Zeit des Zweifels. Hannelore Veit

Zeit des Zweifels - Hannelore Veit


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zwangsläufig in Richtung Siegeszug von Demokratie und Marktwirtschaft bewegen, fand viele Anhänger, vor allem in den jungen Demokratien des Ende 1989 zugrunde gegangenen Ostblocks.

      Wirtschaftliche Weiterentwicklung und der Drang nach Demokratie würden Hand in Hand gehen, so lehrte es eine gängige Theorie. Und nach dem Ende des Kommunismus auf europäischem Boden schien in Europa vieles in diese Richtung zu deuten. Noch dazu, wo die USA nun auch in Osteuropa als Führungsmacht akzeptiert wurden. Aber die Zeit des Zweifelns an diesem Dogma begann vor 20 Jahren recht schnell. Die Geschichte kannte kein Ende, die Zweifel wurden größer. Ist ein Europa, das sich in Fragen internationaler Machtentfaltung bedingungslos dem Willen der USA unterwirft, ein Modell der Zukunft oder doch eher der Vergangenheit? Osteuropa setzte stärker auf die USA und ihren NATO-Beistand, Westeuropa betonte seine Eigenständigkeit und wusste dann doch nicht so recht, wie es diese glaubhaft verkörpern sollte.

      Die Folgen der von den USA angezettelten Kriege in Afghanistan und im Irak bekam Europa dadurch zu spüren, dass immer mehr Betroffene in Flucht und Migration nach Europa einen Ausweg suchten. Auch das hat die Zweifel am Sinn des amerikanisch-europäischen Bündnisses genährt. Und beim Blick hinüber in die USA wurden die Europäer mitgerissen von der Achterbahnfahrt der Gefühle. Die wütende Reaktion der schwer getroffenen Supermacht, die rasch begonnenen Kriege und ihre lange andauernden Nachwirkungen – das alles führte die Politik und öffentliche Meinung jenseits des Atlantiks auf einen rasenden Ritt durch Höhen und Tiefen.

Gespaltene Gesellschaft Hannelore Veit

      Auch im Inneren der USA verschoben sich die Parameter. Was für unmöglich gehalten wurde, wurde 2008 möglich: Die Amerikaner wählten ihren ersten schwarzen Präsidenten. Ein schwarzer Präsident? Recht auf gleichgeschlechtliche Ehe? Ein Teil der Gesellschaft jubelte, ein Teil konnte nicht begreifen, warum ihre Werte plötzlich nicht mehr gelten sollten. Am rechten Rand der Gesellschaft gärte es, White Supremacists und andere Rechtsextreme fanden immer mehr Zuspruch.

      Die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 wurde zwar von den USA verursacht, sie überwanden sie aber schneller als der Rest der Welt. Nur: Ein Teil der Bevölkerung wurde zurückgelassen. Gut bezahlte Jobs waren verloren gegangen, „Globalisierung“ wurde zum Schimpfwort. Amerikaner, die die Veränderungen nicht so rasch nachvollziehen konnten, fühlten sich an den Rand der Gesellschaft gedrängt.

      So gesehen sollte es nicht überraschen, dass Donald Trump mit seinen simplen Botschaften und seinem Motto „America First“ ins Präsidentenamt gewählt wurde. Es überraschte trotzdem, uns Journalisten und den Rest der Welt.

      Unter Donald Trump schlitterten die USA von einer Krise in die andere. Die Verbündeten wussten nicht mehr, wie sie mit den USA umgehen sollten, mit oder ohne Trump waren und sind die Vereinigten Staaten nun einmal die größte Supermacht der Welt. Europa und die USA machten eine, wenn schon nicht Eiszeit, so doch unterkühlte Phase durch.

      In den USA selbst schritt die Spaltung der Gesellschaft noch weiter voran. Selbst die Medien, die eigentlich das Geschehen analysieren sollten, wurden immer mehr zu Meinungsmachern, die die Welt in Schwarz und Weiß, in Pro und Kontra sahen. Grautöne hatten keinen Platz. Am Ende der Amtszeit von Donald Trump stand das Undenkbare: ein Angriff auf eines der Symbole der Demokratie in den USA, das Kapitol, den Sitz des Kongresses. Jetzt diskutieren die USA, die „älteste Demokratie der Welt“, wie sie sich selbst nennen, über ihr Demokratieverständnis.

      Joe Biden soll den Schritt zurück zur Normalität vollziehen. Kein leichter Schritt in einer gespaltenen Gesellschaft. Kein leichter Schritt für jemanden, der versprochen hat, das Land zu einen.

