Der falsche Schah. Leonhard F. Seidl

Der falsche Schah - Leonhard F. Seidl


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jetzt den Kürbis.“

      Er nimmt ihn mit einer fahrigen Bewegung, lässt ihn fast wieder fallen.

      „Vorsicht!“

      Umfasst ihn fester.

      „Auf den Stuhl.“

      Er kraxelt auf den Hocker. Rutscht ab. Der Kürbis fällt runter. Er schaut zum König. Zu seinem Kollegen. Hebt den Kürbis auf. Schafft es irgendwie, samt Kürbis auf den Barhocker zu klettern. Schnauft rasant, sein Brustkorb hüpft auf und nieder.

      „Neeeiiiin“, sagt der König langsam, souverän, fast flüsternd, zeigt majestätisch auf den Kleinen.

      Dem seine Füße schlackern und man sieht, wie er versucht, seinen Hintern anzuspannen, damit man nicht sieht, wie sie schlackern.

      Der König sagt: „Runter!“

      Der Kleine macht eine Kniebeuge, bis zu den Fersen. War da soeben ein Grinsen auf dem gehässigen Mund des Großen?

      „Treten Sie herunter!“, befiehlt der König.

      Zackig hüpft der Kleine runter auf die Fliesen. Die Haxen knicken ein. Schmerzverzerrter Gesichtsausdruck. Der Kürbis hüpft davon. Unterdrücktes Stöhnen. Versuch, stramm zu stehen.

      „Den Kürbis!“

      Dem Kleinen seine Augen folgen dem König seiner Hand. Der malt mit seinem Zeigefinger Kreise, vom Boden bis zur Decke, weil es gar so schön ist; und der Kleine folgt mit seinem Blick. Als hätt der König einen glühenden Stecken in der Hand und würd damit in der Dunkelheit bunte Bilder malen. Der Kleine schwankt und der König weiß, dass der Kleine gelernt hat zu gehorchen, und sagt, wieder ganz langsam: „Guuuut.“

      Was dem Kleinen ein entspanntes Lächeln auf die Lippen zaubert.

       Ernennung zum Oberst

      Wie so oft in den Rothenburger Gassen, hat an einem heißen Sommertag ein Krieg zwischen den Christen- und Judenkindern getobt. Ganz in der Nähe der Judengasse 10, wo im Mittelalter die Juden in der Mikwe, einem Tauchbad, die Treppen runtergestiegen sind, um sich im Wasser zu reinigen. Jetzt sind sich da zwei Banden auf dem Schulhof der Jakobsschule, wo der Vater vom König Direktor gewesen ist, gegenübergestanden. Aufgehetzt vom Kirchenvater Augustinus und der schiefen Auslegung der Bibel. Die Tauben auf dem Dachfirst und auf den kleinen Fenstern mit Dacherl waren die einzigen Zeugen, faul von der Hitzen haben sie nicht einmal gegurrt, sondern nur hin und wieder auf die Schule geschissen.

      Das Peterle, seines Zeichens Sohn des Stadtbauers Adalhard Mohrenstecher und der Stadtbäuerin Hannahle, hat den Angriff wie ein Feldhauptmann gestartet und die jüdischen Nachbarskinder aus seinem großen Maul angebrüllt als würd er sich jetzt schon auf das abgemagerte Tausendjährige Reich einstimmen: „Ihr Jude, ihr hebt den Heiland ans Kreiz gschlooche!“

      Die heiße Luft hat über dem Kopfsteinpflaster gezittert.

      Der König steht, wie immer, zwischen den Fronten, weil er in beiden Schützengräben Spielkameraden gehabt und die Bibel genau studiert hat. Und da drin ist eindeutig gestanden, dass dem Jesus sein Tod und seine Auferstehung passiert sind, um die Schuld aller Menschen auf sich zu nehmen. Die große, allumfassende Versöhnung. Auch wenn der König nicht wirklich daran geglaubt hat, weil er jeden Tag das Gegenteil gesehen hat; wie jetzt eben auch wieder.

      „Mir?“, hat der Isaak zurückgebrüllt, dass seine schwarzen Locken nur so gewackelt haben. „Mir? Naa, do weiß i nix! Des misse die draußen von der Adam-Hörber-Straße gwese sei!“

      Das Peterle ist auf den Isaak zugegangen, seine Kreuzritter sind nachgerückt wie ein kampfeshungriges römisches Heer. Weil der König nicht gewusst hat, was er tun soll, hat er sich angesichts der drohenden Blutsuppe innerlich gewunden wie der Turm der Schule vor ihm. Zu seinem Glück ist aus der Jakobsschule eine eindringliche, befehlende Stimme gedrungen.

