Ich kann mir die Arbeit nicht leisten. Rainer Voigt
dank seiner Ingenieurausbildung als Techniker fest eingestellt und erhielt den Auftrag, ein neues CAD-Programm in der Firma einzuführen. Diesem Programm war intuitiv sehr schwer beizukommen, die zweitägige Schulung mit zehn Projektanten lieferte nur Einstiegsinformationen zu Idealprojekten. Einen großen Teil seiner Freizeit nutzte er in den kommenden Wochen und Monaten, um sich über Internetforen und andere Quellen mit diesem Programm zu beschäftigen. Der Durchbruch war nicht einfach, einige Male schien die Stimmung in der Chefetage schon gegen dieses Programm zu pendeln, zumal überzogene Erwartungen damit verknüpft waren. Diese bestanden unter anderem aus unklaren Forderungen zu Standardisierungen, an denen sich einige Bereichsleiter seit Jahren erfolglos versuchten. Sicher hatten sie selbst schon eine Menge Zeit und Herzblut in derartige Ziele eingebracht, aber selbst mit ihren Erfahrungen, die nach Jahrzehnten zu messen sind, gelang ihnen bisher nicht einmal eine Einführung im kleinen Stil. Nun, mit dem neuen Programm konnte man die schwere Last von den Schultern werfen und dann jemand verantwortlich machen, wenn es nicht klappt. Die zweite überzogene Erwartung war, dass auf Knopfdruck die Unterlagen in einer anderen Sprache ausgegeben werden sollten. Erst einmal muss hierzu alles Erforderliche dem Computer beigebracht werden. Und letztendlich waren die Chefetagen davon überzeugt worden, dass ebenfalls auf Knopfdruck verschiedene Darstellungsarten der notwendigen Unterlagen bereit stehen. Vielleicht ist das in einer späteren Version des Programms problemlos möglich, aber hier galt es, Neuland zu betreten und alle Programmschritte einzeln vorzubereiten. Für jedes Schaltzeichen, das nicht standardmäßig als Zeichnungssymbol vorhanden war, musst selbiges erstellt werden und sorgte bereits hier für Kontroversen in den verschiedenen Betriebsebenen und bei den Projektanten. War dem einen ein Symbolelement zu groß, meinte der andere, er könne es nicht erkennen. Man kann es sicher nicht jedem Recht machen und an dieser Stelle hatte Frank-Peter Sommer weder die Autorität noch die Unterstützung von jemanden mit einer solchen und so begannen die verschiedenen Leitungsebenen sich in Details zu verlieren, ohne den mit dem neuen Programm erreichbaren Produktivitätsschub zu begreifen. Auch die Arbeitsverteilung in der Projektierung war eine Widerspiegelung der inneren Hierarchie und sorgte für ein angespanntes Betriebsklima.
Schließlich war Frank-Peter Sommer jedoch so sattelfest im Umgang mit dem CAD-Programm, dass er die Projektanten nun selbst schulen und relativ schnell erforderliche neue Artikel in die Datenbank eingliedern konnte. Auch gelang es ihm zusehends, Fehler der Projektanten im Umgang mit dem Programm zu lokalisieren und Standards durchzusetzen. In der Firma gab es jedoch in verantwortlichen Stellen einige Mitarbeiter, die diesem Programm grundsätzlich ablehnend gegenüber standen. Auch zählte Frank-Peter Sommer nicht zum inneren Zirkel seines unmittelbaren Chefs Peter Peisker, teilte mit ihm nicht die Rauchpausen. Frank-Peter Sommer war schon immer Nichtraucher. Ein junger Projektingenieur, Mathias Biedermann, der weder über Erfahrungen noch über sonderlich gefestigtes Fachwissen verfügte, schaffte es mit einer Art Bauernschläue, dem Chef, der ihm im Großraumbüro am Schreibtisch gegenüber saß die Fragen so zu stellen, dass dieser ihm die Lösung seiner Probleme praktisch vorkaute. Die Schleimspur war schon sehr breit, die dieser Kollege legte und die meisten anderen Kollegen außer dem Chef selbst merkten dieses angewidert. Der Choleriker Marco Haferkorn sonnte sich regelrecht in seinen Posen über die Widersprüche, die das Computerprogramm noch hatte und profilierte sich als oberschlauer Projektant. Marco Haferkorn beherrschte das Vorgängerprogramm dieses CAD-Programms, aber nicht als CAD-Programm, sondern in einer von ihm vergewaltigten Form als Zeichenprogramm. Jeden Fehler von Frank-Peter Sommer, auch vermeintliche und solche, die Marco Haferkorn wegen seiner Arroganz und seiner Lernunwilligkeit für das neue Programm als Fehler zu deuteten neigte, trug er in extra organisierten Tratschrunden in die nächste Instanz. Michael Dobrindt, der mit keinem der verwendeten Computerprogramme richtig klar kam, erst recht nicht mit dem CAD-Programm, entwickelte sich ebenfalls zur Betriebsbremse. Seine offensichtlichen eigenen Schwächen schob er nach der Methode „haltet den Dieb“ immer lauter auf das Programm und dessen Unvollkommenheit. In der Tat gab es einige wenige Probleme mit diesem Programm, die jedoch auch dank seiner Zusammenarbeit mit der Softwarefirma und einem sehr engagiertem Forum mit jedem update geringer wurden, aber mit denen Michael Dobrindt nie auch nur im Entferntesten konfrontiert wurde. Es war die Faulheit einiger Projektanten, einmal gelerntes mit dem geringsten Aufwand immer wieder zu verwenden und sich gegen alle Neuerungen zu sperren. Wer klug genug war, konnte sich ausmalen, dass bei sachgemäßer Anwendung des neuen CAD-Programms die Projekte in wesentlich kürzerer Zeit erstellt werden konnten und letztlich einige der Projektanten nicht mehr benötigt werden würden. In der Abteilung gab es auch Kollegen, die mit Frank-Peter Sommer sehr gut und auch gern zusammen arbeiteten und die mit dem Programm zunehmend erfolgreicher wurden. Kurz, es gab eine Reihe von ungelösten Problemen und es waren in der Chefetage Begehrlichkeiten entstanden, die Frank-Peter Sommer als Einzelkämpfer nicht einlösen konnte.