Alles neu? Peter Fritz

      Nun blickt Europa aufs Neue mit Staunen und Bangen hinüber in die USA, wo der älteste Präsident, den das Land je hatte, eine Verjüngungskur einleiten soll – auch in den Beziehungen zur alten europäischen Welt. Gerne wird betont, der „Neue“ sei auf seine irischen Wurzeln stolz, und damit wird die Hoffnung verbunden, er fühle sich mit Europa schon allein dadurch fester verwachsen. Aber die Sicht auf die Welt hat sich auf beiden Seiten des Atlantischen Ozeans stark geweitet. Sowohl Europäer als auch Amerikaner blicken, weltpolitisch gesehen, heute vor allem nach Asien, wo dem wirtschaftlichen Aufstieg der letzten Jahrzehnte der politische und auch militärische Machtzuwachs ganz logisch zu folgen scheint.

      Es könnte die Schlüsselfrage unseres noch jungen Jahrhunderts sein: Wird Asien, und dabei vor allem China, sich mit wirtschaftlicher Dominanz zufriedengeben? Oder werden wir ein Ringen um die politisch-militärische Vorherrschaft erleben, ein Ringen, das die Großmächte in einen neuen, verheerenden Krieg führen könnte?

      Dieses Buch soll kein Rückblick sein, es soll zeigen, wo wir heute stehen – als logische Folge der Entwicklungen der letzten 20 Jahre – und in welche Richtung es weitergehen kann. Gezweifelt haben wir in diesen 20 Jahren an vielem, auch an unserem Weltbild.

      Man sollte den Zweifel nicht geringschätzen. Es war der Philosoph René Descartes, der vor mehr als 350 Jahren das System des methodischen Zweifels erfunden und damit ganz wesentlich zum Aufstieg der westlichen Zivilisation beigetragen hat. An allem zu zweifeln, auch an dem, was früher ganz allgemein als natur- oder gottgegeben hingenommen wurde, das ist die Wurzel des Denkens der Moderne.

      Aber unsere Zeit des Zweifels bringt ganz neue Ungewissheiten und Herausforderungen mit sich. Können wir lernen, auf diese neue Welt mit offenem Blick und ohne Panik zuzugehen? Wir möchten mit diesem Buch zumindest ein paar Wegweiser in den weltpolitischen Irrgarten der Zukunft stellen.

       Wien, im Juli 2021

       DIE STUNDE DER GEWALT Terror als Instrument der Politik

      Unter dem Eindruck der Terroranschläge vom 11. September 2001 war es für den damaligen US-Präsidenten George W. Bush eine naheliegende Maßnahme: Er rief zum „Krieg gegen den Terror“ auf. Aber schon damals wurde immer wieder eine Frage laut, auf die es bis heute keine verlässliche Antwort geben kann: „Wer kann in einem Krieg gegen den Terror jemals einen Sieg verkünden?“ Oder, anders gefragt: „Wie kann man jemals wissen, ob man diesen Krieg gewonnen hat?“ Jede Art von Siegesgewissheit kann schon am nächsten Tag zunichte sein. Es genügt ein einziger, zu allem entschlossener Überzeugungstäter, um einer stolzen Weltmacht ihr Versagen vor Augen zu führen.

      Der Terror hat unseren Alltag verändert. Wir können in der Konfrontation mit diesem Phänomen meist nicht agieren, wir sind zum Reagieren gezwungen. Wir hinken dem Terror und seinen verschiedenen Spielarten immer hinterher. Für uns ist es völlig normal geworden, auf Flughäfen Sicherheitschecks über uns ergehen zu lassen. Aber wir müssen auch hinnehmen, dass dabei die Maßstäbe durcheinandergeraten und manchmal schon jeder Logik entbehren. Weil ein britischer Islamist versucht hatte, in einer Maschine mit Kurs auf die USA einen Sprengsatz in seinen Schuhen zu zünden, müssen alle Flugreisenden in den USA die Schuhe ausziehen und durchleuchten lassen, bevor sie an Bord einer Maschine gehen. In Europa dagegen besteht man normalerweise nicht auf dieser Maßnahme. Generell akzeptieren wir heute – in den USA wie in Europa – eine Fülle unterschiedlichster Eingriffe in unser Leben. Wir akzeptieren auch, dass die Behörden mit dem Argument der Terrorgefahr ihre Befugnisse erweitern – und dabei nicht selten übers Ziel schießen.

      Das Szenario vom 11. September 2001 wird sich in dieser Form nicht wiederholen. Es ist nicht anzunehmen, dass es noch einmal gelingen kann, Passagierflugzeuge in fliegende Bomben zu verwandeln und einen Angriff mitten hinein ins Herz einer Millionenstadt zu fliegen. Aber Menschen, die bereit sind, zu einer Waffe zu greifen, um aus religiösem oder politischem Fanatismus auf andere Menschen loszugehen, wird es vermutlich immer geben. Vieles wurde versucht, es ihnen schwerer zu machen. Geheimdienste stellten ihre Lausch- und Schnüffelarbeit voll in den Dienst des Vorgehens gegen den Terror, schreckten auch vor Foltermethoden nicht zurück und hatten dabei immer vorwiegend eine Form des Fanatismus im Auge: islamistisch motivierte


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