Das letzte Echo des Krieges. Der Versailler Vertrag. Susanne Brandt

Das letzte Echo des Krieges. Der Versailler Vertrag - Susanne Brandt


Скачать книгу
in WilsonsWilson, Woodrow Arbeitszimmer, insgesamt für 148 Sitzungen.79 Die Großen Vier versprachen sich eine reibungslosere Koordination, eine bessere Geheimhaltung sowie schnellere Entscheidungen; vor allem schwächten sie den Einfluss der Militärs, die nur noch auf Einladung als Ratgeber gehört wurden. Die Außenminister der vier Mächte sowie die japanischen Vertreter waren in einem neuen Rat der Fünf für die Fragen zuständig, die der Rat der Vier ihm überantwortete.80 Bereits einen Monat später, am 24. April, nahm der italienischeItalien Präsident OrlandoOrlando, Vittorio Emanuele nicht mehr an den Gesprächen teil. Nach einem großen Eklat verließ er ParisParis und kehrte erst im Mai an den Verhandlungstisch zurück, im Juni 1919 besiegelten Wahlen sein politisches Schicksal.

      Unterhalb der Räte waren fast 60 Ausschüsse tätig, in denen Vertreter der Großmächte und der übrigen Siegerstaaten Informationen zusammentrugen, Probleme erörterten und Berichte verfassten. Ihnen gingen vielköpfige Beraterstäbe zur Hand. Fünf Kommissionen wurden eingesetzt, die sich mit dem Völkerbund, Kriegsverbrechen, Reparationen, den großen europäischen Wasserstraßen und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) befassten. Den Ausschüssen kam bisweilen erhebliche Bedeutung im Hinblick auf Einzelheiten der inhaltlichen Gestaltung sowie der endgültigen Formulierung zu. Besonders deutlich zeigt sich das in dem am 25. Januar 1919 eingesetzten Ausschuss, der sich mit den Reparationen befassen sollte. Obwohl seine Aufgabe nur darin bestand, die deutsche Zahlungsfähigkeit zu prüfen und die zu zahlenden Leistungen zu erörtern, wurde der umstrittene Artikel 231, der sogenannte Kriegsschuldartikel, in diesem Gremium formuliert.81 Vertreter der anderen zu den Siegermächten zählenden Staaten wie BelgienBelgien, PolenPolen, das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen oder die TschechoslowakeiTschechoslowakei wurden in den vom Zehnerrat eingesetzten Unterkommissionen vor allem in strittigen Grenzfragen angehört.82 Die Koordinierung der Tätigkeit der vielen Ausschüsse und die Zusammenfassung ihrer Ergebnisse stellte oftmals eine große Herausforderung dar.83

      Die Konferenz fand unter großem Zeitdruck statt. In einem Monat verließen 300 000 amerikanische Soldaten Europa, so dass im August 1920 alle Truppen abgezogen sein würden.84 Das schwächte die Alliierten, die bislang noch drohen konnten, militärisch einzugreifen, wenn die Deutschen den Vertrag nicht unterzeichneten. Die französischen und britischen Soldaten waren müde – zwar wurden viele von ihnen als Besatzungstruppen nach Deutschland oder an neue Einsatzorte nach PolenPolen, RusslandRussland und in den Nahen und Mittleren Osten verlegt, aber ihr Wunsch, heimzukehren, ist aus Soldatenbriefen deutlich herauszulesen.85 Die Politiker wussten, dass ihre Truppen und die Zuhausegebliebenen eine Fortsetzung der Kämpfe nur mit sehr überzeugenden Argumenten akzeptieren würden. Die Menschen in den zerstörten Gebieten NordfrankreichsFrankreich und BelgiensBelgien warteten sehnsüchtig auf den Wiederaufbau, die Gläubiger forderten die Rückzahlung der Schulden. Die Erwartungen an die Friedensmacher waren immens: Die Menschen in der Heimat wollten schnell ihre zum Teil sehr angespannte Lage überwinden. Auch der Bürgerkrieg in RusslandRussland übte großen Druck aus, denn die Ereignisse ließen die Konferenzteilnehmer fürchten, dass der Bolschewismus auf die Staaten in Ost- und Mitteleuropa übergreifen könne, wenn die Konferenz keine schnellen und zufriedenstellenden Lösungen erarbeitete.

      Zu guter Letzt gab es Ereignisse, die sich ohne Zutun der Siegermächte entwickelten, jedoch die Debatten berührten und Stellungnahmen erforderten: Als der Oberste Kriegsrat am 12. Januar 1919 zum ersten Mal zusammentrat, war PolenPolen bereits wieder neu entstanden, FinnlandFinnland und die baltischen Staaten EstlandEstland und LitauenLitauen befanden sich auf dem Weg in die Unabhängigkeit, ebenso wie die TschechoslowakeiTschechoslowakei, und SlowenienSlowenien, KroatienKroatien und SerbienSerbien hatten sich zu einem Königreich vereint.86 Diese Staatsgründungen zogen Territorialkonflikte nach sich, weil das von WilsonWilson, Woodrow versprochene Selbstbestimmungsrecht der Völker nicht immer umgesetzt werden konnte.