Als 2009 die vermeintliche Krise ihre Tentakel auch nach dem Mittelstand streckte wurde seitens der Geschäftsleitung die Gelegenheit genutzt, einige eingefahrene Wege zu verlassen und die Weichen in der Firma neu zu stellen, wie sie von den firmeneigenen Lobbyisten langfristig vorbereitet worden waren. Sehr viel später erfuhr Frank-Peter Sommer auf der Handwerkermesse „eva“ von einer Vertreterin der Softwarefirma: „Ach ja, sie waren doch derjenige, der in dieser Firma die Software zum Laufen gebracht hatte und als alles lief, hat man sich ihrer entledigt“. So wurde das Geld für die sicher sehr teuren Lizenzen des CAD-Programms gekürzt und sein Arbeitsplatz gestrichen. Seine über die Stechkarte nachweisbaren Überstunden konnte er nicht mehr abfeiern, bekam dafür auch keinen finanziellen Ausgleich. Etwa drei Arbeitstage musste er so dem Unternehmen schenken, das nicht einmal ein Dankeschön für sein Engagement übrig hatte. Heute werden in Deutschland Arbeitnehmer wegen des Verzehr einer Maultasche, die sonst in den Müll wandert oder eines eingelösten Pfandbons von weniger als einem Euro fristlos gekündigt, hier bemächtigt sich der Arbeitgeber an etwa fünfundzwanzig Stunden geleisteter Arbeitszeit zum Nulltarif, ohne das rein rechtlich die gleichen Normen wie für Arbeitnehmer gelten. Für Frank-Peter Sommer war es schon die zweite Erfahrung dieser Art, diese jedoch eher in einer für ihn banalen Größenordnung.
Die erste Erfahrung dieser Art hatte Frank-Peter Sommer, als er bei einer kleinen Elektrofirma arbeitete. Im Radio hörte er vom Fachkräftebedarf einer Elektrofirma, reagierte sofort und meldete sich beim Radiosender. Dort bekam er die Firmenanschrift, telefonierte umgehend mit dem Firmeninhaber und wurde eingeladen. Die Firma bestand neben dem Chef Otto Hermenau und dessen Ehefrau, welche die Buchführung übernommen hatte, aus einer Sachbearbeiterin, einer Praktikantin als Sekretärin, aus einem selbstständigen Mitarbeiter Falk Schuster, der neben seiner eigenen Selbstständigkeit 30 Wochenstunden ausschließlich für Antennen- und Telefonanlagen zuständig war und aus dem einzigen Elektriker Heinrich Keller. Ab und zu orderte der Chef noch die Hilfe des Sohnes des ehemaligen Firmeneigners Hilmar Keitel, dessen Namen die Firma noch verwendete und der seinerseits selbständiger Elektromeister war. Frank-Peter Sommer wurde auf der Basis einer 35-Stunden-Arbeitswoche eingestellt, natürlich mit sechs Monaten Probezeit. Mit Heinrich Keller war er also in dem Zweimannteam, das für vier unproduktive Planstellen die Kosten einspielen durfte. Seine Lohnkosten wurden zum überwiegenden Teil von der Arbeitsagentur getragen. Otto Hermenau war ein absoluter Pedant, der mit unrealen zeitlichen Vorgaben seine mangelhafte Kompetenz mehr als einmal unter Beweis stellte. Der Chef hatte auf den Baustellen niemals selbst mit gearbeitet, nur hin und wieder war er zu Kontrollen erschienen. Auf einer Baustelle eines seiner Bekannten wurde das gesamte für diese Baustelle zu verwendende Material in einem der Kellerräume eingelagert, die Baustelle aber immer wieder für eine oder zwei Wochen verlassen, weil der Bauherr den überwiegenden Teil der Bauarbeiten in Eigenleistung realisierte. Frank-Peter Sommer erfuhr durch seinen Kollegen, dass Otto Hermenau fast einen ganzen Tag seine beiden Büromädels sämtlich Lieferscheine für diese Baustelle durchsuchen ließ um am Ende festzustellen, dass ein Kleinteil von etwa 40 Cent verschwunden war. Die obligatorische Reaktion des Chefs war ein winziger Zettel in der für Frank-Peter Sommer bestimmten Ablage, auf der „bitte Rücksprache“ stand, oder in diesem Fall: „wo ist das Material mit der Bestellnummer xyz?“. Die Nummer sagte ihm nichts, er hatte das Material weder bestellt noch eine Übersicht, welche Bestellnummern die einzelnen Artikel hatten. Frank-Peter Sommer ignorierte erst einmal diesen unsinnigen Zettel, zumal die Rücksprachen in der Regel bedeuteten, dass nach Feierabend in der Firma angetanzt werden durfte. Die Schreibweise auf dem Zettel wurde aggressiver, die Rücksprache wurde zwingend vom Chef verlangt. Nun erfuhr