Der falsche Schah. Leonhard F. Seidl

Der falsche Schah - Leonhard F. Seidl


Скачать книгу
ein Stellungskrieg, der auf dem Scheißhaus seinen Niederschlag fand, dass es im Plumpsklo nur so donnerte. Der König Junior wusste in so einem Fall, dass er seine Ruhe vor dem Tyrannen hatte, und der König Senior versuchte sich in der dunklen Ahnung, dass ihn der Tyrann Morbus Crohn, wie er ein paar Jahre später erfahren würd, in seiner Gewalt hatte.

      Auf alle Fälle schickte das Hannahle, wie es Brauch war, ihre Kinder mit den Würsten zum Herrn Pfarrer und eben zum Herrn Direktor am Eck vom Pfäffleinsgässchen. (Das mag jetzt ein bisserl verwirrend für dich sein, dass der Schuldirektor im Pfäffleinsgässchen gewohnt hat und nicht umgekehrt, aber in meiner Geschichte wird dich noch mehr verwirren, also fast wie im richtigen Leben.)

      Die Familie vom Herrn Direktor hat aber dazu noch eine Kanne voll Schweineblut gekriegt, das über Nacht im Holz-Eisschrank im Keller gelagert worden war. Das Hannahle hat nämlich gewusst, dass die Maria König gerne einmal einen Thüringer Blutkuchen backt, wie ihn ihre Thüringer Großmutter schon gemacht hat; mit Salzkartoffeln und Salzgurken natürlich. Was wiederum für dem Hieronimus seinen Darm, also dem vom Direktor – für den von der gleichnamigen Sau sowieso – einem gesalzenen Dolchstoß gleichkam. Für die Kinder in der Schule dagegen einem Friedensvertrag, weil der Herr Direktor, der ja auch unterrichten musste, dann extrem viel Zeit auf dem Häusl verbracht hat.

      Jetzt aber zurück zum König Junior, auf den das „Stäggele“ gewartet hat. Da die ganze Klasse schon gewusst hat, was ihm blüht – und ihm so manche Landeier nicht gerade wohlgesonnen waren –, war die Vorfreude nicht nur beim Lehrer Bücklibock groß, der prinzipiell eine rechte Zwiderwurzen war und ein strenges Regiment geführt hat. (Du siehst, die Zeichen sind in Rothenburg auch nach dem großen Krieg auf Krieg gestanden, als hätten die Leut daraus nix gelernt. Aber vielleicht ist das die bleibendste Eigenschaft der Menschen, dass sie aus der Vergangenheit nix lernen. Und vielleicht sind gerade die Deutschen da besonders erinnerungsresistent.) Beim König war es mehr seine Suche nach Freiheit, die ihn ein bisserl beratungsresistent ausschauen hat lassen, zumindest in den Augen vom Lehrer Bücklibock. Es war nämlich nicht das erste Mal, dass der beim König zum Stock gegriffen hat.

      Die Klasse hat also schon auf dieses Schauspiel gewartet wie die Leut heute auf den Tatort am Sonntagabend. Der Bücklibock hat seine Bücher, Kreide, Stifte und Hefte noch akkurater als sonst auf seinem Pult geordnet, was fast nicht ging, und den Rohrstock aus dem Schrank geholt. Absurderweise hat er ihn noch einmal demonstrativ mit seinem Stofftaschentuch geputzt.

      Dann sagt der Bücklibock genüsslich: „Bartholomäus König.“ Und die, bei denen die Freude groß ist, versuchen sie zu verbergen, damit ihr Name nicht als nächster ausgerufen wird.

      Der König dagegen spielt seine Rolle vorzüglich, angesichts der drohenden zwanzig Hiebe mit dem Stock. Hat er die letzten Jahre doch ordentlich Erfahrung in der Schauspielerei sammeln können: den Blick schuldbewusst zu Boden gewandt, die damals noch schmalen Schultern hängen lassen, wer es sehen wollte, hätte die Knie – beim Laufen! – schlottern sehen können. König selbst war das eigentlich zu dick aufgetragen, aber überzeugend war’s allemal. Schon ist er am Lehrerpult angelangt.

      „Bück dich“, sagt Bücklibock betont ruhig, „Schindluder lass ich keines mit mir treiben.“ Trotzdem errötet sein Schädel, als wäre er der gezüchtigte Hintern vom König. Und das, obwohl der Bücklibock ein hageres Mannsbild ist, ein Strich in der mittelfränkischen Landschaft, also weit entfernt vom Bluthochdruck aufgrund von Schäufele – für Nichtfranken: martialisch ausschauende Schweineschulter und Bier.

      König bückt sich wie befohlen, stützt sich mit den Ellbogen auf dem Pult ab. Bücklibock holt aus. Da schaut der König der Anna Krohn kurz in die Augen und sagt „Herr Lehrer!“, worauf dessen Kopf noch mehr errötet und alle gespannt die Luft anhalten.

