Das letzte Echo des Krieges. Der Versailler Vertrag. Susanne Brandt

Das letzte Echo des Krieges. Der Versailler Vertrag - Susanne Brandt


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Oktober 1914 verfassten namhafte deutsche Wissenschaftler und Schriftsteller das sogenannte Manifest der 93. Sie verwahrten sich gegen die Vorwürfe, Deutschland habe den Krieg verursacht und missachte in den Kampfhandlungen gezielt die Regeln des Völkerrechts. Das Manifest An die Kulturwelt richtete sich ursprünglich an die neutralen Staaten und wurde dort sehr kühl aufgenommen. Bei Deutschlands Gegnern wurde es heiß diskutiert, aber vornehmlich als weiterer Beleg ihrer Arroganz gewertet. Schon dieser frühe, öffentlich ausgetragene Zwist führte den Bürgern sehr klar vor Augen, um wie viel es in diesem Weltenbrand ging: um den Kampf der Kultur (Mittelmächte) gegen die Zivilisation (Entente). Im Weltkrieg traten aber auch gegensätzliche politische Systeme gegeneinander an, nämlich demokratische gegen autoritär regierte Staaten. Rasch entwickelte sich der Krieg, befeuert durch die Propaganda, zu einem Wettstreit der politischen Systeme und Ideologien.

      Schon bald traten die Kriegsziele hervor. Für GroßbritannienGroßbritannien war die Verletzung der belgischen Neutralität der Grund für den Kriegseintritt gewesen. Die Wiederherstellung BelgiensBelgien, also auch das Ende der deutschen Besatzung, wurde zu einem zentralen britischen Ziel. Ähnliches galt für FrankreichFrankreich: Gelänge es nicht, die deutsche Besatzungsmacht zu vertreiben, würde das Land auf den Rang einer unbedeutenden Macht herabsinken. Zu den französischen Plänen gehörte zudem die Rückgewinnung der 1871 nach dem deutsch-französischen Krieg abgetretenen Gebiete Elsass und LothringenElsass-Lothringen. Auch die Sicherheit vor dem als aggressiv empfundenen Nachbarn musste garantiert sein, bevor FrankreichFrankreich Frieden schließen konnte. Erreicht werden konnte das zum Beispiel mit einer entmilitarisierten Zone oder einem besetzten Gebiet entlang der gemeinsamen Grenze. Pläne, die darauf hinausliefen, Deutschland aufzuteilen, waren in FrankreichFrankreich zumindest im Gespräch.13 Im Verlauf des Krieges konkretisierten sich schließlich die Pläne FrankreichsFrankreich, EnglandsGroßbritannien und später ItaliensItalien, das Osmanische ReichOsmanisches Reich zu zerschlagen sowie dessen arabische Territorien unter sich aufzuteilen. Im Mai 1916 schlossen sie das Sykes-Picot-Abkommen, das den Westmächten dauerhaft eine indirekte Herrschaft im Nahen OstenNaher Osten sichern sollte.

      Bald nach Kriegsbeginn kam es in Deutschland zu einer öffentlich geführten Debatte um die Kriegsziele. Weitreichende Landgewinne im Westen und Osten wurden gefordert, nämlich die dauerhafte Besetzung BelgiensBelgien, die Erzgebiete von Longwy-BrieyLongwy-Briey und Siedlungsland für die Landwirtschaft im Osten. An der Verbreitung dieser Wünsche beteiligten sich der nationalistische Alldeutsche Verband, aber auch der Industrielle August ThyssenThyssen, August und der Zentrumspolitiker Matthias ErzbergerErzberger, Matthias. Kein Wunder, dass die Siegermächte Letzerem, der sich im Verlauf des Krieges von seinen Ansichten distanzierte und einen Verständigungsfrieden anstrebte, mit Herablassung entgegentraten, als ErzbergerErzberger, Matthias im November 1918 in CompiègneCompiègne den Waffenstillstand für Deutschland unterzeichnete.

      Deutschland war in der Julikrise 1914 ein hohes Risiko eingegangen, weil dort seit langem die feste Überzeugung herrschte, dass das Reich von Feinden eingekreist sei und einen Zweifrontenkrieg führen werde. Politiker und einflussreiche Militärs waren sicher, dass die Zeit gegen Deutschland laufe, noch aber sei RusslandRussland zu besiegen. Und auch die Furcht vor den demokratischen Kräften und einem Umsturz war groß. Nur ein überwältigender deutscher Sieg, der massive Eroberungen, Bodenschätze und Reparationen bringen werde, könne die Bürger (vor allem die gefürchteten Sozialdemokraten) von Reformplänen abbringen. Konservative Politiker waren zuversichtlich, dass materielle Werte die Bürger von der Attraktivität der Monarchie überzeugen würden. Geld sei anziehender als politische Teilhabe, mutmaßten diejenigen, die Revolution und Demokratie fürchteten. Im Frühjahr 1915 forderten Wirtschaftsverbände in einer Denkschrift die oben beschriebenen Landzuwächse. Alles andere, also auch ein Verständigungsfrieden, der den Zustand von vor 1914 wiederherstellen würde, führte nach Ansicht der Militärs und der monarchistischen Kreise zum Aufstand der unzufriedenen und enttäuschten Bürger. Der Wunsch, die eigene Macht zu bewahren, war einer der Gründe, der antidemokratische Kreise in Deutschland das Risiko eines Weltkrieges hatte annehmen lassen. Für sie war der Schritt in den Krieg von der Absicht geleitet gewesen, die eigene Macht zu sichern, und so gab es keine Alternative zum Sieg.

