Nationalsozialismus und Holocaust – Materialien, Zeitzeugen und Orte der Erinnerung in der schulischen Bildung. Группа авторов
(7.4.2021).
6 https://www.ueber-leben.at/home (7.4.2021).
7 https://www.weitererzaehlen.at/ (7.4.2021).
8 https://iwitness.usc.edu/SFI/ (7.4.2021).
9 https://sfi.usc.edu/dit (7.4.2021).
10 http://www.erinnern.at/bundeslaender/oesterreich/lernmaterial-unterricht/antisemitismus (7.4.2021).
11 https://www.fluchtpunkte.net/ (7.4.2021); 2020 wurde das Lernmaterial „Fluchtpunkte“ als digitales Bildungsmedium mit hohem pädagogischem Wert mit der „Comenius-EduMedia-Medaille“ prämiert.
12 IHRA-Handbuch „Empfehlungen für das Lehren und Lernen über den Holocaust“ (2019). Download unter: https://www.erinnern.at/themen/e_bibliothek/artikel/empfehlungen-fuer-das-lehrenund-lernen-ueber-den-holocaust-ein-ihra-handbuch (7.4.2021).
Adelheid Schreilechner
Nationalsozialismus und Holocaust als persönliche und schulische Herausforderung. Erfahrungen von Lehrerinnen und Lehrern in Österreich und Israel
Seit dem Jahr 2000 ermöglicht _erinnern.at_ im Auftrag des Bildungsministeriums Gruppen von Lehrenden die Teilnahme an Weiterbildungsseminaren zu den Themen Holocaust und Holocaust Education in Israel. In den ersten Jahren fanden diese Seminare ausschließlich in der International School für Holocaust Education in der staatlichen Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem statt. Auf der Suche nach ergänzenden Perspektiven wurde das Programm auf das Center for Humanistic Education (CHE) im Beit Lochamej haGeta’ot, dem Haus der Ghettokämpfer und des ältesten israelischen Holocaust-Museum, ausgedehnt. Lochamej haGeta’ot ist ein Kibbuz in Nordisrael und wurde 1949 von Überlebenden des Aufstands im Warschauer Ghetto gegründet. Das CHE gibt es seit 1995, und es verfolgt in der Beschäftigung mit dem Holocaust einen universalistischen Ansatz. Jüdische und arabische Lehrende arbeiten dort mit jüdischen, arabischen und drusischen israelischen Jugendlichen.
Im Laufe der Jahre wurden die zwei jährlich stattfindenden Seminare in Israel in Lehrgänge eingebettet. Einer davon findet an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich statt, der zweite an der Pädagogischen Hochschule Salzburg, jeweils in enger Kooperation mit _erinnern.at_. Die Durchführung im Rahmen von Hochschullehrgängen erhöht die Verbindlichkeit in der vor- und nachbereitenden inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Thematik, vor allem im Sinne des Transfers in die Schule. Darüber hinaus erhalten die Teilnehmerinnen und -nehmer ECTS-Punkte für diese hochwertige Weiterbildung, die sie sich in unterschiedlichen Aus- und Weiterbildungskontexten anrechnen lassen können.
Im Jahr 2007 nahm ich selbst als Lehrerin an einem „Israel-Seminar“ teil. Es war meine erste Reise in dieses Land und zugleich mein erster Kontakt mit _erinnern.at_. Ich war von der Seminarreise ungemein beeindruckt. Das Thema und auch _erinnern.at_ ließen mich nicht mehr los. Seit damals bin ich Teil des Netzwerkes – als Mitarbeiterin in verschiedenen Projekten und als Begleiterin der Seminargruppen nach Israel. Darüber hinaus leite ich den oben erwähnten Lehrgang „Holocaust. Erinnerungskultur. Geschichtsdidaktik“, der an der Pädagogischen Hochschule Salzburg durchgeführt wird und in dessen Rahmen die Seminarreise nach Israel stattfindet.
In meinem Beitrag werde ich ausgehend von meiner persönlichen Erfahrung die Frage nach der Bedeutung von Erinnerung und Gedenken stellen. Ich werde Herausforderungen und Widersprüche skizzieren, mit denen sich Lehrpersonen im Unterricht über Nationalsozialismus und Holocaust gegenwärtig konfrontiert sehen. Daraus leite ich pädagogisch-didaktische Fragen ab, mit denen Lehrerinnen und Lehrer in die Fort- und Weiterbildungen von _erinnern.at_ kommen und mit denen sie an den Seminarreisen nach Israel teilnehmen. Daran anschließend führe ich Erfahrungen und Eindrücke aus, die die Teilnehmenden an den Gedenkstätten und Seminarorten in Israel sammeln und komme zu einem abschließenden Resümee in Bezug auf die pädagogisch-didaktische Bedeutung von Unterricht über Nationalsozialismus und Holocaust.
