Silbergrau mit Wellengang. Andrea Reichart

Silbergrau mit Wellengang - Andrea Reichart


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hatte wie jetzt unter einem heißen Wasserstrahl gestanden, sehr zufrieden mit mir selbst. Immerhin hatte ich an dem Tag einen Dorsch gefangen. Und ein paar Schollen. Nur knapp dreihundert Meter vom Strand entfernt in dem kleinen 6 PS Angelboot, das ich gemietet hatte.

      Jeder andere ließ seinen Fang in einem Eimer verschwinden, ich dagegen schleppte ihn gut sichtbar im Netz an den Strand. Am liebsten hätte ich bei jedem Schritt gerufen: „Cordula! Sieh nur! Das habe ich für uns gefangen!“

      Cordula blickte auf mein Netz und schüttelte angeekelt den Kopf. „Du weißt, dass ich Vegetarierin bin.“ Sie wies mit dem Kopf den Steg entlang zu den anderen Fischern. „Vielleicht freuen die sich darüber. Sieh zu, dass du die Leichen loswirst.“

      Ich ahnte nicht, dass mir in diesem Augenblick die Frau von der Angel ging, mit der ich die letzten vierzig Jahre verbracht hatte. Nicht immer glücklich, das konnte sein, aber doch nett eingelebt. Trotz aller Zankereien.

      Während ich mich einseifte, hörte ich sie ins Bad kommen. Das Rauschen des heißen Wassers und die Nebelschwaden verhinderten, dass ich sofort erkannte, was sie tat. Wir wollten essen gehen, vielleicht schminkte sie sich, um besonders nett auszusehen? Verdient hatte ich es ja.

      Als ich das Bad nur wenige Minuten später mit einem Handtuch um die Hüften verließ, hoffte ich, dass Cordula noch nicht angezogen war. Es war noch früh genug für ein wenig Spaß, fand ich, auch wenn es viele Jahre her war, dass einer von uns beiden vor, während oder nach dem Sex gelächelt hatte.

      Das Wasser tropfte mir in den Nacken, als mein Verstand endlich erfasste, was meine Augen ihm die ganze Zeit mitzuteilen versuchten. Cordula hatte alles eingepackt, was ihr gehörte.

      „Was soll das denn geben?“, fragte ich irritiert.

      „Freiheit für uns beide“, antwortete sie und griff nach ihrem Rollkoffer. „Ich habe die Rechnung bereits beglichen. Betrachte das als mein Abschiedsgeschenk. Mach dir noch ein paar schöne Tage hier. Fahr bitte nicht heim, hörst du? Ich will ausgezogen sein, ehe du kommst.“

      „Hast du sie noch alle?“, fragte ich und spürte, wie Wut in mir aufwallte. „So ein Theater wegen ein paar Fische?!“

      Cordula schüttelte den Kopf, als hätte sie es mit einem ganz besonders doofen Erstklässler zu tun, der einfach nicht verstand, dass auf A unweigerlich B folgte.

      „Du hörst von meinem Anwalt.“ Sie sah sich in der Suite um, prüfte, ob sie auch nichts vergessen hatte. Auf dem Schreibtisch stand eine halb leere Flasche Whiskey, daneben das Glas, mit dem ich mir in der letzten Nacht mehr als einmal auf einen schönen Urlaub zugeprostet hatte. Cordula hatte bereits mit Migräne im Bett gelegen.

      „Kannst ja den Rest auf eine schnelle Scheidung trinken“, meinte sie zynisch, dann klopfte es bereits und ein Page begann, ihre Sachen hinauszutragen.

      Wie vom Donner gerührt blieb ich mitten im Raum zurück.

      Mein provisorischer Lendenschurz glitt zu Boden, als sich die Tür hinter meiner Frau zum letzten Mal schloss. In dem Moment war ich nicht nur so nackt wie ein Knabe, ich fühlte mich auch zum ersten Mal seit vielen Jahren genauso hilflos.

      Kapitel 3

      „Wach auf!“

      Ich schlug die Augen auf und starrte in Lisbeths ernstes Gesicht.

      „Wie spät ist es?“, fragte ich mit trockener Kehle und räusperte mich.

      Rolf war schon weg, das erkannte ich, als ich mich verschlafen in unserem Zimmer umsah.

      „Zeit fürs Frühstück. Beeile dich.“ Lisbeth würdigte mich keines Blickes mehr, als sie das Motelzimmer verließ.

      Ich warf einen Blick auf meine Uhr. Kurz nach neun. Na gut, das war okay. Gähnend reckte ich mich, dann stand ich auf und machte mich fertig.

      Als ich den Frühstücksraum betrat, hob ich überrascht die Augenbrauen. Meine Mitreisenden sahen alle ganz anders aus als in der Nacht zuvor. Sie hatten sich frischgemacht, niemand trug mehr die Sachen vom Vortag, und bis auf Lisbeth lächelten mich alle an.

