geht.

      Über unsere Gesellschaft gibt es etwas Wichtiges zu wissen. Der Autor Robert Bly nennt sie die „kindliche Gesellschaft“. Darin werden Menschen nicht so sehr von Älteren, sondern vielmehr von Gleichaltrigen geprägt. Bly spricht auch von der „vaterlosen Gesellschaft“. Kinder kommen immer früher in die Pubertät (heute kleiden sich schon zwölfjährige Mädchen wie früher Zwanzigjährige); gleichzeitig verlängert sich die Pubertät bis in das frühe Erwachsenenleben hinein. Man will nicht mehr erwachsen werden, sondern in einer ewigen Jugend verharren. Frauen von fünfundfünfzig erscheinen in Bars im Outfit von Teenagern. Ich würde dann immer am liebsten hingehen und sagen: „Sie sind fünfundfünfzig – verhalten Sie sich doch um Himmels willen wie eine erwachsene Frau.“ Die kindliche Gesellschaft betet die Jugendlichkeit an und lehnt die Härten des Erwachsenendaseins ab. Es ist eine Welt der ewigen Erstsemester – wie dein Ferienlager. Bly fasst das kurz und knapp zusammen: „Heranwachsende … verspüren keinen Antrieb, erwachsen zu werden.“7

      Na ja, wenn ich mir die Jungs so anschaue, die ich kenne – Michael, Sky, Julian, also eigentlich alle: Sie sind im Herzen goldrichtig, und das mag ich an ihnen. Aber du hast wohl recht: Ich spüre, dass in uns noch eine Menge „kleiner Junge“ steckt. Der kleine Junge kann uns ja auch Staunen und Kreativität und spontane Freude schenken; aber er verliert auch schnell den Mut, will das Leben hier und jetzt. Er ist die Seite in uns, die uns dazu bringt, uns eher zu betrinken und Videospiele zu spielen, als uns dafür einzusetzen, aus unserem Leben etwas zu machen.

      Genauso ist es. Du stehst also vor einer Entscheidung, die Mut braucht: dich auf das wilde, unberechenbare Abenteuer einzulassen, ein echter Mann zu werden.

      Die Stunden, die ich mit meiner Hausmeistertätigkeit verbracht habe, waren nicht umsonst. Ich habe so viel dabei gelernt – dass es Zufriedenheit schenkt,


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