Wagnisse in aller Welt. Egon Erwin Kisch

Wagnisse in aller Welt - Egon Erwin Kisch


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an­kam. Aus den Ba­ra­cken von Sala­ti­ga, sechs­hun­dert Me­ter hoch, auf dem Hang des Mer­ba­boc, weit im In­nern von Java, de­ser­tier­te ein Mant­je na­mens Ar­thur Rim­baud; man fahn­de­te nach ihm, um ihm kur­z­en Pro­zess zu ma­chen, er irr­te um­her, und als der eng­li­sche Kar­go­damp­fer ihn auf­nahm und An­ker lich­te­te, mag er glück­se­lig die­sen Koh­len­kahn als trun­ke­nes Schiff emp­fun­den ha­ben.

      Ko­lo­ni­al­sol­da­ten, de­nen die Flucht nicht glück­te, schlen­dern durch den Nacht­be­trieb und be­ab­sich­ti­gen, sich schad­los zu hal­ten für Ex­er­zier­übun­gen auf dem Pa­ket­boot »Prins van Oran­je« und den Be­reit­schafts­dienst in den Ba­ra­cken von Sala­ti­ga, sechs­hun­dert Me­ter hoch auf dem Hang des Mer­ba­boc weit im In­nern von Java … Sie sind ma­ger und geil, und auf den Är­meln der Uni­form tra­gen sie einen gel­ben Strei­fen.

      Und uni­form, trotz ih­rer so ver­schie­den­fa­chen No­men­kla­tur, sind die Wirt­schaf­ten. Bar auf Bar, Pro­e­f­lo­kal auf Pro­e­f­lo­kal, Tap­pe­rij auf Tap­pe­rij, Sli­jte­rij auf Sli­jte­rij, auch der Gros­sist ver­kauft »per maat en per glas«, und auf je­dem Fens­ter ist an­ge­schrie­ben, dass der Aus­schank von Al­ko­hol be­hörd­li­cher­seits »ver­goe­nnt« und »star­ke dran­ken« zu kau­fen sind. Ams­tel Bie­ren, Hei­ne­kens Bie­ren und Pils­ner Ur­quell wer­den an­ge­prie­sen, die gu­ten hol­län­di­schen Schnäp­se ver­ste­hen sich von selbst.

      Dort schwär­men Chi­ne­sen, Ne­ger, In­der und Malai­en aus, dort ist kein »Ver­gun­ning« auf das Fens­ter der Ka­schem­men ge­malt, und hin­ter je­dem Ein­tre­ten­den schließt sich die Mat­te, auf dass der eu­ro­päi­sche Passant nicht sehe, was sich im In­nern voll­zieht, ob Ko­kain ge­schnupft wird, Opi­um ge­ges­sen, Ha­schisch ge­raucht, Lot­te­rie ge­spielt oder ha­sar­diert mit Do­mi­no­stei­nen und Wür­feln und schma­len Spiel­kar­ten­strei­fen.

      An den Spei­chern der Nie­der­län­disch-Ame­ri­ka­ni­schen Dampf­schiff­fahrts­ge­sell­schaft ha­ben Asi­ens Völ­ker ihr Kar­ree: At­jeh­straat, Lom­bokstraat, Su­ma­tra­weg und Veer­len, und die­ses Get­to der Asia­ten ist ein un­heim­li­cher Fleck, be­son­ders in den ers­ten Stun­den des Abends, da aus Zwie­licht, Däm­me­rung und Ne­bel jen­sei­ti­ge Ge­sich­ter em­por­schau­keln wie Ma­te­ria­li­sa­ti­onsphä­no­me­ne.

      Nie­mals kom­men sie aus den Ko­lo­ni­en her­über auf den Schie­dam­schen dijk. Was aber hat die­se Rad­au­stra­ße an der Mün­dung der Maas und des Rheins vor ih­rer Kol­le­gin an der El­be­mün­dung vor­aus? Sie hat vor ihr vor­aus, dass das deut­sche Ele­ment über­wiegt. Auf der Ree­per­bahn zu Ham­burg wird nicht so viel Deutsch ge­spro­chen wie auf dem Schie­dam­schen dijk zu Rot­ter­dam; Re­pa­ra­ti­ons­koh­le und Streik­bre­cher­koh­le schwimmt rhein­ab­wärts bis Rot­ter­dam, im Waal­ha­fen an­kert täg­lich eine Flot­te von Rhein­käh­nen, gi­gan­ti­sche Brücken­kra­ne der DEMAG (ihre Aus­le­ger rei­chen fünf­zig Me­ter über Kai­kan­te hin­aus) lö­schen sie, schwim­men­de Ele­va­tor-Trans­por­teu­re bun­kern die Stein­koh­le in die See­schif­fe.