      Bücklibock lässt den Stock wieder sinken: „Ja, König?“

      Das Holz knistert im Ofen, der Anna Kohn ihre türkisbraunen Augen funkeln.

      „Guten Morgen, Herr Lehrer.“

      Worauf die Klasse in ein derart deppertes Gelächter ausbricht, dass dem Bücklibock angesichts dieser anarchischen Gemütsäußerung der Schweiß auf der Stirn ausbricht. „Ruhe!“, brüllt er und es ist Ruhe.

      Alle wissen, dass König einen riesigen Fehler begangen hat. Denn Bücklibock holt aus, wie er noch nie ausgeholt hat. Der Stock zischt surrend auf Königs kleinen Hintern nieder, der Schmerz lässt ihn zusammenzucken und das Gesicht verziehen wie seine Mutter, wenn sie irgendwo Unordnung entdeckt hat.

      Der Bücklibock holt wieder aus, wieder ein Zuckerer. Auf einmal hält der Lehrer zum Erstaunen der Schüler inne. Schaut am König hinunter und hält sich die Hand vor den Mund. Und dann sehen es alle: Ein Blutstrom rinnt aus Königs Hose und zeichnet eine immer länger werdende rote Spur der Gewalt durch das Klassenzimmer.

      Es ist jetzt so leise, dass man den Bücklibock schnaufen hört, sein Stridor pfeift durch das ganze Zimmer und entlarvt ihn als Asthmatiker. Seine Hand zittert immer stärker. Der Stock fällt zu Boden. Und der Bücklibock sagt leise, ja schon fast andächtig: „Geh heim, Bub.“

      König schnappt sich Jacke, Tornister und Schiefertafel, rast aus dem Zimmer und denkt sich: Pfiffkas!

      Die Anna Kohn schaut ihm verwundert hintennach.

      Der König prescht die Straße hinunter. Dass der Dreck hinter ihm nur so staubt in der Hitzen. Die Schweinsblasen, in der das Blut von der Stadtbäuerin gewesen ist, das jetzt der Wilpert Heinz vom Fußboden des Klassenzimmers schrubben muss, holt er aus der Hosentasche seiner kurzen Lederhosen und schmeißt sie in den Graben. Neben einen toten Hund.

       Schreckung der Eisernen Jungfrau

      Der Kleine schaut den König aus seinen großen gebräunten Augen an wie ein Bub, der das erste Mal in seinem Leben von seinem Papa gelobt worden ist. Sein Schnurrbart vibriert wie der von einer schnurrenden Katze. Und der König muss an Farah Diba denken. Freilich wegen der Augen und nicht wegen dem Schnurrbart. Aber er muss sich jetzt zusammenreißen. Also brüllt er: „Den Kürbis!“

      Und den Bubi reißt’s. Sein Schnurrbart wackelt. Der Große, Einaugige, oder besser gesagt, der mit dem verrunzelten Einauge, zündet sich eine Zigarette an. Rauch steigt auf als wär er Luzifer.

      „Sofort!“, legt der König nach.

      Der Kleine nimmt den Kürbis in seine feingliedrigen Finger, ohne den Blick vom König zu wenden.

      „Auf den Stuhl!“

      Wie ein rohes Straußenei setzt er den Kürbis auf den Barhocker. Der Kürbis schwingt hin und her. Das Schwingen schwingt durch die Stille des feuchten Kellergewölbes. Der Kleine hebt die Hand. Hält die Luft an. Geht erst wieder weg, wie der Kürbis ganz ruhig dasteht.

      „Was ist nun zu tun?“, fragt der König den Großen, setzt sich auf einen anderen Schemel und wartet.

      Der Große nimmt einen Zug von seiner Zigarette, bläst sie dem Kleinen ins Gesicht, der zu husten anfängt. Kraftvoll wirft er den glimmenden Stumpen auf den Boden und zermalmt ihn mit der Sohle seiner glänzend schwarzen Halbschuhe. Dann tritt er vor die Eiserne Jungfrau. Betrachtet sie. Fast unmerklich holt er mit der Hand aus, schlägt die Tür zu. Ratsch! – fahren die Stacheln ins Fleisch. Markdurchdringend. Sogar der König muss sich zusammenreißen, nicht zusammenzufahren.

      Bis Einauge sagt: „Har ki ke sebil dare, pedar-e man nist.“

      Was der König insgeheim übersetzt: „Nicht jeder, der einen Bart hat, ist mein Vater.“ Er weiß, dass der Spruch an den Kleinen gerichtet ist und dass nicht alle, die Hörner führen, Jäger sind.

      Und dann passiert erst einmal gar nix. Obwohl der König den Großen anschaut. Seine Glatze, seine Sonnenbrille, die Narbe auf der Backe, aus der die Spitze des Wangenknochens drückt. Mit ihm hat er einen ganz schön zähen Hund erwischt. Aber was will er von einem Agenten des iranischen Geheimdienstes SAVAK auch anderes erwarten? Nicht umsonst hat seine Tochter Aurelia gegen ihn demonstriert. Das Hannahle, das ihr


Скачать книгу