      Der Bladdntoni, der Bauer von der Frankenhöhe, aus Dombühl, hat genau in dem Moment auf der Herrngasse nebendran seinen Hut abgesetzt, um sich mit einem Taschentuch die glänzende Glatze zu polieren. Und auch dem seine Ohrwascheln haben die Befehle aus der Schule deutlich vernommen. Er hat den König ein paar Meter weiter stehen gesehen und ihn gefragt: „Wos is denn do drinne los? Worum werd denn do so plägt?“

      Der König hat die zwei Armeen beäugt, die kurz davor waren, übereinander herzufallen. Freilich hat er gewusst, dass der Lehrer Bücklibock da drin die älteren Pennäler herumkommandiert. Trotzdem hat er gesagt: „Da drin werden Affen dressiert. Wenn S’ a Zehnerle zahlen, können Sie’s sehen.“ Dabei hat er das Wort „Zehnerle“ genau so betont, dass die Betonung dem Bladdntoni nicht aufgefallen ist, die Gotteskrieger es aber gehört haben. Und schon haben die daran gedacht, dass man das Zehnerle in zuckersüß-salzigen Bärendreck umsetzen könnt.

      „Des guck i mir ou“, hat der Kuhbauer begeistert gesagt und mit seinen Wurstfingern ein Zehnerle aus seinem Geldsack gefischt. Und es dem König in die Hand gedrückt. Dann ist er ins Schulhaus gestürzt, wo es nach feuchtem Schwamm, Kreide und dem Schweiß der Schüler gerochen hat. Schwer keuchend ist er die Wendeltreppe rauf und hat an die Tür vom Klassenzimmer geklopft. Aufgemacht hat ihm der Lehrer Bücklibock, der dem Lehrer Lämpel aus „Max und Moritz“ wie aus dem Bilderbuch geschnitten war, haarscharf, bis zur Meerschaumpfeife am Feierabend.

      „I mechet …“, hat der Bauer gestottert. „Ja … Wo sind etz do die Affe, die wo dressiert werde? Die will ich sehe!“

      Der Bücklibock ist sich vorgekommen wie der Tierpfleger vom Tiergarten in Nürnberg, was, unter uns gesagt, schon öfter vorgekommen ist. Trotzdem hat er versucht, die Haltung zu bewahren und nicht zu sehr wie ein Blasebalg in der Schmiede zu schnaufen. Auch weil der Bauer vom Treppenrennen schon so exaltiert inhaliert und gepustet hat und der Bücklibock darum gemeint hat, da steht ihm sein asthmatisches Spiegelbild gegenüber. „Ja, was glauben Sie denn … Sie!“, hat der Bücklibock gepoltert.

      Das hat der Glatzentoni kapiert und ist wieder nach unten gestürmt, um sich den „Schmalzrussen“ zu schnappen. Dem Bücklibock sein „Bauraseggl!“ hat er nicht mehr gehört.

      Der König ist derweil feierlich von der christlich-jüdischen Armee zum „Oberst“ ernannt worden. Und die ist jetzt vereint vorgerückt, um in der Georgenapotheke am Markt die Gläser mit Bärendreck zu erobern.

      Weil der Bauer noch einmal umgedreht ist und dem Bücklibock den König mit seiner markanten Erscheinung beschrieben hat – tiefschwarze Haar, buschige Augenbrauen, ein schmales, kantiges Gesicht und eine große Nase; weshalb ihn manche auch für einen Juden gehalten haben –, war klar, dass der König früher oder später bestraft werden wird, ob der Lehrer Bücklibock nun gewusst hat, dass er der Oberst war, oder nicht. Womit der König extra gerechnet hat, war, dass der König Senior, der Herr Direktor, den Lehrer Bücklibock, der aus Ulm stammte, extra angewiesen hatte, mit dem Bartholomäus besonders hart ins Gericht zu gehen. Weil: Sohn vom Direktor. Und alle sollten sehen, dass er daraus keinen Vorteil ziehen konnte.

      Der Bartholomäus König hat geahnt, dass ihm der Herr Lehrer eine Abreibung mit dem spanischen Röhrle verabreichen würde. Und da traf es sich sehr gut, dass am Vortag Schlachttag gewesen war.

      Am Schlachttag hat die Stadtbäuerin Hannah Mohrenstecher aus der Wenggasse, wo es damals noch viele Stadtbauern gegeben hat, mit dem großen Fleischermesser einer massigen Sau den Hals aufgeschnitten. Das dunkelrot-schwarze, dampfende Blut rann aus dem Schnitt und in den Kiebel, wo das Hannahle sofort damit begann, den riesigen Kochlöffel zu rühren. So blieb der „Blutbapp“, wie sie es den Kindern erklärte, am Kochlöffel hängen und klumpte nicht. Die Kinder hatten die Sau übrigens irgendwann, als sie noch kleiner, aber schon eine Sau war, „Hieronimus“ getauft, nach dem Herrn Direktor, der damals noch der „Herr Lehrer“ gewesen ist

      In einem aufwendigen Prozedere, in das die ganze Familie involviert war, produzierte die Stadtbäuerin dann aus dem Schweinefleisch, dem Blut und dem Darm der armen Hieronimus Würst. Was die arme Hieronimus nicht wusste, war, dass dem


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