      Ver­stummt am Abend das Klir­ren der Kran­ket­ten, das Stür­zen der schwar­zen Stei­ne, das Sur­ren der An­triebs­mo­to­ren, hört man in den Ha­fen­stra­ßen deut­sches Schif­fer­platt, und hun­dert Wirts­häu­ser lo­cken mit hei­mi­schen Na­men: »Düs­sel­dorf«, »Köln«, »Mainz«, »Duis­burg«, »We­sel« oder we­nigs­tens mit der Ver­si­che­rung: »Man sp­rigt Deutsch« – denn man sp­rigt Deutsch, wenn man’s auch nicht schrei­ben kann, »g« wird wie »ch« aus­ge­spro­chen –; der Krieg en­de­te, deut­sche Koh­le geht über Rot­ter­dam nach Eng­land, wo die Berg­ar­bei­ter hun­gernd strei­ken, und der deut­sche Schif­fer trinkt da­für auf dem Schie­dam­schen dijk stei­fen hol­län­di­schen Grog.

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      3 Ein me­cha­ni­sches Mu­sik­in­stru­ment mit dem Zweck, mög­lichst ein gan­zes Or­che­s­ter zu imi­tie­ren. <<<

      Den Kadi, mit des­sen wei­sem Spruch die Mär­chen aus Tau­send­und­ei­ner Nacht en­den, den gib­t’s im Ori­ent im­mer noch.

      Vie­le Stu­fen muss man vom Gou­ver­nements­platz hin­ab­stei­gen, um zum Ein­gang der Dja­ma-Dje­did, der größ­ten Mo­schee Al­ge­ri­ens, zu kom­men. Aber der Bau ist so hoch, dass die wei­ße Wöl­bung mit dem gol­de­nen Halb­mond wie­der hin­auf­ragt in das eu­ro­päi­sche Häu­ser­kar­ree und, eine zin­ne­num­rahm­te Halb­ku­gel, mit­ten dar­in liegt zwi­schen Han­dels­kam­mer, Rat­haus, Bör­se und Bron­ze­mo­nu­ment, fremd, alt, groß und ge­heim­nis­voll.

      Vom Platz aus führt ein schma­ler Sei­ten­ein­gang di­rekt in die Höhe der Kup­pel, man tritt in einen kah­len Vor­raum, ge­gen­über der Türe ist ein eben­so kah­les Käm­mer­lein, links geht’s zur Ma­hak­ma, der Ge­richts­stu­be, wo der Kadi am­tiert, seit drei­hun­dert Jah­ren in dem­sel­ben Raum, seit tau­send Jah­ren auf die­sel­be Art.

      Lie­ße sich den­ken, ein Kadi sei jung? Nun, un­se­rer ist alt, un­ter sei­nem wei­ßen Bart schlingt sich der wei­ße Licham um den Hals, als gäl­te es je­den Au­gen­blick, ihn vor den Mund zu le­gen, um sich vor dem Sa­mum zu schüt­zen. Des Ka­dis Stirn ver­schnürt ein gold­durch­wirk­tes Tur­ban­tuch, und die gol­de­ne Bril­le gibt ihm, der Ach­tung von Amts we­gen ge­nießt, über­dies das An­se­hen tiefer Buch­ge­lahrt­heit.

      Er sitzt in brei­tem Stuhl auf ei­nem Po­di­um, die brau­ne Tä­fe­lung der Wand lie­fert ihm den Hin­ter­grund – zu der Ka­li­fen Zei­ten mag der Richter­stuhl ein Thron ge­we­sen und die Dra­pie­rung der Wand von ei­nem Tep­pich ge­bil­det wor­den sein, da­mals fehl­te wohl die Bar­rie­re, die den Ge­richts­hof vom Volk der männ­li­chen Klä­ger, männ­li­chen Be­klag­ten und männ­li­chen Zeu­gen trennt; die weib­li­chen sind da­hin­ter in den kah­len Raum ge­pfercht, und nur durch Git­ter­fens­ter dür­fen sie, die tief Ver­schlei­er­ten, den Gang der Ver­hand­lun­gen ver­fol­gen, und nur durch die Git­ter­stä­be er­he­ben sie Kla­ge, spre­chen sie Wor­te der Ver­tei­di­gung oder er­stat­ten sie Zeu­gen­aus­sa­ge.

      Nicht min­der ehr­wür­dig als der Kadi: die bei­den be­tur­ban­ten Hilfs­rich­ter zu sei­nen Fü­ßen. In bei­na­he de­muts­vol­lem Tone brin­gen sie ihre Ein­wän­de vor, der Muf­ti rechts die be­las­ten­den,


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