Das letzte Echo des Krieges. Der Versailler Vertrag. Susanne Brandt

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und dem Präsidenten zu unpräzise. Zu Beginn einer wochenlang andauernden Verhandlungsphase bat Außenminister LansingLansing, Robert in drei Punkten um Präzisierung: Nehme Deutschland die in den 14 Punkten formulierten Grundsätze an? Werde sofort mit dem Rückzug der deutschen Truppen begonnen? Und für wen spreche der Kanzler?20 Besonders in der Frage, ob eine demokratisch legitimierte Regierung verhandele, blieb die deutsche Antwortnote ausweichend:

      »Die jetzige deutsche Regierung, die die Verantwortung für den Friedensschritt trägt, ist gebildet durch Verhandlungen und in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit des Reichstages. In jeder seiner Handlungen, gestützt auf den Willen dieser Mehrheit, spricht der Reichskanzler im Namen der deutschen Regierung und des deutschen Volkes.«21

      Nach der noch geltenden Verfassung wurde die Regierung nicht vom Reichstag gebildet. Vielmehr ernannte der Kaiser den Kanzler, der seinerseits die Staatssekretäre einsetzte. Zu den weitreichenden Möglichkeiten des Kaisers gehörte auch, dass er den Reichstag jederzeit auflösen konnte.

      Nur zwei Tage später folgte die Antwort aus WashingtonWashington. Erneut wurde betont, dass die Alliierten keinen Waffenstillstand in Erwägung ziehen würden, solange die deutschen Streitkräfte fortführen, Passagierschiffe zu versenken und bei ihrem Rückzug in FrankreichFrankreich und FlandernFlandern mutwillig und völkerrechtswidrig Orte zu zerstören und zu plündern. Unumwunden erklärte der Präsident, er werde mit der jetzigen Regierung nicht verhandeln. »Die deutsche Nation hat die Wahl, das zu ändern«, hieß es in der amerikanischen Note.22 In der Antwortnote acht Tage später bestritt Staatssekretär Wilhelm SolfSolf, Wilhelm die Deutschland vorgeworfenen Völkerrechtsverletzungen. In der Frage der Legitimität der Regierung wurde er noch immer nicht konkreter: Auf der Grundlage der Verfassung habe bislang die Volksvertretung weder Einfluss auf die Regierungsbildung noch auf die Entscheidung über Krieg und Frieden gehabt. Doch sei die neue Regierung »in völliger Übereinstimmung mit den Wünschen der aus dem gleichen, allgemeinen, geheimen und direkten Wahlrecht hervorgegangenen Volksvertretung gebildet«.23 Auch habe die neue Regierung dem Reichstag einen Gesetzentwurf zur Verfassungsänderung vorgelegt, damit in Zukunft für die Entscheidung über Krieg und Frieden die Zustimmung der Volksvertretung erforderlich sei, versuchte SolfSolf, Wilhelm die amerikanischen Vorbehalte zu entkräften.24

      Der Präsident ließ sich nicht beirren. In seiner dritten Note kritisierte Außenminister Robert LansingLansing, Robert erneut, dass Macht und Politik immer noch »bei denen liegt, die bis jetzt die Herrscher in Deutschland waren« und die den gegenwärtigen Krieg führen würden. Nicht nur er, sondern auch die Völker der Welt, hieß es weiter in seiner Note, hätten kein Vertrauen zu den Worten derjenigen, die bis dato die deutsche Politik beherrschten. Unmissverständlich erkläre der Präsident, dass nur mit einer Regierung, die für eine überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes spreche, Frieden geschlossen werden könne. Sollten die militärischen Herrscher und monarchistischen Autokraten Deutschlands an der Macht bleiben, so müsse sich Deutschland ergeben.25 Am 27. Oktober 1918 beteuerte das Kaiserreich in der vierten Note an Präsident WilsonWilson, Woodrow, dass die Friedensverhandlungen von einer Volksregierung geführt würden, in deren Händen die entscheidenden Machtbefugnisse tatsächlich und verfassungsmäßig ruhten. Ihr seien auch die militärischen Gewalten unterstellt.26

      Der Notenwechsel entfaltete in Deutschland große Sprengkraft. Wenn auch eventuell mit einigen Tagen Verspätung, so konnten die Deutschen doch in den Tageszeitungen die Entwicklung verfolgen und auch den Wortlaut der Briefe lesen. Der Vorwärts, die Zeitung der SPD, berichtete über Friedenskundgebungen in vielen deutschen Städten. Ein schnelles Ende des Krieges war nun für weite Teile der Bevölkerung erstrebenswert, weiteres sinnloses Blutvergießen sollte verhindert werden. Deshalb wuchs die Sorge, dass die Verfassungsreform, die der amerikanische Präsidenten zur Bedingung für einen Waffenstillstand gemacht hatte, zu lange dauern könne. Der Sturz des Monarchen, hofften viele Bürger, könne den Prozess beschleunigen und ein Ende der Kampfhandlungen herbeiführen. Doch es sollte noch bis zum 9. November dauern, bis Kaiser Wilhelm II.Wilhelm II. abdankte, oder, genauer gesagt, durch den Reichskanzler Max von BadenMax von Baden vor vollendete Tatsachen gestellt wurde.