Drei persönliche Szenen zu Beginn
Mitte November, unmittelbar vor dem November-Lockdown im Corona-Jahr 2020, gehe ich durch die Linzergasse in Salzburg. Es ist Nachmittag, ein wenig dämmrig wird es schon. Ich bin gedankenverloren, ist doch noch einiges zu erledigen, wer weiß, wie lange die Geschäfte noch offen haben. Mich irritiert diese Zeit, in der viele Menschen mit Mund-Nasen-Schutz, manche auch ohne, eiligen Schrittes unterwegs sind, geradeaus schauen, einander ausweichen. Plötzlich fällt mein Blick auf ein Grablicht, daneben liegen Blumen. Und erst auf den zweiten Blick der Stolperstein. Ach ja, Gedenken an das Novemberpogrom! Da sind also Menschen in dieser seltsamen Zeit durch die Gasse gegangen, mit Blumen und Kerzen, haben sich hinuntergebeugt zu einem Stolperstein nach dem anderen. Diese Erinnerung an Menschen, die in der Shoah verschleppt und ermordet wurden, berührt mich in dieser Zeit ganz besonders. Sie reißt mich heraus aus der bedrückenden Gegenwart und lenkt meine Gedanken in eine noch viel bedrückendere Vergangenheit. Und ich frage mich, was ist das nun, das mir so nahe geht? Dass es Menschen gibt, die sogar in diesen Zeiten auf die Ermordeten der Vergangenheit hinweisen wollen? Dass ich wieder einmal daran denke, wie viele Menschen im Holocaust ihres Lebens beraubt wurden? So viele nicht zu Ende gelebte Leben! Oder ist es diese verstörende Zeit, in der ich momentan lebe, in der sich so seltsame, beängstigende Phänomene verbreiten – antisemitische Verschwörungstheorien, demokratiegefährdende Gedankenwelten, Wissenschaftskritik auf niedrigstem Niveau, krude Vergleiche von sogenannten „Querdenkerinnen und Querdenkern“ mit der NS-Zeit. Dazu eine Wirtschaftskrise, die noch keiner abschätzen kann. Und der pandemische Druck, der Menschen in die Isolation, in den Rückzug und in die Vereinzelung zwingt. Es ist mein emotionales Fenster, das für die Erinnerung an die Opfer der NS-Zeit gerade besonders weit geöffnet ist.
Szenenwechsel. Juli 2016, ich sitze im Seminarraum in Yad Vashem. Noa Mkayton, Leiterin des European Departments, erzählt über Rachel Auerbach, die 1946 davon sprach, dass es nationale Pflicht der Juden sei, die Wahrheit zu kennen und dass es außerdem deren Aufgabe sei, die Wahrheit auch den Nicht-Juden zu vermitteln. Sie hatte gemeinsam mit dem jüdischen Historiker Emanuel Ringelblum im Warschauer Ghetto ein Geheimarchiv zu jüdischem Leben angelegt und konnte es für die Nachwelt erhalten. Dieser historische Auftrag, das Wissen über jüdisches Leben und über das, was in der NS-Zeit geschehen ist, zu überliefern, trifft mich. Gibt es diesen gesellschaftlichen Auftrag, wirklich zu wissen, was in der NS-Zeit passiert ist, hierzulande auch? Das würde ja auch zwingend bedeuten, dass schonungslos offenzulegen ist, wer was getan hat. Täterforschung wäre das. Wer wovon wissen musste. Wer wovon profitiert hat. Auch wenn spätestens durch die sogenannte Waldheim-Affäre „die seit 1945 mühsam aufgebaute Lebenslüge“ von der Opferthese Österreichs „zerbrach“, wie Embacher und Reiter 1998 schreiben (Embacher, 1998, S. 256), so sind in der Mehrheitsbevölkerung der „Opfermythos“ und auch die Leistungen der erfolgreichen Aufbaugeneration nach 1945 immer noch ungleich stärker präsent als das Bewusstsein darüber, dass wir die Nachkommen der Täterinnen und Täter sind und in einer Tätergesellschaft