Der falsche Schah. Leonhard F. Seidl

Der falsche Schah - Leonhard F. Seidl


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und damit dem Schmerz der Entfremdung zu gewinnen. Und Raum für all die Bilder aus seiner Realität, die sich nun zu einem Ganzen fügten: seine glatzköpfige, bärtige Mutter und er, der nicht mehr er war.

      Was für ein Kraft entstand aus dieser Kombination, aus dieser Erkenntnis: eine Mutter, deren zwanghafte Ordnung durch einen Bart und eine Schere zunichte gemacht worden war und damit auch ihre Macht über ihn. Die ihre Herrschaft nicht nur durch Schere und Kamm ausgeübt hatte, sondern durch den alltäglichen Zwang, penible, preußische Ordnung zu halten, obwohl sie doch aus Oberbayern stammten und jetzt in Franken lebten. Ja, es steckte eine enorme Kraft in dieser Erkenntnis, eine Art Freiheit, die durch die Veränderung des Äußeren, ja, des Menschen Bartholomäus König entstanden war.

      Ab jenem Tag trug der Barholomäus diese Kraft in sich und ich traue mich zu behaupten, dass er an diesem Tag zum König wurde, der im Laufe seines Lebens danach strebte, dieses Sein zu perfektionieren.

      Der gleichaltrige Schah-Sohn, zu dem der König zu Fuß mindestens 800 Stunden und wahrscheinlich noch viel länger unterwegs gewesen wäre, bereitete sich indes auf die Feierlichkeiten zur Ausrufung seines Vaters zum Schah von Persien vor. Auch er saß vor einem Spiegel, seine Augenbrauen wurden mit einem Faden gezupft, was ihm ebenfalls die Tränen in die Augen trieb, aber er wusste: Würde auch nur eine davon aus seinen Augen rollen, durfte er sich der scharfen Rüge seiner Kinderpflegerin gewiss sein.

      Während sich der König nach seinem Initiationsritus noch in seiner Erleuchtung sonnte, ging die Tür zum Bad auf. „Mutti, i hob die Stell! Direktor werd i!“, rief König Senior in urwüchsigem Altbairisch, das er vor seinen Mitmenschen zukünftig, als der Herr Direktor, tunlichst zu verbergen suchte. Genau wie König Junior seine Fähigkeit zur Mimikry.

      „Der junge Herr wird uns noch vor manches Rätsel stellen“, fällt mir da spontan ein. Also genau das, was Generalfeldmarschall Moltke auch über Kaiser Wilhelm II. gesagt hat.

       Im Folterkeller

      Die schwere Holztür öffnet sich und der König glaubt erst gar nicht, was er sieht. Weil, es schaut so gemütlich aus. Ein gefliester Boden, umgeben von einer Steinwand, gar nicht kühl, kunstvoll. Und pfeilgrad: Licht! Er versucht, sich zu freuen und dann aber auch gleich wieder gleichmütig zu bleiben, weil: Licht war ja auch auf dem Rathausturm. Und wie sagte die Mutter so oft so bös: „Wer hoch steigt, fällt tief.“ Schaun wir mal.

      Der Kleine geht voran, hält ihm die Tür auf und der König reißt sich zusammen. Nicht bedanken, weil er ja der Schah von Persien ist und so einer bedankt sich nicht.

      Dann geht’s durch die nächste Tür nach draußen. Ein kühler Wind empfängt ihn auf der Terrasse des Burghotels, neben der Stadtmauer. Der Burgturm trotzig wie der König vor ihm, mit einem Brunnen, der früher die Durstigen mit Wasser versorgt hat oder auch nicht, weil er vielleicht noch gar nicht da war. Die Stadtmauer rechts, wieder Efeu. Links sein Taubertal, das kennst du ja schon und wirst du noch besser kennenlernen. In den Blumenrabatten Friedhofsflora: blutrote Gerbera. Der König macht den Mund auf und hört, wie trocken er ist. Hofft, dass nur er es gehört hat. Sieht das Fernrohr, das schlaff nach unten hängt, gen Tal. War er weitsichtig genug?

      Zwei Schritte die Treppen runter. Und es geht schon wieder durch die nächste Tür; wird noch kühler, immer weiter runter. Und vor allem wird es duster, enger, steil geht es die Stiege bergab. Vor und hinter ihm je ein iranischer Agent. Dicke, feuchte Mauern, durch die kein Schrei nach außen dringt. Kerzenflammen bringen das Treppenhaus zum Zittern. Und dann weiß er, warum sie ihn hierher gebracht haben, hat es vorhin schon gewusst.

      Was ihm als erstes ins Auge sticht in dem Gewölbe, ist das Rad, von einem alten Fuhrwerk, nicht größer als das Rad am Wagen des Scharfrichters. Unscheinbar steht es in der Ecke, unschuldig ausgestellt. Nur unterscheidet es sich von einem gewöhnlichen Rad, das vielleicht auch Blut an seinen Beschlägen haben könnte, von Viechern, die überfahren worden sind, von Igeln, Schnecken, Gewürm; es unterscheidet sich durch die messerscharfe, spitze Schneide, die an ihm angebracht ist, ausschaut wie fesches Beiwerk und dem Folterwerkzeug seinen nüchternen Namen nicht gegeben hat.