      Als 1916 die 3. Oberste Heeresleitung unter LudendorffLudendorff, Erich und HindenburgHindenburg, Paul von noch mehr Macht an sich riss, schwanden auch die Chancen auf einen Verständigungsfrieden weiter. Zwar hielten die Generäle ihren Bündnispartner Österreich-UngarnÖsterreich-Ungarn für schwach, und sie schätzen auch die Ressourcen der Alliierten größer als die eigenen ein. Ihnen war bewusst, dass die Blockade der Alliierten Deutschland wirtschaftlich schwächte und die Lebensmittelversorgung erschwerte. Doch mit der Risikobereitschaft derjenigen, die alles zu verlieren hatten, führten sie den Krieg weiter und begannen im Februar 1917 den uneingeschränkten U-Boot-Krieg. Mit dieser Waffe hofften die Deutschen, GroßbritannienGroßbritannien zum Einlenken zu zwingen. Das Risiko, dass der U-Boot-Krieg, der sich auch gegen neutrale und zivile Schiffe richtete, die USAUSA aufseiten der Alliierten in den Krieg ziehen könne, schreckte die deutsche Führung nicht. Alle Friedensinitiativen, die im Krieg von Deutschland ausgingen, zielten darauf ab, die Alliierten zu trennen, also mit einem Gegner Frieden zu schließen, um die verbleibenden Mächte besiegen zu können. Doch die Alliierten ließen sich nicht gegeneinander ausspielen. Weder nahmen sie 1917/18 an den Verhandlungen von Brest-LitowskBrest-Litowsk teil, die für RusslandRussland harte Friedenbedingungen brachten, noch ließen sie sich von dem Angebot des deutschen Kanzlers Bethmann HollwegBethmann Hollweg, Theobald von im Dezember 1916 oder von der Initiative des Papstes Benedikt XV.Benedikt XV. im August 1917 überzeugen. Und auch die Entente ließ sich nicht spalten: Österreich-UngarnÖsterreich-Ungarn blieb fest an der Seite Deutschlands. Außenminister CzerninCzernin, Ottokar verschloss sich jeder Initiative eines Separatfriedens.

      Dass es vor dem Herbst 1918, als Deutschland nach einer schweren Niederlage Waffenstillstandsverhandlungen erbat, nicht zu erfolgreichen Friedensverhandlungen kam, hatte noch weitere Ursachen: Krieg galt als legitimes Mittel der Politik. Erste Erfolge, den Krieg durch internationales Recht einzuhegen, hatte die Internationale Friedenskonferenz in Den HaagDen Haag gebracht. Die seit 1907 geltende Haager Landkriegsordnung, die unter anderem den Einsatz von Gas und Plünderungen verbot und Zivilisten schützte, hatten die meisten kriegführenden Länder unterzeichnet, so FrankreichFrankreich, GroßbritannienGroßbritannien, Deutschland, RusslandRussland, Österreich-UngarnÖsterreich-Ungarn und die Vereinigten StaatenUSA. Internationale Organisationen, die der Sicherheit ihrer Mitgliedsstaaten dienten und Konflikte einvernehmlich zu lösen versuchten, waren noch eine Vision. Der amerikanische Präsident WilsonWilson, Woodrow setzte seine Hoffnung in einen solchen Friedens- oder Völkerbund. Doch vor 1914, im Krieg und auch danach agierten die Staaten im eigenen nationalen Interesse, in Konkurrenz zueinander, in Sorge um die eigene Zukunft, geplagt von Untergangs- und Bedrohungsängsten.

      Hätten die USAUSA vor dem Kriegseintritt im April 1917 als Vermittler einen Verständigungsfrieden erreichen können? Schon seit Kriegsbeginn hatten die Vereinigten StaatenUSA Frankeich und GroßbritannienGroßbritannien finanziell massiv unterstützt. Vor dem April 1917 hoffte Präsident WilsonWilson, Woodrow, dass ein Verständigungsfrieden erreicht werden könne und die Chance für einen Völkerbund in sich trug.14 Nach dem Kriegseintritt der USAUSA änderte WilsonWilson, Woodrow seine Meinung jedoch und betonte, Deutschlands Macht müsse massiv beschränkt werden.15 Nun gab es also keine Macht mehr, die neutral und stark genug war, um als von beiden Seiten akzeptierter Vermittler aufzutreten. Woodrow WilsonWilson, Woodrow, der Geheimabsprachen und Diplomatie im Verborgenen zutiefst verabscheute, hielt die Demokratie in den USAUSA für einzigartig. Sein Land stütze sich auf die Vielfalt seiner Bürger, biete Chancengleichheit, trage keinerlei Verantwortung am Kriegsausbruch und verfolge keine Gebietsansprüche. Daher könnten die Vereinigten StaatenUSA eine Friedensmission betreiben, glaubte WilsonWilson, Woodrow.16 Er fürchtete allerdings, dass im Falle des Sieges einer Kriegspartei der Rüstungswettlauf weitergehe und ein neuer Krieg nur eine Frage der Zeit sei.

      Das Ende des Krieges rückt näher

      Der Erste Weltkrieg hatte mit einer folgenschweren Fehleinschätzung begonnen: Deutschlands Schlieffen-Plan sah vor, einen riskanten Zweifrontenkrieg zu führen, zunächst gegen FrankreichFrankreich und nach dem schnell erfolgten Sieg gegen RusslandRussland. Generalstabschef


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