      Obwohl eine Vielzahl von Delegierten, Diplomaten, Beratern und Sachverständigen in ParisParis zusammenkamen, waren es vor allem drei Männer, die Entscheidungen trafen und die wichtigsten Kompromisse erarbeiteten. Die Großen Drei und ihre wichtigsten Berater waren grundverschiedene Persönlichkeiten. Der Sozialist ClemenceauClemenceau, Georges (1841–1929), im Krieg respektvoll »Tiger« genannt, war 1917 im Alter von 76 Jahren vom französischen Präsidenten PoincaréPoincaré, Raymond zum Ministerpräsidenten und Kriegsminister ernannt worden. Seinen Spitznamen verdankte er seinem Mut, denn er war zugleich kampfeslustig und unnachgiebig. Er hatte nicht nur mit eiserner Hand gegen Meuterer und Deserteure in der französischen Armee gekämpft, sondern mit ebensolcher Entschlossenheit gegen die Mittelmächte. ClemenceauClemenceau, Georges galt als Vater des Sieges, und er war entschlossen, in den Friedensverhandlungen den Sicherheitsbedürfnissen FrankreichsFrankreich oberste Priorität einzuräumen.

      Seine Forderung nach der Schaffung eines autonomen RheinlandesRheinland war dem Wunsch geschuldet, FrankreichFrankreich vor einer deutschen Aggression zu bewahren. Auch seine Unterstützung der an Deutschland grenzenden neu entstandenen Staaten im Osten, etwa PolensPolen und der TschechoslowakeiTschechoslowakei, entsprang seinem Schutzbedürfnis. FrankreichFrankreich unternahm außerdem während der Konferenz, aber auch in den Jahren danach, alles, um den Bolschewismus zu isolieren. RusslandRussland wurde mit einer Pufferzone aus kleineren Ländern umgeben, wobei noch wichtiger war, dass diese Staaten auch ein Gegengewicht zu Deutschland bildeten. Für den Fall eines wie auch immer gearteten Bündnisses oder Arrangements zwischen Deutschland und RusslandRussland sollten sie eine territoriale Barriere bilden.

      In vielen Fragen zeigte ClemenceauClemenceau, Georges sich kompromissbereit, denn ihm war bewusst, dass er ohne die Unterstützung der Briten und Amerikaner dieses wichtigste Ziel, FrankreichsFrankreich Sicherheit, nicht würde erreichen können. Er war ein Kämpfer: Eine Hautkrankheit verbarg er unter Handschuhen, und nach einem Attentat im Februar 1919, also während der Verhandlungen, kämpfte er sich mit ungebrochenem Willen an den Verhandlungstisch zurück. Er saß der Konferenz vor, und seinem beharrlichen Engagement war es geschuldet, dass die Sieger sich in ParisParis und nicht in einer neutralen Stadt, wie etwa GenfGenf oder LausanneLausanne, versammelten. Im Herzen des Landes, das am meisten erduldet und die heftigsten Kämpfe ertragen habe, so sein Argument, müsse der Frieden geschrieben werden. In ParisParis, inmitten der kriegszerstörten Landschaft, war die deutsche Schuld bewiesene Tatsache.87

      Doch der Kämpfer ClemenceauClemenceau, Georges war, wie die anderen Staatsmänner auch, abhängig von den Wählern und den Kabinetten in der Heimat sowie konfrontiert mit politischen Gegnern. ClemenceausClemenceau, Georges wichtigster Gegenspieler in den eigenen Reihen war Marschall Ferdinand FochFoch, Ferdinand, seit August 1918 der erste Oberbefehlshaber der alliierten Truppen und Urheber der erfolgreichen Offensive im Sommer 1918. FochFoch, Ferdinand verzieh ClemenceauClemenceau, Georges nie, dass er nicht als offizielles Delegationsmitglied an den Verhandlungen teilnehmen durfte. Der Marschall wurde nur zu Sitzungen eingeladen, in denen Sicherheitsfragen erörtert wurden. Auch das Verhältnis ClemenceausClemenceau, Georges zu Präsident PoincaréPoincaré, Raymond war kompliziert, da es vonseiten des Präsidenten von Neid und Konkurrenzgefühlen geprägt war.

      Der Demokrat Woodrow WilsonWilson, Woodrow (1856–1924) war seit 1913 amerikanischer Präsident; unter seiner Leitung waren die Vereinigten StaatenUSA 1917 in den Krieg aufseiten der Entente eingetreten. Schon zuvor hatten die USAUSA die Gegner der Mittelmächte finanziell unterstützt und waren Opfer der Kriegshandlungen geworden, unter anderem durch die Versenkung amerikanischer Handelsschiffe durch deutsche U-Boote. WilsonsWilson, Woodrow vorrangigstes Ziel war die Schaffung eines Völkerbundes, in den er alle Hoffnungen für eine friedlichere Zukunft setzte. Seine Pläne, eine Art Weltregierung zu schaffen, in die er am liebsten auch schon sehr bald Deutschland aufnehmen wollte, blieben nicht unangefochten, auch nicht im eigenen Land. WilsonWilson, Woodrow, der ehemalige Professor für Politische Ökonomie an der Universität Princeton, war ein sturer Mann, zutiefst von seiner Mission überzeugt, und lehnte es mehrfach ab, über seine Pläne zu diskutieren. Das brachte ihm die Feindschaft einiger oppositioneller Senatoren ein. Gesundheitlich war er schon lange geschwächt, aus diesem Grund begleitete ihn sein Arzt nach Europa. Er ignorierte seinen schlechten Gesundheitszustand, wurde allerdings mehrfach von Krankheiten zur Schonung genötigt, auch während der Verhandlungen. Seine große Niederlage bestand darin, dass er den Senat nicht davon überzeugen konnte, den Versailler Vertrag zu ratifizieren. Erst 1921 schlossen die Vereinigten StaatenUSA separate


Скачать книгу