      „Wie gehts dir, Rolf?“

      „Wie neu geboren!“, strahlte er und biss herzhaft in ein Brötchen. „Gute Idee, das mit der Übernachtung“, murmelte er mit vollem Mund und nickte aufmunternd, während die anderen ebenfalls ihre Zustimmung äußerten.

      Als ich mir zufrieden aus der großen Kanne, die auf dem Tisch stand, Kaffee einschenkte, klimperte Lisbeth ungeduldig mit einer Gabel gegen ihre Tasse und verlangte nach Aufmerksamkeit.

      „Alexanders eigenmächtige Entscheidung heute Nacht hat Konsequenzen“, sagte sie ernst und sah erst in die Runde, ehe ihr Blick tadelnd an mir hängenblieb. „Wie ihr wisst, hatten wir einen ausgesprochen engen Zeitplan einzuhalten, wenn wir den Verkäufer der Finca noch treffen wollten, ehe der für eine unbestimmte Zeit geschäftlich ins Ausland musste, wie er sagte.“

      Während alle nickten, ärgerte ich mich. DAS wäre ja mal eine Information gewesen, die für mich als Fahrer wichtig gewesen wäre, oder?

      „Es wurde ja schon knapp durch den Zwischenfall mit Rolf“, fuhr Lisbeth ungerührt fort und Rolf hob sofort an, sich zu entschuldigen.

      Kopfschüttelnd schnitt Lisbeth ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. „Niemand macht dir Vorwürfe, Rolf, wir waren trotzdem noch in der Zeit. Ich hatte ja etwas mehr eingeplant – für alle Fälle.“

      Damit lag der schwarze Peter wieder bei mir.

      Lisbeth hob ihr Handy hoch. „Heute Morgen erreichte mich die SMS, dass Senhor Cardez nicht mehr länger warten könne. Er hat den Schlüssel hinten auf der Terrasse der Finca unter einem Stein deponiert. Wir können also jederzeit rein. Leider kann er uns nicht mehr mit den technischen Feinheiten vor Ort vertraut machen, aber das schaffen wir ja wohl selbst, was meint ihr?“ Sie schaute Beifall heischend in die Runde und wahrhaftig, ihre Freunde klatschten.

      Ich fasste es nicht.

      „Das Schöne ist jetzt, dass wir uns Zeit lassen können, auch wenn das unsere finanzielle Planung ein wenig durcheinanderwerfen könnte.“

      Ich runzelte die Stirn. Wie knapp hatten die fünf Musketiere denn kalkuliert?

      „Nun“, ignorierte Lisbeth mein Mienenspiel und das Gemurmel ihrer Freunde, „wir werden das Beste daraus machen.“ Sie nickte ihren Freunden aufmunternd zu. „Wir werden in Spanien in aller Ruhe den Jakobsweg entlangfahren. Die spirituelle Atmosphäre von Verzicht und Selbstbesinnung wird uns allen gut tun. Auch dir, Alexander“, schloss sie mit einem kühlen Seitenblick auf mich.

      „Moment mal!“, wandte ich energisch ein. „Als ich diese Busreise gebucht habe“, ich konnte es mir nicht verkneifen, das Wort Busreise mit einem bitteren Unterton zu belegen, „da war nie die Rede davon gewesen, dass sie mehr als einen Tag und eine Nacht dauern würde.“ Die gute Stimmung nach der nächtlichen Fußmassage war verflogen, das hier konnte doch wohl nicht wahr sein!

      „Wir sind Montagmittag losgefahren, jetzt ist Dienstagmorgen. Ich muss Mittwoch um elf Uhr auf einer Urnenbestattung in Faro sein und danach geht mein Flieger nach Irland. Es kommt gar nicht infrage, dass ich mit euch eine Woche lang durch Spanien bummele, auf den Spuren von Hape Kerkeling.“ Ich blickte in die Runde. „Wer außer Rolf will also den Bus fahren, wenn ich mich gleich in den nächsten Zug setze?“

      Schorschi fuhr sich mit seinen knotigen alten Fingern nervös durch das schüttere Haar. „Ich schaffe das nicht, ehrlich nicht. Außerdem habe noch nie ein Gespann mit Anhänger gefahren. Und …“ Er sah betreten auf seinen Teller.

      „Und was?“, fragte ich ungeduldig.

      „Ich habe keinen Führerschein mehr“, murmelte er. „Schon seit Jahren nicht.“ Er hob den Kopf und sah mich beinahe trotzig an. „Damals habe ich noch gesoffen, aber das ist Jahre her! Ich hätte ihn auch wiederhaben können, ganz bestimmt sogar, aber meine Frau


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