Das letzte Echo des Krieges. Der Versailler Vertrag. Susanne Brandt

Das letzte Echo des Krieges. Der Versailler Vertrag - Susanne Brandt


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benötige. Daher planten die Militärs, zunächst FrankreichFrankreich zu schlagen und danach die frei werdenden Truppen gegen RusslandRussland ins Feld zu führen. Doch der Plan scheiterte schon in den ersten Kriegswochen. Den deutschen Verbänden gelang kein schneller Vorstoß auf ParisParis, stattdessen gruben sich beide Seiten nach der Schlacht an der MarneMarne im September 1914 ein. Im Westen begann auf einer Strecke von rund 1000 Kilometern ein opferreicher und zermürbender Stellungskrieg auf belgischem sowie französischem Boden und im ElsassElsass. Alle militärischen Initiativen in den kommenden vier Jahren zielten darauf ab, den Stellungskrieg aufzubrechen. Nur aus der Bewegung, davon waren alle überzeugt, könne ein kriegsentscheidender Sieg hervorgehen.

      Mit dem Kriegseintritt der USAUSA im April 1917 trat ein starker Partner an die Seite der Entente. Auch wenn die USAUSA schon in den Jahren zuvor mit Krediten FrankreichFrankreich und GroßbritannienGroßbritannien unterstützt hatten, bedeutete ihr Kriegseintritt einen massiven Schub für die Alliierten. Zusätzliche Waffen und vor allem frische Soldaten konnten nun gegen die Mittelmächte eingesetzt werden. Doch es sollten noch einige Monate vergehen, bevor die Waffen und Soldaten aus den USAUSA auf den europäischen Kriegsschauplätzen landeten. Aber der Zeitfaktor wirkte sich seit April 1917 immer stärker zuungunsten Deutschlands aus, was den meisten Militärs bewusst war. Zwar standen im Oktober 1917 nur rund 80 000 amerikanische Soldaten in FrankreichFrankreich, die sich alle noch in der Ausbildung befanden. Aber ein Jahr später, im November 1918, war ihre Zahl auf 1,87 Millionen Mann angewachsen.

      Ein zweites wichtiges Ereignis im Jahr 1917 schien das Kriegsende für die Mittelmächte in greifbare Nähe zu rücken: Nach der russischen Revolution und dem Sturz des Zaren unterzeichneten die Revolutionäre im Dezember 1917 einen Waffenstillstand mit Deutschland. Es waren überaus harte Bedingungen, die die Deutschen den Russen später im Vertrag von Brest-LitowskBrest-Litowsk auferlegten. Nach dem Ausscheiden des Gegners plante die deutsche OHL, die nun an der Ostfront frei werdenden Truppen an die Westfront zu verlegen und dort die Kriegsentscheidung herbeizuführen. 1917 kapitulierte auch RumänienRumänien, woraufhin deutsche und österreichischeÖsterreich Truppen im Oktober 1917 bei CaporettoCaporetto ItalienItalien eine schwere Niederlage beibrachten. Diese Situation bestärkte die Hoffnung der Militärs auf ein siegreiches Kriegsende. Die groß angelegte Michael-Offensive im März 1918 brachte zwar einen Vorstoß von 60 Kilometern, doch der Nachschub blieb an vielen Stellen im zerstörten Land stecken. Der Geländegewinn konnte nicht genutzt werden, und im April 1918 stellte LudendorffLudendorff, Erich die verlustreiche Schlacht ein. In zwei Wochen stiegen die deutschen Verluste auf 230 000 Mann, so hoch waren sie in keinem anderen Zeitraum gewesen.

      So motiviert, wie die deutschen Soldaten in die Michael-Offensive gezogen waren, in der Hoffnung, die letzte, kriegsentscheidende Schlacht stehe bevor, so rapide sank ihr Kampfwille in den folgenden Monaten. Die Zahl an Selbstverstümmelungen stieg an, der deutsche Militärhistoriker Wilhelm DeistDeist, Wilhelm spricht von einem verdeckten Militärstreik.17 Am 8. August 1918 begannen Alliierte Verbände bei AmiensAmiens einen Gegenangriff und läuteten die letzte Schlacht des Weltkrieges an der Westfront ein. Französische, britische, kanadische und australische Soldaten brachen durch die Frontlinien und trieben die Deutschen vor sich her. General LudendorffLudendorff, Erich sprach von einem »schwarzen Tag« für das deutsche Heer, doch noch verheimlichte er die katastrophale militärische Lage bei der Sitzung des Kronrats am 14. August. Erst Ende September gestand er ein, dass der Krieg verloren sei. Oberst Albrecht von ThaerThaer, Albrecht von, während des Krieges an der Westfront eingesetzt und im April 1918 zur OHL versetzt, schilderte in seinem Tagebuch die Situation. Die Strategie der Obersten Heeresleitung, die Schuld von sich abzuwälzen, tritt darin offen zutage:

      »Er [LudendorffLudendorff, Erich, S. B.] sagte ungefähr folgendes: Er sei verpflichtet, uns zu sagen, daß unsere militärische Lage furchtbar ernst sei. Täglich könne unsere Westfront durchbrochen werden. […] Die O. H. L. und das deutsche Heer seien am Ende; der Krieg sei nicht nur nicht mehr zu gewinnen, vielmehr stehe die endgültige Niederlage wohl unvermeidbar bevor. BulgarienBulgarien sei abgefallen. ÖsterreichÖsterreich und die TürkeiTürkei am Ende ihrer Kräfte, würden wohl bald folgen. Unsere eigene Armee sei leider schon schwer verseucht durch das Gift spartakistisch-sozialistischer Ideen. Auf die Truppen sei kein Verlaß mehr. Seit dem 8. 8. sei es rapide abwärts gegangen. Fortgesetzt erwiesen Truppenteile sich so unzuverlässig, daß sie beschleunigt aus der Front gezogen werden müßten. Würden sie von noch kampfwilligen Truppen abgelöst, so würden diese mit dem Ruf ›Streikbrecher‹ empfangen und aufgefordert, nicht mehr zu kämpfen. Er könne nicht mit Divisionen operieren, auf die kein Verlaß mehr sei. So sei vorauszusehen, daß dem Feinde schon in nächster Zeit mit Hilfe der kampffreudigen Amerikaner ein großer Sieg, ein Durchbruch in ganz großem Stile gelingen werde, dann werde dieses Westheer den letzten Halt verlieren und in voller Auflösung zurückfluten über den RheinRhein und werde die Revolution nach Deutschland tragen. Diese Katastrophe müsse unbedingt vermieden werden. […] Deshalb habe die O. H. L. von Sr. M. und dem Kanzler gefordert, daß ohne jeden Verzug der Antrag auf Herbeiführung eines Waffenstillstandes gestellt würde bei dem Präsidenten WilsonWilson, Woodrow von Amerika zwecks Herbeiführung eines Friedens auf der Grundlage seiner 14 Punkte. Er habe sich nie gescheut, von der Truppe Äußerstes zu verlangen. Aber nachdem er jetzt klar erkenne, daß die Fortsetzung des Krieges nutzlos sei, stehe er nun auf dem Standpunkte, daß schnellstens Schluß gemacht werden müsse, um nicht noch unnötigerweise gerade noch die tapfersten Leute zu opfern, die noch treu und kampffähig seien. Es sei ein schrecklicher Augenblick für den Feldmarschall und für ihn gewesen, dieses Sr. M. und dem Kanzler melden zu müssen. Der letztere, Graf Hertling, habe in würdiger Weise Sr. M. erklärt, er müsse daraufhin sofort sein Amt niederlegen. Nach so vielen Jahren in Ehren könne und wolle er als alter Mann nicht sein Leben damit beschließen, daß er jetzt ein Gesuch um Waffenstillstand einreiche. Der Kaiser habe sein Abschiedsgesuch angenommen. Exc. LudendorffLudendorff, Erich fügte hinzu: ›Zur Zeit haben wir also keinen Kanzler. Wer es wird, steht noch aus. Ich habe aber S. M. gebeten, jetzt auch diejenigen Kreise an die Regierung zu bringen, denen wir es in der Hauptsache zu danken haben, daß wir so weit gekommen sind. Wir werden also diese Herren jetzt in die Ministerien einziehen sehen. Die sollen nun den Frieden schließen, der jetzt geschlossen werden muß. Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben!‹«18

      Im Großen Hauptquartier in SpaSpa wurde auf Drängen der Militärs am 28./29. September beschlossen, unverzüglich ein Waffenstillstands- und Friedensangebot an WilsonWilson, Woodrow zu senden. Die Lage Deutschlands wurde auch mit Blick auf die Verbündeten als dramatisch beurteilt, wie das Zitat von ThaersThaer, Albrecht von zeigt. Tatsächlich fielen die Verbündeten Deutschlands wie Dominosteine. Ende September unterzeichneten als erste der Mittelmächte BulgarienBulgarien den Waffenstillstandsvertrag, Ende Oktober die Osmanen, am 3. November Österreich-UngarnÖsterreich-Ungarn.

      Da der amerikanische Präsident bereits unmissverständlich klargemacht hatte, nur mit einer demokratisch legitimierten deutschen Regierung verhandeln zu wollen, beschlossen die in SpaSpa Versammelten, eine Revolution von oben durchzuführen. Die bislang nicht an der Regierung beteiligten Mehrheitsparteien, Zentrum, MSPD und linksliberale Fortschrittspartei, sollten Vertreter in das neu zu bildende Kabinett entsenden. Wie in der Verfassung vorgesehen, ernannte der Kaiser die Regierungsmitglieder; von Neuwahlen war keine Rede, wie aus den Plänen des Auswärtigen Amtes hervorgeht:

      »Die auf diese Weise neu gebildete Regierung würde im gegebenen Moment an den Präsidenten WilsonWilson, Woodrow heranzutreten haben mit dem Ersuchen, die Herstellung eines Friedens in die Hand zu nehmen und zu diesem Zwecke allen kriegführenden Parteien die Entsendung von bevollmächtigten Delegierten nach WashingtonWashington vorzuschlagen. […] Unsere Aufforderung an Herrn WilsonWilson, Woodrow wäre von der Erklärung zu begleiten, daß Deutschland, eventuell der Vierbund, bereit ist, den Friedensverhandlungen als Programm die bekannten 14 Punkte des Präsidenten zugrunde zu legen.«19

      Wie schon in dem Tagebucheintrag Oberst von ThaersThaer, Albrecht von angeklungen war, plante die OHL, den Parteien, die bislang keine Regierungsverantwortung innegehabt hatten, nun die Liquidierung des Krieges zu überlassen und die Verantwortung für die Niederlage zuzuschieben.

      Am 3. Oktober wurde Max von BadenMax von Baden zum Reichskanzler ernannt und von


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