      Der deutsche Historiker Klaus SchwabeSchwabe, Klaus betont, dass die deutsche Öffentlichkeit die Demokratisierung als Vorleistung und als Bedingung für einen glimpflichen WilsonWilson, Woodrow-Frieden empfunden habe. Nach der Ausrufung der Republik glaubten die Deutschen, sich nun auf ein Versprechen der Sieger berufen zu können.27 Auf der Seite der Alliierten herrschte jedoch keineswegs Einigkeit darüber, auf welcher Grundlage und zu welchen Bedingungen mit Deutschland und den anderen Mächten der Entente ein Waffenstillstand unterzeichnet werden sollte. WilsonWilson, Woodrow äußerte in einem Telegramm an seinen Berater Edward Mandell HouseHouse, Edward Mandell:

      »Meine wohlüberlegte Einschätzung ist, dass wir unseren ganzen Einfluss geltend machen müssen für einen Waffenstillstand, der die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten durch Deutschland verhindert, der aber innerhalb dieser Grenzen so maßvoll und vernünftig ist wie möglich. Denn es ist sicher, dass zu viel Erfolg oder Garantien vonseiten der Alliierten ein aufrichtiges Friedensabkommen äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich machen werden.«28

      Der deutsche Nachrichtendienst hatte das Telegramm entschlüsselt, und es verwundert nicht, dass die Deutschen nun erwarteten, im amerikanischen Präsidenten einen entgegenkommenden Verhandlungspartner zu haben, der ausreichend Einfluss auf seine Bündnispartner ausüben konnte. In vielerlei Hinsicht machten sich in Deutschland Militärs, Politiker und Bürger Hoffnung auf einen milden Frieden. Der Leiter der Geschäftsstelle für Friedensverhandlungen, Johann Heinrich Graf von BernstorffBernstorff, Johann Heinrich von, der bis zum Kriegseintritt der USAUSA deutscher Botschafter in WashingtonWashington gewesen war, legte Staatssekretär SolfSolf, Wilhelm nahe, dass sich Deutschland eng an die USAUSA anlehnen solle:

      »Die ganze Welt wird in wirtschaftliche u[nd] finanzielle Abhängigkeit von den Vereinigten StaatenUSA geraten. Deshalb haben wir uns an Herrn WilsonWilson, Woodrow gewandt als wir genötigt waren den Krieg zu beendigen. Deshalb werden wir uns auch bei den Friedensverhandlungen politisch an die Vereinigten StaatenUSA anlehnen und den späteren Wiederaufbau Deutschlands mit ihrer Hilfe durchführen müssen. […] Es liegt daher auf der Hand, daß wir alle Herrn WilsonsWilson, Woodrow Wünsche, die sich auf Völkerbund, Abrüstung, Schiedsgericht, Freiheit der Meere usw. erstrecken, eifrigst unterstützen und soweit möglich überbieten müssen.«29

      Vom 29. Oktober bis zum 4. November 1918 kamen ClemenceauClemenceau, Georges, Lloyd GeorgeLloyd George, David und der amerikanische Bevollmächtigte Edward Mandell HouseHouse, Edward Mandell in ParisParis zu einer interalliierten Konferenz zusammen. WilsonsWilson, Woodrow 14 Punkte waren bei den Alliierten nicht unumstritten, weshalb es einiges Verhandlungsgeschick des amerikanischen Bevollmächtigten HouseHouse, Edward Mandell erforderte, bis sich die europäischen Alliierten mit zwei Einschränkungen auf die 14 Punkte als Friedensgrundlage verständigten. Der amerikanische Präsident war überzeugt, dass seine 14 Punkte nur auf der Grundlage eines Waffenstillstandes umgesetzt werden könnten. ClemenceauClemenceau, Georges, Lloyd GeorgeLloyd George, David und der italienischeItalien Außenminister Sidney SonninoSonnino, Sidney hingegen wollten so weit wie möglich an eine Kapitulation herankommen. Während »Waffenstillstand« eine Vereinbarung über die Einstellung der Kampfhandlungen bezeichnet, mit dem Ziel, einen Frieden zu erreichen, drückt »Kapitulation« aus, dass eine der Kriegsparteien die Waffen streckt und sich unterwirft. Zwar können, wie später gezeigt werden wird, die Waffenstillstandsbedingungen, die Deutschland unterzeichnete, als Kapitulation bezeichnet werden, aber das Deutsche Reich blieb als (weitgehend) souveräner Staat erhalten, dessen Gebiet jedoch zu einem Teil besetzt wurde. Dieser unklare Zustand, der die gegensätzlichen Vorstellungen der Sieger widerspiegelte, führte im Verlauf der Friedensverhandlungen mehrfach zu Auseinandersetzungen.

      Die vier Repräsentanten der Siegermächte erarbeiteten in ParisParis ein wichtiges Dokument, die nach dem amerikanischen Außenminister benannte Lansing-NoteLansing, Robert. Mit zwei Einschränkungen akzeptierten sie darin die 14 Punkte: Die Briten erhoben Einwände gegen den Begriff der Freiheit der Meere, denn WilsonsWilson, Woodrow Vorstellung beschnitt ihren Wunsch nach einer Vormachtstellung zur See. Sie erreichten, dass erst in ParisParis über die Interpretation des Begriffes »Freiheit der Meere«


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