      Jetzt könnte ich einen schlechten Wortwitz machen und schreiben, der König fühlt sich wie gerädert. Aber nein, er ist grantig und sagt: „Meine Herren, verraten Sie mir, warum Sie mich, den Schah von Persien, an diesen unwirtlichen Ort bringen?“

      Der Kleine, noch ganz bubenhafter Lehrling, schaut den Großen an, schluckt, dass sein Kehlkopf wie eine Wasseramsel in der Schandtauber von Stein zu Stein hüpft. Jetzt nimmt der Große seine Sonnenbrille ab, was er schon längst hätte tun sollen. Der König schluckt, schluckt und schluckt, obwohl es nix zum Schlucken gibt, und versucht, sich das Schlucken nicht anmerken zu lassen. Aber: schwierig. Weil, das eine Auge ist blind, kein Glasauge, eher eine Weintraube, angeschrumpelt. Der Agent macht den Mund auf. Ein Goldzahn blitzt. Wirklich! Und sagt: „Yek as barat mi pazam, do wagab roqan daste base.“

      Der Kleine pfeift durch die Zähne, weil er, genau wie der König, verstanden hat: „Ich werde dir eine Suppe kochen, auf der sich zwei Handspannen Öl befinden.“ Und weiß, dass das eine Drohung ist.

      „Wo befindet sich Ihre Majestät, Farah Diba?“, fragt der König, nicht zu schnell und nicht zu langsam.

      „Die Schahbanu ist in Sicherheit“, sagt der Kleine, ein bisserl zu schnell.

      „Oder ist sie etwa hier drin verborgen?“ Der König zeigt auf eine wuchtige Figur, die in der Ecke steht. Mit einem zerklüfteten, von Streifen durchzogenen Holzgesicht und einer Art Krone, dem Messer des Rades nicht unähnlich. Auf einem massigen Korpus aus Stahl, vernietet, zusammengeschweißt, zwei Griffe zum Öffnen: die eiserne Jungfrau.

      „Öffnen Sie! Sofort!“, befiehlt der König.

      Der Lehrling springt, macht auf. Quietschend kommen Eisenstacheln zum Vorschein. Als hätte man einen Seeigel in der Mitte auseinandergerissen und sein Inneres nach außen gekehrt. Was man eben auf gar keinen Fall machen soll, das hat der König im Laufe seines Lebens gelernt: sein Inneres nach außen zu kehren.

      „Wenn Sie mir jetzt nicht unverzüglich mitteilen, wo sich Ihre königliche Majestät, die Kaiserin von Persien, befindet, dann werden Sie da drin …“ Er macht eine kunstvolle Pause, schwingt mit Finger und Arm wie ein Dirigent des Todes und zeigt wieder auf die Eiserne Jungfrau. „… da drin Platz nehmen!“ Dann geht er zu einem riesigen Kürbis, der auf einem Schemel abgelegt wurde, in einer Ausbuchtung der steinernen Wand, unter einem gemauerten Rundbogen. Wahrscheinlich liegt der Kürbis noch vom letzten Herbst da, Halloween hat’s ja damals noch nicht gegeben. König deutet darauf und sagt: „Wissen Sie, was das ist?“

      Der Kleine kriegt auf einmal so einen verträumten Blick, einen Glotzer, dass sich der König fragt, ob er was Falsches gesagt hat. Dann fällt ihm ein, warum. Er brüllt: „Kaka Kadu vielleicht?“

      Der Kleine zuckt zusammen, seine Mundwinkel beben. Bei dem Großen bewegt sich lediglich ein Haar an der Augenbraue, unter seiner kahlrasierten Glatze.

      Du musst wissen, dass Kaka Kadu persische Pfannkuchen sind, die mit Feigen und Zucker gegessen werden. Aus Kürbispüree und einem Hauch von Rosenwasser und Kardamom. Gebrutzelt werden die, ähnlich wie die Reiberdatschi, Baggers, Kartoffelpuffer, zu denen wir in einem der nächsten Kapitel noch kommen werden, wenn ein anderer arischer Führer Rothenburg besucht. Kaka Kadu kommen aus dem Norden des Iran, aus Gilan, wo der Kleinere herstammt und in den Reisfeldern umhergestreift ist wie der König unter den Apfelbäumen. Nur, dass man aus Äpfeln kein Mehl, wie aus Reis, machen kann – und daraus wiederum Kaka Kadu, die dem Kleinen seine Großmutter immer gemacht hat –, sondern Apfelmus, zum Kaiserschmarrn.

      „Nehmen Sie den Stuhl“, sagt der König zu ihm.

      Der Kleine rennt zum angewiesenen Barhocker, nimmt ihn.

      „Und stellen ihn in die Eiserne Jungfrau!“

      Er schaut ihn fragend an. Versteht nur Bahnhof, weil er noch so jung ist und bei Jungfrau natürlich an ganz was anderes denkt.


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